Interview mit Norbert Lammert "Gauck ist ein beachtlicher Vorschlag"

Berlin (RP). Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) über die Umstände des Rücktritts von Bundespräsident Horst Köhler, seine eigenen Ambitionen für das höchste Staatsamt und die Schwierigkeiten einer Regierungsbildung in Nordrhein-Westfalen.

Interview mit Norbert Lammert: "Gauck ist ein beachtlicher Vorschlag"
Foto: ddp

Sie wurden als möglicher Bundespräsident gehandelt. Sind Sie enttäuscht?

Lammert Im Gegenteil. Ich bin froh und erleichtert, dass ich in meinem Amt mit seinen politischen Gestaltungsmöglichkeiten bleiben kann, in dem ich mich ausgesprochen wohl fühle.

Die Nominierung verlief unglücklich.

Lammert Die Ausgangssituation war unglücklich. Man darf für eine solche, für niemanden vorhersehbare Herausforderung nicht sofort Verfahrensabläufe erwarten, die über jeden Zweifel erhaben sind. Alle Beteiligten haben sich mit Erfolg Mühe gegeben, der Situation gerecht zu werden.

Muss das höchste Staatsamt stets in Parteientaktik vergeben werden?

Lammert Seit Beginn der Bundesrepublik haben wir für das Amt des Bundespräsidenten immer sehr unterschiedliche Kandidaturen gehabt, sowohl von der Anzahl her wie auch von ihrer parteipolitischen Zuordnung. Es ist natürlich kein Zufall, dass bisher ausnahmslos vorhandene Mehrheiten in der Bundesversammlung auch einen Repräsentanten der jeweiligen Mehrheit ins Amt gewählt haben. So beachtlich ich den Vorstoß der Opposition im Bundestag auch finde, Joachim Gauck für dieses Amt vorzuschlagen, so darf ich doch daran erinnern, dass die gleichen Parteien, als sie 1999 in der Bundesversammlung eine Mehrheit hatten, Johannes Rau vorgeschlagen haben und nicht Joachim Gauck.

Horst Köhler hat auch Sie vor seinem Rücktritt angerufen. Haben Sie versucht, ihn umzustimmen?

Lammert Ich habe bei diesem Anruf deutlich gemacht, dass ich seine Überlegungen verstehen und seine Verletzungen nachempfinden kann, dass es mir aber schwerfällt, diese Entscheidung gegen das Amt zu akzeptieren, weil es sich dabei nicht um eine Privatangelegenheit handelt. Er hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass er mich über eine gefallene Entscheidung informieren und nicht darüber diskutieren wolle. Insofern war jeder Versuch, ihn von seinem Schritt abzubringen, ohne Erfolgsaussicht.

Viele sehen nun eine Staatskrise.

Lammert Der plötzliche, für alle überraschende Rücktritt eines amtierenden Staatsoberhauptes ist in jeder denkbaren Situation ein schwieriges Ereignis. Unter den schwierigen Bedingungen, unter denen wir im Augenblick Politik machen, gilt das in besonderer Weise. Aber eine Staatskrise ist demnach nicht entstanden.

Ist die Lehre, dass Präsidenten stärker ihre Amtspflicht vor persönliche Motive stellen müssen?

Lammert Ich wünsche mir, dass dieses Ereignis bei allen Beteiligten zur selbstkritischen Befragung des eigenen Umgangs mit öffentlichen Ämtern führt. Das gilt für Amtsinhaber, für Bewerber, für politische Parteien, aber auch für die Medien.

Hätte die Regierungskoalition selbst auf Joachim Gauck kommen können?

Lammert Das müssen Sie die Parteivorsitzenden fragen.

Aber wie finden Sie ihn?

Lammert Das ist ein beachtlicher Vorschlag. Es spricht sehr für die Vitalität unseres politischen Systems, dass wir unter Aufrechterhaltung des für die Demokratie konstitutiven Konkurrenzprinzips in der Lage sind, für solche Ämter Persönlichkeiten zu gewinnen, die unabhängig vom Wahlausgang dafür wichtige Voraussetzungen mitbringen.

Die Rücktritte häufen sich. Ist die Politik härter geworden, oder sind die Politiker zu sanft?

Lammert Auch das lässt sich nicht verallgemeinern. Die Verhältnisse sind komplizierter. Globalisierung und Europäisierung haben die Rahmenbedingungen für Politik und Politiker grundlegend verändert. Insofern sind die Anforderungen auch höher.

In NRW gibt es immer noch keine Regierung. Schadet das der Politik?

Lammert Ich habe den Eindruck, dass das bisher in einer seriösen und sorgfältigen Weise erfolgt. Die Entscheidung der Wähler hat nun einmal zu besonders komplizierten Mehrheitsverhältnissen geführt. Das macht es für alle Beteiligten nicht leicht. Dass man die Möglichkeiten einer wirklich tragfähigen und belastbaren parlamentarischen Mehrheit sorgfältig zu ermitteln versucht, das ist nun wirklich nicht zu beanstanden. Ich hoffe nur sehr, dass das bei niemandem mit der heimlichen Präferenz zur Herbeiführung von Neuwahlen erfolgt, dass also das Scheitern von Sondierungen das programmierte Ziel der eigentlichen Operation ist. Das würde ganz sicher die Akzeptanz politischer Prozesse und die Strahlkraft von politischen Parteien in der Wahrnehmung der Wählerinnen und Wähler nicht befördern.

Michael Bröcker und Gregor Mayntz führten das Gespräch.

(fb)
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