Gekippte Osterruhe Mission Scherbenhaufen

Berlin · Angela Merkel ist intern angeschlagen und geht hart mit sich ins Gericht. Nach außen aber wirkt die Kanzlerin bei ihrem Auftritt im Bundestag stark. Und erntet Beifall. Eine Einordnung.

 Die Kanzlerin am Mittwoch im Bundestag.

Die Kanzlerin am Mittwoch im Bundestag.

Foto: AP/Markus Schreiber

Es ist ihr Tag. Angela Merkels Schicksalstag. Die Kanzlerin hat einen solchen in dieser Form in mehr als 15 Jahren Amtszeit noch nicht erlebt. Die Regierungschefin bittet die Deutschen um Entschuldigung. In einer Form, die ihresgleichen sucht. „Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler“, sagt Merkel am Mittwoch vor der blauen Wand im Kanzleramt nach einer überraschenden Video-Schalte mit den 16 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten.
„Ich weiß, dass dieser gesamte Vorgang zusätzliche Verunsicherung auslöste. Das bedauere ich zutiefst. Dafür bitte ich alle Bürgerinnen und Bürger um Verzeihung.“ Der Anlass für diesen Schritt ist die massive Kritik, die die „Osterruhe“ im Land ausgelöst hat.Merkel ist deutlich, hart gegen sich selbst, aber – im Gegensatz zu den Pressekonferenzen bei den vergangenen Ministerpräsidentenkonferenzen – auch erstaunlich klar. Keine Verklausulierungen, keine wissenschaftlichen Ausflüge. Die einfache Formulierung hat wieder Einzug gehalten. Merkel geht hart mit sich selbst ins Gericht: Am Ende trage sie für alles die letzte Verantwortung. „Qua Amt ist das so.“ Ein Fehler müsse als solcher benannt und vor allem korrigiert werden – „und wenn möglich hat das noch rechtzeitig zu geschehen“, sagt sie weiter. Die Idee der Ruhezeit sei „mit bester Absicht entworfen worden“. „Dennoch war die Idee der sogenannten Osterruhe ein Fehler.
Sie hatte ihre guten Gründe, war aber in der Kürze der Zeit nicht gut genug umsetzbar, wenn sie überhaupt jemals so umsetzbar ist, dass Aufwand und Nutzen in einem halbwegs vernünftigen Verhältnis stehen“. Es ist ein klares Schuldeingeständnis. Ausflüchte gibt es nicht.Rückblick: Am Montag hatten die Regierungschefs der Länder mit Merkel mehr als elf Stunden verhandelt. In einer mehrstündigen Unterbrechung der großen Runde legt Merkel im Gespräch mit wenigen Ausgewählten die Idee des kurzen Oster-Lockdowns auf den Tisch. Unter den Beteiligten: Vizekanzler Olaf Scholz (SPD), der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Michael Müller (SPD), und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Wichtige Teilnehmer der großen Runde wie etwa Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sollen davon erst Stunden später erfahren haben.
Am Ende aber, gegen halb drei in der Nacht, tragen alle 16 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten die Entscheidung mit, durch die von Gründonnerstag bis Ostermontag eine „erweiterte Ruhezeit zu Ostern“ verhängt werden soll. Nur am Karsamstag sollten Supermärkte und andere Lebensmittelgeschäfte öffnen können.Was danach folgte, war ein Sturm der Entrüstung. Aus mehreren Ländern hieß es, Unternehmen hätten Fragenkataloge an die Staatskanzleien geschickt, wie sie mit dem Gründonnerstag umgehen sollten. Milchbetriebe etwa hätten darauf hingewiesen, dass sie nicht mal eben einen weiteren Feiertag einplanen könnten. Auch aus verschiedenen Bundesministerien habe es Kritik gegeben, dass die Beschlüsse so nicht umsetzbar seien. Das Chaos war perfekt, der politische Schaden groß.
Nicht nur bei den Ministerpräsidenten, die in diesem Jahr noch eine Wahl gewinnen wollen. In der Videoschalte am Mittwoch heißt es dann von Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther selbstkritisch, man müsse nun sicherstellen, dass nicht jeder vor die Kamera trete und mitteile, dass er selbst ja davor gewarnt habe. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD), in den MPK-Runden eine Verbündete von Günther wegen gemeinsamer Interessen am Küstentourismus, sagte, sie habe Respekt vor der Entscheidung der Kanzlerin, den Fehler einzugestehen. Aber sie wolle auch deutlich sagen, dass man so nicht arbeiten könne. Das zerstöre Vertrauen. „Wir können in der Pandemie über alle Vorschläge reden, das müssen wir auch. Aber alles muss gut vorbereitet und offen besprochen werden“, soll Schwesig gesagt haben. Sie habe in der MPK-Nacht vorgeschlagen, zu unterbrechen und die rechtliche und praktische Umsetzung des Vorschlags zu prüfen. „Ich bedaure, dass es zurückgewiesen wurde“, so Schwesig in der von Merkel anberaumten Schalte am Mittwoch. Zurücknehmen allein reiche nicht, man müsse auch sagen, wie es weitergehen solle.
Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) sagt in der Schalte, dass alle die Verantwortung trügen – schließlich habe jeder zugestimmt.Merkel hat sich vor dem Schritt lange mit ihren engsten Vertrauten beraten. Sie zeigt am Mittwoch die Fähigkeit, kurzfristig das Ruder herumzureißen. Zugleich wird sehr deutlich, dass sie in den eigenen Reihen zur Getriebenen wurde. Die Unionsfraktion war am Dienstag gegen sie aufgestanden. Es ist zwar Merkels Scherbenhaufen, so die öffentliche Wahrnehmung, der mit einem Autoritätsverlust in der Union einhergeht. Zugleich könnte sie aber persönliche Zustimmung gewinnen mit ihrem Auftritt, lautet das politische Kalkül. Und sie wendet Schaden von der politischen Klasse insgesamt ab. Dieser Punkt ist ihr wichtig.Dieser Eindruck verstärkt sich, als Merkel unmittelbar nach ihrem Statement zum Reichstagsgebäude fährt und dort den Bundestagsabgeordneten Rede und Antwort steht.
Merkel wiederholt ihre Entschuldigung. Parteiübergreifend erntet sie dafür Respekt. Dennoch: Linke, FDP und AfD fordern die Kanzlerin auf, im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen. Sie müsse sich vergewissern, ob sie überhaupt noch den Rückhalt der eigenen Fraktion und der SPD habe. Merkel geht darauf nicht ein. Stattdessen klatschen die Unionsabgeordneten demonstrativ Beifall für Merkel. Ein denkwürdiger Tag.