Umfrage der Bertelsmann Stiftung Geringe Jobchancen für Jugendliche mit niedriger Schulbildung

Berlin · Jugendliche mit einem Ersten Schulabschluss bleiben am Ausbildungsmarkt auf der Strecke. So lautet das Ergebnis einer Umfrage der Bertelsmann Stiftung. Welche Folgen eine steigende Zahl an Ungelernten hat und wo nachgebessert werden muss.

Der Bedarf an Fachkräften ist groß, viele Ausbildungsstellen bleiben unbesetzt. Gleichzeitig fanden 35,8 Prozent der Schüler mit einem Ersten Schulabschluss im Jahr 2020 keinen Ausbildungsplatz.

Der Bedarf an Fachkräften ist groß, viele Ausbildungsstellen bleiben unbesetzt. Gleichzeitig fanden 35,8 Prozent der Schüler mit einem Ersten Schulabschluss im Jahr 2020 keinen Ausbildungsplatz.

Foto: dpa/Patrick Pleul

Wie geht es nach dem Schulabschluss weiter? Die Suche nach einem passenden Beruf stellt viele Jugendliche vor große Herausforderungen. Während die einen jedoch noch unentschlossen sind, haben die anderen ein klares Ziel vor Augen: eine Ausbildung. Die offenen Stellen sind zahlreich, der Ausbildungsmarkt ist groß – und die Enttäuschung auch. Denn die Aussichten auf einen Ausbildungsplatz sind nicht für alle selbstverständlich.

Die Bertelsmann Stiftung und die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung haben sich in einer Umfrage den Ausbildungs- und Zukunftsperspektiven von Jugendlichen mit niedriger Schulbildung gewidmet. Das Ergebnis: Ihre beruflichen Perspektiven sind schlecht – und werden noch schlechter. Das hat nicht nur Folgen für die persönliche Zukunft der Jugendlichen, sondern auch für den Arbeitsmarkt.

Die Beschäftigungsmöglichkeiten für Jugendliche, die keinen oder maximal einen Ersten Schulabschluss – ehemals Hauptschulabschluss – vorzuweisen haben, werden bis 2030 abnehmen. Zu dieser Einschätzung gelangen 61 Prozent der befragten Experten. Insgesamt 100 Vertreter aus Wirtschaft, Verwaltung, Bildungspraxis, Wissenschaft und Gesellschaft gaben im Rahmen der Befragung eine Prognose zu den Ausbildungs- und Zukunftsperspektiven der Jugendlichen mit niedrigem Abschluss ab.

 61 Prozent der Experten gehen davon aus, dass die Beschäftigungsmöglichkeiten für Jugendliche mit niedriger Schulbildung bis 2030 abnehmen.

61 Prozent der Experten gehen davon aus, dass die Beschäftigungsmöglichkeiten für Jugendliche mit niedriger Schulbildung bis 2030 abnehmen.

Foto: Bertelsmann Stiftung | Deutsche Kinder- und Jugendstiftung

Dabei ist das Interesse groß: Drei Viertel dieser Jugendlichen, die maximal einen Ersten Abschluss gemacht hatten, wollen eine Ausbildung oder Lehre absolvieren. Auch die Experten betonen die Bedeutung einer dualen Berufsausbildung, die den Jugendlichen sowohl Theorie aus auch Praxis vermittelt. Mehr als ein Drittel – 35,8 Prozent der Schüler mit Erstem Schulabschluss – fanden jedoch keinen Platz – trotz vieler unbesetzter Ausbildungsstellen.

Für die nächsten Jahre prognostizieren die Experten keine Besserung – im Gegenteil. Die Hälfte der Fachleute geht von einem Anstieg der Zahl an Ungelehrten bis 2030 aus. Gleichzeitig werden die Erwartungen größer: Die Anforderungen in den Ausbildungsberufen werden schwieriger. Zumindest gehen 53 Prozent der Befragten davon aus. Die Folge ist eine ungleiche Verteilung auf dem Ausbildungsmarkt: Auf der einen Seite die zahlreichen Betriebe, die nach Fachkräften suchen, auf der anderen Seite die vielen Schulabsolventen ohne berufliche Aussichten. 85 Prozent der Befragten rechnen damit, dass auch 2030 Ausbildungsstellen unbesetzt bleiben, während viele Bewerber unversorgt sind.

„Wir müssen allen jungen Menschen eine verlässliche Ausbildungsperspektive bieten“, sagt Clemens Wieland, Ausbildungsexperte bei der Bertelsmann Stiftung. Er fordert die Bundesregierung dazu auf, die im Koalitionsvertrag formulierte Ausbildungsgarantie schnell und wirkungsvoll umzusetzen.

Die Experten wiederum sehen vor allem in der schulischen Berufsorientierung Verbesserungspotenzial: Fast 90 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass ein besseres Angebot die Jobchancen der Jugendlichen erhöht. Das heißt: Die Berufsorientierung muss individueller, verbindlicher und praxisnäher gestaltet werden. Dazu sollte zum Beispiel Berufsorientierung eine größerer Teil in der Ausbildung von Lehrkräften werden. Gleichzeitig plädieren die Befragten für mehr Praxiserfahrungen und Einblicke in den Arbeitsalltag von Betrieben.

Doch auch der Übergang von der Schule in die Berufswelt spielt eine entscheidende Rolle. An dieser Phase sind verschiedene Einrichtungen, wie Jugendhilfen, Schulen und Betriebe, Agenturen für Arbeit oder Jobcenter, beteiligt – doch nur unzureichend vernetzt. 28 Prozent der befragten Fachleute sehen in der mangelnden Abstimmung dieser Akteure den Grund dafür, dass der Übergang in die Ausbildung nicht gelingt. Um einen besseren Übergang zu ermöglichen, plädieren 83 Prozent der Experten für eine dauerhafte und individuelle Begleitung der Jugendlichen.

„Es braucht endlich entschlossenes Anpacken, um wirklich allen Jugendlichen die Chance auf eine Ausbildung und damit individuelle Entwicklungsmöglichkeiten zu eröffnen“, fordert Andreas Knoke, Abteilungsleiter Programme bei der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung. Denn neben dem Fachkräftemangel stehe auch die Zukunft der Jugendlichen auf dem Spiel.

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