Nach dem Urteil aus Karlsruhe Für Merkel bleibt die Lage kritisch

Düsseldorf (RPO). Die Verfassungsrichter haben ihr Urteil gesprochen. Das erste Rettungspaket für Griechenland ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Doch für Bundeskanzlerin Angela Merkel bleibt die Abstimmung über die neuen Griechenlandhilfen eine Zitterpartie. Die Bedenken der Euro-Kritiker sind mit dem Urteil aus Karlsruhe keineswegs ausgeräumt.

Generaldebatte in Berlin: Merkel leidenschaftlich wie selten
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Das Urteil aus Karlsruhe verschafft Angela Merkel eine Atempause. Am 29. September stimmt der Bundestag über die Erweiterung des Rettungsschirms ab. Dass das Projekt im Parlament eine Mehrheit finden wird, gilt als sicher. SPD und Grüne haben sich darauf festgelegt, dem Rettungspaket zustimmen zu wollen.

Doch ist die Abstimmung für die Regierungskoalition eine höchst brisante. Vor allem in den eigenen Reihen gärt es. Bei der Probeabstimmung am Montag versagten 25 Abgeordnete von Union und FDP der Kanzlerin die Stimme, Kanzlerinnenmehrheit adé. Mehrfach ist schon davon zu hören, die Kanzlerin könnte notfalls die Vertrauensfrage stellen.

Mitbestimmung kann Dinge komplizierter machen

Und nun? Die Entscheidung der Karlsruher Richter taugt dazu, etwas Druck aus dem Kessel zu nehmen. Das Parlament hat größere Mitbestimmungsrechte, der Haushaltsausschuss muss fortan jeder weiteren Euro-Hilfe im Einzelnen zustimmen. Vielen Parlamentariern dürfte es die größten Magenschmerzen nehmen, wenn sie im Detail mitbestimmen dürfen, ob und wie die Milliardenhilfen verwendet werden.

Doch bedeutet ein Mehr an demokratischer Mitbestimmung für eine angeschlagene Regierungskoalition nicht automatisch eine Verbesserung. Sie muss vielmehr transparenter handeln und kann sich bei so hoch komplizierten Themen wie der Schuldenkrise, bei der die Meinungen auch in der Fachwelt weit auseinandergehen, auf Gegenwind einstellen.

Bosbach bleibt bei seinem "Nein"

Die Kontrolle der Abgeordneten des Parlaments ist ein hohes demokratisches Gut. Die Kritik an der Sache aber bleibt bestehen. Mit anderen Worten: Gerade dann, wenn mehr Abgeordnete mehr mitreden, steigt Höhe und Zahl der Hürden.

Das wird bereits in ersten Reaktionen der bekennenden Euro-Kritiker aus Union und FDP deutlich. Wolfgang Bosbach etwa, innenpolitischer Experte der CDU, bleibt bei seinem Nein. Zwar lobt er die Entscheidung des Gerichts und die verstärkte Einbindung des Parlaments, aber dennoch wird er der Kanzlerin bei der Abstimmung Ende September die Stimme versagen. "Ich persönlich kann nicht zustimmen", sagte Bosbach nach der Verkündung des Urteils in der ARD.

Überzeugungstäter

Seine Ablehnung hat ihren Quell in Bosbachs wirtschaftspolitischen Überzeugungen. Für ihn ist der Rettungsschirm ein Freifahrtschein für verschuldete Länder, auch weiterhin über ihre Verhältnisse zu leben. "Das ist für mich eine reine Sachentscheidung", sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger".

Auch von so einem wie dem CDU-Haushaltsexperten Alexander Funk ist nicht gerade zu erwarten, dass er im Bundestag dem Gesamtpaket mit "Ja" zustimmt, wenn er später "Nein" zu konkreten Details der Ausgestaltung sagen kann. Er, als Mitglied des Haushaltsausschusses unmittelbar betroffen, hält den Eurokurs für grundsätzlich falsch, weil er seiner Ansicht nach die Schulden der EU-Mitglieder dauerhaft vergemeinschaftet.

