CDU-Chef Friedrich Merz „Selbst Gerhard Schröder war mutiger und zupackender“

Interview | Berlin · Ein Jahr ist die Ampel jetzt im Amt. Für den CDU-Vorsitzenden und Fraktionschef der Union steht fest, das Land wird unter Wert regiert. Die Koalition streite zu viel, so Merz. Lob erhält nur ein Regierungsmitglied.

Der CDU-Vorsitzende und Unions-Fraktionschef Friedrich Merz stellt der Ampel kein gutes Zeugnis aus. Es werde zu viel gestritten und zu wenig angepackt.

Der CDU-Vorsitzende und Unions-Fraktionschef Friedrich Merz stellt der Ampel kein gutes Zeugnis aus. Es werde zu viel gestritten und zu wenig angepackt.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Herr Merz, die Ampel regiert seit einem Jahr. Fangen wir mit etwas Positivem an: Wofür würden Sie die Koalition loben?

Merz In der Schule würde man sagen, sie hat sich redlich bemüht. Aber die Koalition ist seit dem 24. Februar auch mit einer Situation konfrontiert, die man so nicht voraussehen konnte. Durch den Ukraine-Krieg haben sich die Bedingungen für die Politik auch in Deutschland komplett verändert.

Zweifellos hat die Koalition in dieser Krise einiges auf den Weg gebracht, wenn auch manches vielleicht spät. Erkennen Sie das an?

Merz Der Bundeskanzler hat am 27. Februar in seiner Regierungserklärung von einer Zeitenwende gesprochen. Neun Monate später ist daraus außer 100 Milliarden Euro Schulden für die Bundeswehr und 200 Milliarden Euro weiterer Schulden für Energiepreissubventionen, von denen wir bis heute noch nicht genau wissen, wie sie ausgestaltet sind, noch nicht viel geworden. Der Bundeskanzler hätte durch die von ihm selbst so bezeichnete Zeitenwende eine große Chance gehabt, in unserem Land sehr viel mehr zu erreichen. Diese Gelegenheit hat er nicht genutzt. Die Regierung hat Deutschland nicht fit gemacht für die Zukunft. Andere Bundeskanzler vor Scholz waren mutiger und zupackender. Selbst Gerhard Schröder. Ich erinnere nur an seine Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010.

Klingt da Frust mit, weil ihr Draht zum Kanzler nicht sonderlich gut ist?

Merz Nein überhaupt nicht. Unser persönliches Verhältnis ist in den letzten Wochen wieder besser geworden. Es hat ein abruptes Ende der Kommunikation durch die Bundesregierung gegeben nach meiner Reise in die Ukraine. Seit dem Spätsommer läuft es wieder ganz gut.

Sie haben im Sommer auch gesagt, Sie seien sich noch nicht sicher, ob Scholz dem Amt gewachsen ist. Sehen Sie inzwischen klarer?

Merz Wir werden nach wie vor unter Wert regiert. Die Koalition streitet zu viel und verwendet zu wenig Zeit darauf, in der Wirtschafts- und Energiepolitik eine Wende zum Besseren hinzubekommen. Wir haben jetzt Dezember und wissen immer noch nicht konkret, wie die Energiepreise denn bezahlbar bleiben sollen. Das größte Problem dieser Bundesregierung ist zur Zeit die Wirtschaftspolitik. Niemand auf der Leitungsebene des Wirtschaftsministeriums versteht wirklich etwas davon, dort haben grüne Aktivisten das Sagen. Die Ergebnisse können wir sehen.

Wären Sie der bessere Kanzler?

Merz Die Frage stellt sich nicht, die Wahl ist entschieden.

Sie kann sich aber stellen.

Merz Dann werden wir sie auch beantworten. Zur Zeit bin ich der Oppositionsführer.

Die Union hat beim Sondervermögen Bundeswehr und beim Bürgergeld kooperiert. Sind Sie beim Staatsbürgerschaftsrecht auch kompromissbereit?

