Krawalle bei G20 in Hamburg Der Mob tobt stundenlang im Schanzenviertel

Hamburg · Gewaltexzesse, Anarchie, Hass: Hamburg hat die zweite Nacht mit schweren Ausschreitungen hinter sich. Im Szeneviertel Schanze plünderten Autonome Geschäfte, zerstörten Einrichtungen und zündeten Feuer an. Erst als die Polizei mit schwer bewaffneten Spezialkräften anrückt, beruhigt sich die Lage.

Es ist bereits die zweite Krawallnacht in Folge. Aber die Heftigkeit dieses Abends ist besonders. Über Stunden tobt der blanke Hass. Drei Stunden lang herrscht in der Schanze der Mob. Der Boden des Supermarkts ist mit Glasscherben, Steinen und Gerümpel übersäht. Als sie einsteigen in den Supermarkt, ruft ein Autonomer: "Die Payback-Karte bitte! Alles muss raus!" Gegenüber beobachten Menschen aus Lokalen das traurige Spektakel. Die kleinen Läden in der Straße werden nicht angegriffen, nur die großen Ketten. Unter der Bahnbrücke wird eine Gruppe Polizisten eingekesselt von den Autonomen, sie sind lange auf sich allein gestellt.

Polizisten sperren die Straße Schulterblatt ab, Hundertschaft um Hundertschaft marschiert hinein. Und auch etliche Spezialkräfte. Stundenlang kreisen Hubschrauber mit Suchscheinwerfern über dem Viertel.

Die Nerven liegen blank

Die Nerven liegen zum Teil blank. An einem Fußübergang schreit eine Frau einen Polizisten an, weil der sie nicht über die Straße gehen lassen will. Hinter ihm passiert ein Mannschaftswagen nach dem anderen die Stelle. "Ihr habt gar nichts im Griff", pöbelt die Frau. "Das kotzt mich an." Der Polizist kontert: "Willst du überfahren werden?"

Ein paar hundert Meter weiter zerschlagen Autonome auf der Straße Schulterblatt den Asphalt mit Hämmern, um sich Wurfgeschosse zu basteln. Als sie Blumenkübel für Barrikaden auf die Straße ziehen wird es einer Anwohnerin zu viel: "Ihr seid so scheiße! Ihr seid so scheiße!", brüllt sie ihnen entgegen.

Gut drei Stunden lang räumt die Polizei nach den Gewaltexzessen auf. Pfefferspray fliegt in die Menge, der Mob zerstreut sich. Aus dem ersten Stock wirft ein älterer Mann den Autonomen Wasserflaschen herunter, damit die sich die Augen ausspülen können.

"Noch nie erlebt"

Noch am 23. Juni hatte sich Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD)
überzeugt gezeigt, dass grässliche Bilder von Gewaltexzessen verhindert werden können. "Es wird Leute geben, die sich am 9. Juli wundern werden, dass der Gipfel schon vorbei ist." Die Hamburger Polizei zeigt sich schockiert über die Krawalle am Rande des G20-Gipfels. "Wir haben noch nie so ein Ausmaß an Hass und Gewalt erlebt", sagt Sprecher Timo Zill bei "Bild Daily" Spezial.

G20 in Hamburg: Autonome verwüsten das Hamburger Schanzenviertel
16 Bilder

Autonome verwüsten das Hamburger Schanzenviertel

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Foto: dpa, dbo

Ein 28 Jahre alter Demonstrant hält die Straßensperren und brennenden Barrikaden für legitim. Das sei ein Ausdruck der aufgestauten Wut.
Schockiert sei er vor allem davon, "wie die Polizei hier mit einer völlig unnötigen Brutalität gegen Demonstranten vorgegangen ist".

Als es ruhiger wird, sitzen Polizisten in der Schanze erschöpft auf allem, was sich als Sitzgelegenheit eignet. Die Straßen sind übersät mit Scherben und rauchenden Resten brennender Barrikaden. In der Schanze selbst hat der Mob eine Spur der Verwüstung hinterlassen. "Chaos-Tage Hamburg" steht in roter Farbe auf dem weißen Rollladen eines Geschäfts.

Schon am Nachmittag ging es los

G20 in Hamburg: Schwere Krawalle am Freitagabend
9 Bilder

G20 in Hamburg: Schwere Krawalle am Freitagabend

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Foto: afp

Das Chaos auf der Schanze aus der Nacht zum 8. Juli wird noch lange nach dem Gipfel in Erinnerung bleiben. Die Krawalle waren am diesem ersten Tag des G20-Treffens aber lediglich der Schlussakt nach einem Tag voller anarchischer Szenen.

Nach morgendlichen friedlichen Protesten im Hafen sammeln sich am Nachmittag tausende G20-Gegner am Millerntorplatz. Die Polizei ist mit einem massiven Aufgebot präsent, die Stimmung ist gespannt. Das Ziel der Demonstranten ist klar: Alle wollen zur Elbphilharmonie, wo sich gegen Abend die Staats- und Regierungschefs zu einem klassischen Konzert einfinden werden. Zu einem "Arschgeigen-Konzert", wie eine Sprecherin der "Block G20"-Demonstration mit heiserer Stimme aus dem Lautsprecherwagen ruft.

Als sie losmarschieren, eilt auch die Polizei zu den Landungsbrücken und schneidet den nach Veranstalterangaben 5000 Demonstranten den Weg ab. Bevor sie runter zur Elbe gehen, werfen einige Vermummte noch schnell Steine auf eine Hotelfront. Dort haben sich US-Journalisten einquartiert und vermutlich auch Teile der amerikanischen Gipfeldelegation. Von der Polizei ist an der engen Kreuzung Davidstraße/Bernhard-Nocht-Straße nichts zu sehen. Zum Glück splittert das Glas nur, gibt aber nicht nach.

Die Elbphilharmonie scheint in Reichweite. Die Demonstranten ziehen in Richtung des Konzerthauses - mit Anarcho-Flaggen und Bannern türkischer kommunistischer Gruppen hinter der Parole "Wir werden eure Krise sein!". Sie skandieren "Antikapitalista" oder "Antifaschista". An den Landungsbrücken kommt es zu Auseinandersetzungen. Böller krachen. Die Polizei drängt die Demonstranten Richtung Fischmarkt/Reeperbahn zurück. Auf der Elbe versuchen Aktivisten von Greenpeace, mit Booten in die Sicherheitszone einzudringen.

"Freude schöner Götterfunken"

Es bleibt aber klar: In diese Zone kommt kein Demonstrant. Und so trifft zwei Stunden später Kanzlerin Angela Merkel als erster Gast ein. Mit reichlich Verspätung kommen später auch US-Präsident Donald Trump und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin.

Während in der Elbphilharmonie Beethovens "Freude schöner Götterfunken" erklingt, gehen draußen die Krawalle weiter. Auf dem Millerntorplatz versuchen Demonstranten, Barrikaden zu bauen. Die Polizei verhindert das mit Wasserwerfern. In dem Tumult bemerken nur wenige, dass sich eine Wagenkolonne einer asiatischen Gipfeldelegation in die Mitte der Demonstranten verirrt hat.

Unbeschadet können die vier schwarzen Luxuslimousinen wenden. Die Demonstranten ziehen schließlich weiter in Richtung der Autonomen-Hochburg Rote Flora. Zu diesem Zeitpunkt ahnt keiner, dass die schlimmsten Ausschreitungen der vergangenen Jahrzehnte noch kommen werden.

(csi/dpa)
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