Bundespräsident am Tag der deutschen Einheit in Stuttgart Gauck formuliert Aufgaben für die neue Regierung

Stuttgart · Die wichtigsten Repräsentanten der Republik versammeln sich am Tag der deutschen Einheit in Stuttgart. Bundespräsident Joachim Gauck nutzt die Gelegenheit, um der kommenden Regierung ein paar Aufgaben ins Stammbuch zu schreiben. So soll Deutschland eine größere Rolle in der Welt übernehmen. Den Datenschutz möchte er so bedeutsam behandelt sehen wie den Umweltschutz.

Gauck und Merkel beim Einheitsfest in Stuttgart
6 Bilder

Gauck und Merkel beim Einheitsfest in Stuttgart

6 Bilder

Tag der deutschen Einheit: Am Nationalfeiertag finden die zentralen Feierlichkeiten in Stuttgartstatt, Die Chefs der wichtigsten Verfassungsgremien sind gekommen. Angela Merkel für die Bundesregierung, Bundesratspräsident und Gastgeber Winfried Kretschmann, Bundestagsspräsident Norbert Lammert, Bundesverfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle und - nicht zu vergessen - der formal Oberste im Staate, Bundespräsident Joachim Gauck.

Dessen Aufgabe ist es traditionell, Denkanstöße zu geben und weiter vorauszugriefen, als die an die Tagespolitik gekoppelten Parteien. So füllt er auch an diesem 3. Oktober sein Amt aus.

Gauck zu den Zukunftschancen der Republik Bundespräsident Joachim Gauck hat am Tag der Einheit vor den Gefahren einer alternden Gesellschaft in Deutschland gewarnt. "Wenn die Gesellschaft der Wenigeren nicht eine Gesellschaft des Weniger werden soll, dann dürfen keine Fähigkeiten brach liegen", sagte Gauck am Donnerstag in seiner Festrede in Stuttgart.

Die neue Bundesregierung und der neue Bundestag müssten dafür sorgen, dass sozial Schwächere eine gute Bildung erhielten. "Jeder Einzelne ist mit ganz eigenen Möglichkeiten geboren — in Thüringen oder Kalabrien, in Bayern oder Anatolien. Diese Fähigkeiten gilt es zu entdecken, zu entwickeln und Menschen sogar aus niederdrückender Chancenlosigkeit zu holen."

Gauck über Deutschlands Rolle in der Welt Ausdrücklich ermutigt der Bundespräsident die nächste Bundesregierung, sich international stärker zu engagieren. "Unser Land ist keine Insel", sagte Gauck am Donnerstag beim Festakt zum Tag der Deutschen Einheit in Stuttgart. "Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, wir könnten verschont bleiben von den politischen und ökonomischen, den ökologischen und militärischen Konflikten, wenn wir uns an deren Lösung nicht beteiligen." Zwar möge er sich nicht vorstellen, dass Deutschland sich groß mache und andere Länder bevormunde. "Ich mag mir aber genau so wenig vorstellen, dass Deutschland sich klein macht, um Risiken und Solidarität zu umgehen."

Gauck zu Europa Die Einheit Europas hält Gauck nicht für gefährdet. "Ein starkes Band aus Mentalität, Kultur und Geschichte hält Europa zusammen", sagte er. Entscheidend sei der unbedingte Wille zur gemeinsamen Gestaltung der Zukunft. "Wir haben zu streiten und zu diskutieren über die beste Form der Zusammenarbeit, nicht aber über den Zusammenhalt Europas!"

Die Zustimmung zu mehr Vergemeinschaftung nehme ab, räumte Gauck aber auch ein. "Ohne Zweifel ist das Europa in der Krise nicht mehr das Europa vor der Krise. Risse sind sichtbar geworden." Die Krise habe Ansichten und Institutionen verändert, Kräfte und Mehrheiten verschoben. Nationale Regierungen bestimmten wesentlich die Agenda.

Gauck zum Datenschutz Der Bundespräsident fordert vor dem Hintergrund der NSA-Spähaffäre eine grundlegende Neubewertung des Datenschutzes gefordert. "So sollte der Datenschutz für den Erhalt der Privatsphäre so wichtig werden wie Umweltschutz für den Erhalt der Lebensgrundlagen", sagte Gauck. Als "aufgeklärte und ermächtigte Bürger" müssten die Deutschen jetzt handeln.

Gauck sagte, durch die Möglichkeiten des Internet und der mobilen Kommunikation befinde sich die Welt inmitten eines Epochenwechsels. Für dessen Gestaltung sei in Deutschland eine breite Debatte nötig. Es müssten politische und gesellschaftliche, ethische und praktische Lösungen gesucht werden. Es müsse überlegt werden, was der Staat im Geheimen mit Hilfe seiner Nachrichtendienste für den Schutz der Bürger tun dürfe. Es müsse aber auch überlegt werden, was er nicht tun dürfe, weil sonst die Freiheit der Sicherheit geopfert werde.

Auch seien Regelungen für den Arbeitsmarkt nötig, um den allzeit verfügbaren Menschen nicht zum "digitalen Untertan" zu machen, sagte der Bundespräsident. "Wir brauchen also Gesetze, Konventionen und gesellschaftliche Verabredungen, die diesem epochalen Wandel Rechnung tragen."

Gauck über die DDR Gauck erinnerte in seiner Rede an die Ohnmacht in der DDR und den Freiheitswillen der Ostdeutschen. Für ihn selbst sei die deutsche Wiedervereinigung und der Weg dorthin die "beglückendste Zeit" gewesen, sagte der ehemalige Bürgerrechtler.

(dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort