Gescheitertes NPD-Verbotsverfahren Das Parteiverbot hat ausgedient

Karlsruhe · Das Bundesverfassungsgericht hat die Hürden für ein Parteiverbot deutlich angehoben. Die Politik wird sich vorerst hüten, ein weiteres Verfahren anzustrengen. Das NPD-Urteil demonstriert wohltuende Gelassenheit. Eine Analyse.

 NPD-Fahnen (Archivbild): Klares Urteil vom Bundesverfassungsgericht gegen NPD-Verbot

NPD-Fahnen (Archivbild): Klares Urteil vom Bundesverfassungsgericht gegen NPD-Verbot

Foto: afp

Wäre die Demokratie des Grundgesetzes eine Burg, so müsste das Parteiverbot als ihre größte Kanone gelten. Für die ungefährlichen politischen Eindringlinge wäre der Graben drumherum vorgesehen, aber für die bösartigen, wirklich gefährlichen Gegner käme bloß diese schwere Kanone zur Verteidigung infrage. Die abgefeuerte Kugel würde, um der Sprache des Krieges treu zu bleiben, nicht versehren, sie würde vernichten. Vom Feind bliebe nichts mehr übrig. Aber weil die Kanonenkugeln so groß und gewichtig sind, wären nur wenige vorrätig. Die Wächter der Burg müssten klug entscheiden: Ist der Gegner gefährlich genug, um zu feuern?

Im Dezember 2013 reichte der Bundesrat beim Bundesverfassungsgericht den Antrag ein, die rechtsextreme NPD verbieten zu lassen. Die Bundesländer sahen die freiheitlich-demokratische Grundordnung derart bedroht, dass sie das große Kaliber wählten. Gut drei Jahre später haben die höchsten Richter entschieden: Dieser Feind ist zwar bösartig, schlecht, mithin widerwärtig, aber gefährlich ist er nicht. Die Kugel war zu schwer, die Feuerkraft des Parteiverbots zu groß.

Der Zweite Senat unter Vorsitz des Gerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle hat die grundgesetzliche Reißleine aus Artikel 21 Absatz 2 nicht gezogen. Der besagt, dass Parteien verfassungswidrig sind, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die Grundordnung zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik gefährden.

Ein eindeutiges Nein

Die Entscheidung ist von einer Klarheit, die das Bundesverfassungsgericht zuletzt oft vermied. Es ist keines der berühmten "Ja, aber"- oder "Nein, aber"-Urteile, es ist ein eindeutiges Nein. Die NPD "weist eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus" auf, heißt es in dem Urteil.

Der von der NPD vertretene ethnische Volksbegriff verletze die Menschenwürde, und sie würde die Verfassungsordnung am liebsten durch eine ethnisch definierte Volksgemeinschaft ersetzen. Aber: Dies kann ihr nicht gelingen; sie ist zu ungefährlich, ein politischer Zwerg. Es liest sich, als seien die Richter zur Auffassung gelangt, dass die NPD zu unbedeutend für ein Parteiverbot sei.

Wenn aber eine Partei, der das Bundesverfassungsgericht eine menschenunwürdige Ideologie unterstellt, nicht verboten wird, welche dann? Die Karlsruher Antwort lautet: eine Partei, die eine menschenunwürdige Ideologie vertritt - und diese auch umsetzen könnte. Weil das letzte Parteiverbot, das der KPD 1956, mehr als 60 Jahre her ist, war gemutmaßt worden, inwiefern der Senat seine Rechtsprechung ändern würde.

Ein Zeichen wohltuender Gelassenheit

1952, als das frisch gegründete Bundesverfassungsgericht die SRP, eine Nachfolgeorganisation der NSDAP, verbot, reichte die Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus als Verbotsgrund noch aus. In der gefestigten Demokratie des Grundgesetzes im Jahre 2017 mussten die Richter die Hürden höher ansetzen.

Das ist wichtig und richtig. Denn in Zeiten zunehmender Hysterie zeigt die Justiz ihre Stärke. Sie sendet (bewusst oder unbewusst) ein Zeichen wohltuender Gelassenheit. Vor allem widersteht das Bundesverfassungsgericht der Verlockung, ein Urteil mit Signalwirkung gegen die aufkeimenden Rechten in ganz Europa zu fällen.

Es hat entschieden, ob die NPD verfassungswidrig ist und wie künftig die Voraussetzungen für ein Parteiverbot aussehen. Das war seine Aufgabe. Mehr nicht. Wäre es zu einem Verbot gekommen, hätten die Rechtsextremen es vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg überprüfen lassen. Dieser hat noch höhere Hürden, als in der gestrigen Entscheidung festgelegt wurden.

Eingriff in die Chancengleichheit der Parteien

Bei alldem ist es erstaunlich, dass der Zweite Senat der Rechtsprechung des EGMR in zwei wesentlichen Punkten widerspricht. So setzten die Richter anders als Straßburg nicht voraus, dass von der NPD eine konkrete Gefahr ausgehen muss. "Konkrete Anhaltspunkte von Gewicht, die eine Durchsetzung möglich erscheinen lassen", reichen aus. Das meint irgendeine Wahrscheinlichkeit der Realisierung der verfassungsfeindlichen Pläne, aber keine konkrete Gefahr.

Der andere Unterschied zum EGMR deutet auf ein Kompetenzgerangel hin. Das Bundesverfassungsgericht hat stets seine Unabhängigkeit gegenüber dem EGMR und anderen europäischen Gerichten betont. Anders ist wohl auch nicht zu verstehen, dass der Senat ausdrücklich schreibt, er prüfe den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht.

Diese wichtige Figur des Staatsrechts ist wesentlicher Bestandteil der Rechtssprechung des EGMR. Das Bundesverfassungsgericht hätte prüfen müssen, ob ein NPD-Verbot erforderlich und geboten wäre und ob es ein milderes Mittel gegeben hätte. Die Richter hätten indes dasselbe Urteil gefällt.

Der Vorstoß von Gerichtspräsident Voßkuhle zur Änderung des Artikels 21 könnte Sanktionen für politische Parteien auch unterhalb eines Verbots einführen. Wenn eine Partei verfassungsfeindlich, aber ungefährlich ist, könnte man ans staatliche Geld gehen - so der Gedanke. Es ist ein heikler Gedanke, weil auch dies ein Eingriff in die Chancengleichheit der Parteien ist. Auch das Demokratieprinzip gebietet gleiche Möglichkeiten für alle Parteien. Es geht nicht um Gleichbehandlung, aber um gleiche Bedingungen. Ginge man nur einer Partei ans Geld, so wäre der argumentative Aufwand hierfür sehr hoch.

Gleichwohl wird sich die Politik eher an eine komplizierte Änderung des Grundgesetzes wagen als an ein neuerliches Parteiverbotsverfahren. Zwar kann niemand voraussagen, ob sich etwa die insgesamt noch eindeutig verfassungskonforme AfD radikalisiert. Aber eine politische Partei, die die Karlsruher Hürden erfüllen könnte, ist nicht in Sichtweite. Es war der vorerst letzte Schuss aus der großen Kanone.

(her)
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