Ist ein Gas-Importstopp für Deutschland verkraftbar? „Verbraucher werden einen Pullover anziehen“

Düsseldorf · Die Bundesregierung lehnt ein Energie-Embargo derzeit noch ab, weil Deutschland insbesondere beim Gas abhängig von Russland ist. Nun hat eine Studie von renommierten Forschern ermittelt, was ein Importstopp für Deutschland bedeuten würde.

 Erdgas-Verdichter: Wer dreht den Gashahn zu?

Erdgas-Verdichter: Wer dreht den Gashahn zu?

Foto: dpa/Patrick Pleul

Unermüdlich kämpft der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj für mehr Unterstützung durch den Westen und wünscht sich härtere Sanktionen. Am Montag hat er die Deutschen erneut zu einem Boykott von russischem Gas aufgerufen. „Ohne Handel mit Ihnen, ohne Ihre Unternehmen und Banken wird Russland kein Geld für diesen Krieg haben“, sagte Selenskyj in einer Videobotschaft. „Sponsert bitte nicht die Kriegsmaschine von Russland.“ Es dürfe keinen Euro für die Besatzer geben.

Die Bundesregierung lehnt ein Energie-Embargo derzeit noch ab, weil Deutschland insbesondere beim Gas abhängig von Russland ist. Nun hat eine Studie von renommierten Forschern ermittelt, was ein Importstopp für Deutschland bedeuten würde. „What if?“ (Was wäre, wenn?), ist sie überschrieben, die unter anderem Moritz Schularick (Universität Bonn) und Benjamin Moll (London School of Economics) verfasst haben. „Die Effekte sind einschneidend, aber beherrschbar“, so die Forscher.

Russland ist der wichtigste Lieferant für Öl, Kohle und Gas: 35 Prozent der deutschen Öl-Importe kommen von dort, bei der Steinkohle sind es 50 Prozent. Dennoch sind die Autoren optimistisch: „Die Importe von Öl und Kohle aus Russland können durch andere Länder substituiert werden.“ Das Hauptproblem, das auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) umtreibt, ist das Gas: Hier steht Russland für 55 Prozent der Importe, und es kommt allem Pipeline-gebunden. Entsprechend schwer lassen sich russische Importe ersetzen. Die Forscher unterstellen nun, dass es beim Erdgas eine Lücke von 30 Prozent gibt, die nicht anderweitig gedeckt werden kann, und ermitteln die Folgen: „Bei einer geringen Anpassung (Elastizität) der Haushalte ergibt sich ein Wachstumsrückgang beim Bruttoinlandsprodukt um 2,0 bis 2,5 Prozentpunkte“, sagte Schularick. Das entspräche einem Rückgang des Pro-Kopf-Sozialprodukts um 1000 Euro. „Bei einer höheren Elastizität sind es weniger als ein Prozentpunkt und 80 bis 120 Euro pro Kopf weniger.“

Der Forscher betont: „Ein Energie-Embargo gibt es nicht zum Nulltarif, aber es ist machbar. Wenn die Energiepreise steigen, werden die Verbraucher ihr Verhalten anpassen – sie werden die Heizung herunterdrehen, einen Pullover anziehen, ihr Haus besser dämmern oder die Heizung austauschen.“ Auch von der Wirtschaft fordert er Anpassungen: „Auch für die Wirtschaft ist ein Embargo verkraftbar. Dann kommt der Dünger, dessen Herstellung energieintensiv ist, eben nicht mehr aus Deutschland, sondern etwa aus Kanada. Und eine BASF, die Gas stofflich und zur Wärmeerzeugung braucht, muss man dann möglicherweise eben vorübergehend verstaatlichen, so wie man in der Corona-Krise auch eine Lufthansa verstaatlich hat“, sagt Schularick.

Sinnvoll wäre es, wenn die Industrie ihre Energie in die Anpassung auf eine Welt mit weniger Gasangebot und höheren Gaspreisen stecken würde. Mit Blick auf Habeck sagte er: „Durch ein Embargo bekämen wir eine mittelschwere Rezession, ähnlich wie bei Corona, aber keine Massenarmut, wie Bundeswirtschaftminister Habeck fürchtet“, so der Bonner Forscher.

 Das ist die Sicht der Forscher, die mit theoretischen Modellen die Wirkung eines Embargos untersuchen, In den Unternehmen, vor allem den energieintensiven Aluminium-, Stahl- und Chemie-Unternehmen ist man alarmiert. In einem Schreiben bedanken sich Chemie-Chefs bei Habeck für dessen „differenzierte Argumentation“ und sagen ihm zu, alles zu tun, „damit die Wertschöpfungsketten in unserer Gesamtwirtschaft auch in der Krise intakt bleiben“. Initiator ist der Chemieverbands-Chef Christian Kullmann, unterzeichnet haben Bayer-Chef Werner Baumann, Lanxess-Chef Matthias Zachert, Covestro-Chef Markus Steilemann und BASF-Chef Martin Brudermüller. Auch die Chefs von RWE und Eon warnen vor einem Embargo.  

 Habeck bemüht sich derzeit, neue Gaslieferanten zu gewinnen, unter anderem in Katar. Da es möglich ist, dass die Russen ihrerseits die Gaslieferung stoppen, wird parallel mit der Netzagentur überlegt, welche Unternehmen im Notfall als erstes vom Netz genommen werden sollen. Hierzu sitzen Vertreter des Ministeriums, der Netzagentur und des Energieverbands BDEW bereits zusammen. Ein Kaskaden-Plan sieht vor, dass im Notfall als erstes Industriekunden abgeschaltet werden, Haushalte und Krankenhäuser wären als letztes dran.

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