Regionalkonferenz in Bruchsal Gabriel wirbt für Große Koalition

Bruchsal · Groß ist die Skepsis der SPD-Basis gegen eine große Koalition. Die Parteiführung wirbt in zwei Tagen auf vier Regionalkonferenzen für die Chancen des angestrebten Koalitionsvertrags. Doch wird das reichen?

 Sigmar Gabriel bekam in Bruchsal viel Applaus.

Sigmar Gabriel bekam in Bruchsal viel Applaus.

Foto: dpa, Uli Deck

Der Saal ist brechend voll - hinten haben sie noch ein paar Wände rausgeschoben, um Nachzüglern Platz zu bieten. Parteichef Sigmar Gabriel kommt mit 20 Minuten Verspätung zur SPD-Regionalkonferenz nach Bruchsal bei Karlsruhe.

Die rund 350 Mitglieder empfangen ihn mit viel Applaus - trotz des unangenehmen Themas, über das der Vorsitzende mit ihnen an diesem Samstag sprechen will: die wohl anstehende große Koalition im Bund und das geplante Mitgliedervotum über einen Koalitionsvertrag, der - so Union und SPD sich zusammenraufen - Mitte der Woche vorliegen soll.

"Vielen Dank, dass ihr das wohlverdiente Wochenende nicht genießt, sondern euch mit mir rumschlagen müsst", eröffnet Gabriel seine Rede - und erntet Gelächter. Er kommt schnell zur Sache und redet über die Agenda 2010, die - in der Erinnerung vieler Mitglieder - gegen all das verstoßen habe, was Sozialdemokraten bewege. Zustimmendes Nicken bei einigen Zuhörern. Und über Schwarz-Rot von 2005 bis 2009 sagt er: "Leider ist die Erinnerung nicht, dass die letzte große Koalition das Land durch die schwerste Wirtschafts- und Finanzkrise seit der Weimarer Republik geführt hat." Schweigen auf beiden Seiten.

Punkt für Punkt geht Gabriel nun die Liste der Themen durch, die die SPD auf ihrem Parteikonvent als Ziele für die Verhandlungen beschlossen hat. Dann erklärt der Parteichef, was Chancen auf Umsetzung habe: ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 in Deutschland etwa. Und die abschlagsfreie Rente mit 63. Und die Frauenquote in Aufsichtsräten von Unternehmen. Die Liste ist lang. "Über all das verhandeln wir konkret - ohne Finanzierungsvorbehalte und ohne Prüfaufträge", ruft Gabriel. Und er fragt mit gesenkter Stimme: Soll man all dies - wenn es zum Koalitionsvertrag gehört - wirklich ablehnen? Nur, weil die SPD die Koalition mit der Union fürchtet?

"Ich finde sehr verständlich, dass die SPD keine Lust hat, mit der CDU zu regieren. Aber die Lust, die Dinge zu verbessern in Deutschland für die Menschen, sollte sie schon beibehalten", endet Gabriel. Denn sonst sei die SPD eine andere Partei, keine Volkspartei mehr, die sich darum kümmert, das Wohl von Millionen Menschen zu verbessern, sondern die nur noch ihr eigenes Befinden zum Maßstab nimmt. Allerdings, räumt er ein, seien die SPD-Vorstellungen zu Steuererhöhungen nicht durchsetzbar - und wohl auch nicht die zur Gleichstellung homosexueller Paare bis hin zum vollen Adoptionsrecht.

Die SPD-Mitglieder stehen Schlange, um ihrem Chef Fragen zu stellen. Sie zeugen überwiegend von Zweifeln und Unentschlossenheit, aber durchaus auch von der Bereitschaft, sich überzeugen zu lassen.
Eigentlich sei er ja hergekommen, um gegen den Koalitionsvertrag zu reden, sagt ein Genosse aus dem Schwarzwald. "Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich das werde nach deiner emotionalen und ehrlichen Rede."

Später entspinnt sich eine lange Debatte über vermeintliche Alternativen. Geht da nicht doch was mit Grünen, Linken und SPD? Kann man den Grünen nicht das Regieren mit der Union überlassen? Und was ist eigentlich mit der Möglichkeit einer Minderheitsregierung?

Vor allem ein junger Mann schreit dem SPD-Chef quer durch den Saal immer wieder seine Argumente entgegen. "Du bist ein netter Kerl. Aber ich muss da jetzt mal zwischengehen", poltert Gabriel. Wie man denn bitteschön SPD-Politik im Bundestag durchsetzen wolle, wenn es dort keine Regierungsbeteiligung der SPD gebe? "Wie geht das?" Und bei einer Minderheitsregierung? "Dann gibt es Neuwahlen", ruft Gabriel - und spricht vom "Risiko der SPD, unter 20 Prozent zu gehen". Und: "Ich kann einfach nicht durchgehen lassen, dass man so tut, als ob SPD-Politik vom Himmel fällt. Das tut sie nicht. Dafür muss man hart arbeiten, Konflikte eingehen."

Nach zweieinhalb Stunden scheint die Lage zumindest in Bruchsal bereinigt. Der Parteichef verlässt den Saal unter langem Applaus. Viele Mitglieder klatschen im Stehen - und versprühen gute Laune.

(dpa)
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