Weiter Wirbel um Bundesbanker Gabriel: Sarrazin missachtet deutsche Leitkultur

Stuttgart (RPO). Die von Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin losgeschlagene Integrationsdebatte reißt nicht ab: Der baden-württembergische Integrationsbeauftragte und Justizminister Ulrich Goll (FDP) nannte Sarrazin einen "Rattenfänger" und SPD-Chef Sigmar Gabriel verschärfte seine schon geäußerte Missbilligung: "Sarrazins Menschenbild missachtet meiner Meinung nach die deutsche Leitkultur."

Presse: Sarrazin hat es geschafft
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Foto: ddp

Goll hatte zuvor davor gewarnt, einseitig auf Sanktionen gegen Integrationsunwillige zu setzen. Er kritisierte bei der Vorstellung seines Tätigkeitsberichts als Integrationsbeauftragter für die Jahre 2008 bis 2010 die umstrittenen Thesen Sarrazins scharf und nannte das SPD-Mitglied einen "Rattenfänger". "Ich sehe die Dinge anders, was die Beurteilung der Lage und die Schlussfolgerungen angeht", sagte er.

Goll betonte, er weigere sich, auf Grundlage von Sarrazins Theorien zu diskutieren. Dass viele Einwanderer von Sozialhilfe lebten, sei bekannt. "Dazu muss ich nicht fragwürdige Theorien über vererbbare Intelligenz aufstellen", fügte er hinzu. Das Buch Sarrazins enthalte - soweit er dies gehört habe - "gefährliche Irrtümer". Er habe keine Lust, es zu lesen.

Gabriel: Sarrazin steht gegen die deutsche Leitkultur

SPD-Chef Sigmar Gabriel hat die Kritik an seinem Parteikollegen Thilo Sarrazin unterdessen verschärft. "Sarrazins Menschenbild missachtet meiner Meinung nach die deutsche Leitkultur", sagte Gabriel der "Mittelbayerischen Zeitung". "Die steht nämlich in der Verfassung und da heißt es in Artikel 1: 'Die Würde des Menschen ist unantastbar.'"

Sarrazin habe als zentralen Grund für die Misserfolge in der Integration eine angebliche Vorbestimmtheit ganzer Völker und Kulturen durch Vererbung und die menschlichen Gene angegeben. "Dieses Menschenbild ist es, das mit den Werten der SPD nicht vereinbar ist", sagte Gabriel. Zwar habe Sarrazin das Recht, diese Behauptungen aufzustellen. Doch müsse die SPD nun entscheiden, ob dieses Menschenbild zur Partei passe. "Wir sind nicht beliebig, wir sind eine Wertegemeinschaft", sagte Gabriel.

Der Berliner SPD-Landesvorstand hatte am Montag ein Parteiordnungsverfahren gegen Sarrazin beschlossen. Der Vorstand der Bundes-SPD will in der nächsten Woche nachziehen. Um deutlich zu machen, dass sich das Verfahren nicht grundsätzlich gegen Kritik an Integrationsmängeln richtet, soll das Thema nun auch auf dem Bundesparteitag Ende September zur Sprache kommen.

Nach Einschätzung des Berliner Parteienforschers Oskar Niedermayer wird der geplante Ausschluss von Thilo Sarrazin aus der SPD erhebliche negative Auswirkungen für die Partei haben. "Mit der Entscheidung, Sarrazin möglichst schnell auszuschließen, statt seine Thesen zum Anlass für eine offene und kritische innerparteiliche Debatte - auch mit ihm selbst - über die Fehlentwicklungen bei der Integration zu nehmen, torpediert die Parteiführung ihre eigene Zielsetzung, und das wird ihr bei vielen Anhängern und Wählern schaden", sagte der Professor an der Freien Universität "Handelsblatt Online".

Die Parteispitze habe einen Fehler begangen, zur schärfsten möglichen Sanktion gegen einen Genossen zu greifen. "Die SPD hatte ja gerade erkannt, dass eine Ursache für ihre Probleme darin liegt, dass sie sich zu weit von der konkreten Lebenswelt und den alltäglichen Ängsten und Sorgen ihrer Wähler entfernt hat, und wollte dies in Zukunft ändern", sagte er. Nun sei allerdings bei vielen an der Parteibasis der Eindruck entstanden, hier solle jemand, der sich traut, unbequeme Wahrheiten zu verkünden, mundtot gemacht werden.

Viele Berliner stimmen Sarrazin zu

Knapp die Hälfte aller Berliner stimmt einer Umfrage zufolge den Thesen von Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin über muslimische Einwanderer zu. Die andere Hälfte lehnt die umstrittenen Aussagen, wonach die Zuwanderung von Muslimen Deutschland mehr Nachteile als Vorteile bringt, ab. Das geht aus einer infratest-dimap-Umfrage im Auftrag von "Berliner Morgenpost" (Mittwochausgabe) und RBB-"Abendschau" hervor. Befragt wurden den Angaben zufolge 1000 wahlberechtigte Berliner.

16 Prozent sagten, sie stimmten Sarrazins Kernthesen "voll und ganz" zu, 31 Prozent gaben ihm eher recht. 23 Prozent stimmten ihm "eher nicht" zu, 26 Prozent ganz und gar nicht, berichtete die Zeitung am Dienstag vorab. Auffällig sei die geringe Zustimmung, die Sarrazin in der Gruppe der 25- bis 34-Jährigen erfahre. Nur jeder Vierte teile sein Misstrauen gegenüber Muslimen.

(DDP/Reuters/dapd)
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