Die Beispiele der beiden CDUler sind nicht die einzigen, die sich anführen lassen. Auch der FDP-Politiker Frank Schäffler, der CSU-Kläger Peter Gauweiler oder der CDU-Abgeordnete Manfred Kolbe gelten als Überzeugungstäter. "Die Bundesregierung ignoriert die wirtschaftlichen Fakten", sagt Kolbe.

Die Aussichten sind ungewiss

So sehr die Entscheidung des Verfassungsgerichts den Parlamentariern im Bundestag nun auch schmeicheln mag — Merkel kann sich ihrer eigenen Mehrheit nicht sicher sein. Zu sehr haben sich Zweifel in der Fraktion breitgemacht, zu grundsätzlich sind die Bedenken.

Unionsfraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier (CDU) gab sich nach der Probeabstimmung indes betont gelassen: "Das alles ist ganz im normalen und üblichen Bereich." Die Diskussion über den Gesetzentwurf in den nächsten Wochen wird seiner Einschätzung nach noch genügend Abgeordnete überzeugen. Altmaier ließ erkennen, dass er letztlich mit rund einem halben Dutzend fehlender Ja-Stimmen rechnet. Zudem argumentierte er, dass bei der Abstimmung über das EFSF-Gesetz nicht die Kanzlermehrheit, sondern nur eine einfache Mehrheit nötig sei. Dabei könnte sich die Koalition mehr als die maximal 19 Abweichler erlauben, die bei einer Kanzlermehrheit zulässig wären.

Sollte es tatsächlich dazu kommen: Für die Regierung wäre es ein Desaster. SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann erklärte die schwarz-gelbe Regierung für den Fall X für "politisch gescheitert". Oppermann bekräftigte zugleich die Unterstützung der SPD für das EFSF-Gesetz.

Ob es am Ende tatsächlich so weit kommt, hängt an mehreren Faktoren. Zum einen gelten Probeabstimmungen als wenig verlässliche Größe und als willkommene Gelegenheit für Hinterbänkler, ihren Frust deutlich zu machen. Eine entscheidende Rolle wird am Ende jedoch spielen, inwieweit Merkel es bei der Generaldebatte im Bundestag geschafft hat, Zweifler auf ihre Seite zu ziehen.

Im Bundestag zeigte sich die Kanzlerin leidenschaftlich. Merkel warnte die Abgeordneten in den eigenen Reihen vor der Illusion, Deutschland könne die Krise auf eigene Faust bewältigen. Hintergrund: die aktuellen Forderungen von CDU-Politikern, Griechenland aus der Euro-Zone auszuschließen. Auch CSU-Chef Horst Seehofer hatte gesagt, er könne einen Austritt Griechenlands aus der Währungszone nicht ausschließen.

Die Kritiker des Euro-Rettungsschirms in den eigenen Reihen mahnte die Kanzlerin, die Folgen eines "Nein" zum Euro-Rettungsschirm EFSF zu bedenken, über den der Bundestag am 29. September abstimmen soll. "Alle diejenigen, die mit EFSF und ESM nicht einverstanden sind, müssen eines wissen: Wir haben keine Diskussion am theoretischen Reißbrett, wie wir uns eine politische Union vorstellen." Jeder Schritt müsse sehr kontrolliert erfolgen, um keine Turbulenzen an den Finanzmärkten auszulösen.

Ein entscheidender Bericht liegt noch nicht vor

Doch allen Appellen zum Trotz steht der offizielle Bericht der Troika aus EU, EZB und IWF über die Sanierungsfortschritte der Griechen noch aus. Sollte er die Befürchtung bestätigen, dass die Hilfen für die Hellenen tatsächlich verbranntes Geld sein, wird die Zahl der Zweifler sicher nicht schrumpfen.

SPD-Chef Sigmar Gabriel jedenfalls rechnet bei der Bundestagsabstimmung zum erweiterten Euro-Rettungsschirm mit einer eigenen schwarz-gelben Mehrheit. "Am Ende wird der Druck innerhalb der Union und der FDP so groß werden, dass Frau Merkel eine eigene Mehrheit bekommt", sagte er am Mittwoch im RBB-Inforadio.

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