Merz Wir sind immer eine konstruktive Opposition. Beim Sondervermögen Bundeswehr und beim sogenannten Bürgergeld brauchte die Koalition unsere Zustimmung, aber alles, was jetzt kommt zum Asyl-, Einwanderungs- und Staatsbürgerschaftsrecht wird vermutlich ohne Bundesrat für die Koalition umsetzbar sein. Und das lässt die Ampel uns auch deutlich spüren.

Benötigt Deutschland denn ein moderneres Einbürgerungsrecht und mehr Zuwanderung von Fachkräften?

Merz Wir haben bereits ein modernes Fachkräfteeinwanderungsgesetz gemacht in der großen Koalition. Das widerlegt jede Behauptung, man müsse jetzt überhaupt erst einmal bei null anfangen. Wir werden in Zukunft jedes Jahr mindestens 200.000 zusätzliche Arbeitskräfte brauchen. Das bestreiten wir nicht. Aber: Wir haben in Deutschland zur Zeit 2,4 Millionen Arbeitslose. Dieses Potenzial muss stärker ausgeschöpft werden. In der EU gibt es zudem die Arbeitnehmerfreizügigkeit und damit rund 250 Millionen Menschen, die in ganz Europa arbeiten können, wo sie wollen. Aber es sind zu wenige davon bereit, nach Deutschland zu kommen, auch weil hier die Steuern zu hoch sind und die Bürokratie zu groß ist.

Das klingt nach Plädoyer für mehr Einwanderung qualifizierter Arbeitskräfte. Wo ist dann Ihr Problem?

Merz Das ist in der Tat das Plädoyer, aber die Pläne der Ampel schöpfen das Potenzial nicht aus, das wir schon haben. Wir sind offen für Gespräche. Es müssen im Ergebnis dann aber auch Fachkräfte kommen. Ich erinnere nur daran, dass etwa 60 Prozent der Syrer in Deutschland bis heute in Hartz IV festhängen. Gezielte Einwanderung in den Arbeitsmarkt ja, unkontrollierte Migration in die Sozialsysteme nein.

Heißt das zugleich, Sie fordern mehr gegen die illegale Migration zu tun?

Merz Die Bundesregierung hat den Bürgerinnen und Bürgern eine Rückführungsoffensive versprochen. Die gibt es bisher nicht. Die notwendige Akzeptanz in der Bevölkerung gegenüber Einwanderern, die wir ja brauchen, wird nur zu erhalten sein, wenn beides getan wird, gezielte Einwanderung in den Arbeitsmarkt und Rückführung derer, die in Deutschland keine Perspektive haben. Zur Zeit gibt es bei uns rund 300.000 ausreisepflichtige Asylbewerber. Da muss sich etwas ändern.

Kritiker sagen, Sie spielen die Anti-Einwanderungskarte. Auch ihr Sozialtourismusvorwurf könnte dazu passen. Ist das ihre Strategie?

Merz Deutschland ist schon längst ein Einwanderungsland, und wir brauchen viele Menschen, die bei uns arbeiten wollen. Gefragt sind vor allem Fachkräfte, von der Forschung bis zur Pflege. Die Ampel kritisiert uns immer dann, wenn sie selbst – wie beim sogenannten Chancen-Aufenthaltsgesetz - in Erklärungsnot gerät. Wir machen unsere Punkte deutlich. Und da sehe ich uns im Einklang mit großen Teilen der Bevölkerung

Wie fällt ihre außenpolitische Bilanz der Ampel aus?

Merz Die Bundesaußenministerin macht insgesamt einen guten Job. Sie ist präsent und vertritt eine werteorientierte Außenpolitik. Das ist dann richtig, wenn daraus eine werteorientierte und eine interessengeleitete Außenpolitik wird.

Haben Sie dazugelernt - Stichwort feministische Außenpolitik?

Merz Den Begriff der feministischen Außenpolitik verwendet ja selbst die Koalition nicht mehr, nachdem sie gemerkt hat, dass sie damit an Grenzen stößt.

Wenn Sie von Interessen sprechen, auch in der Union gibt es kritische Stimmen zu den Sanktionen gegen Russland, deren Folgen die Bürger belasten. Haben Sie dafür Verständnis?

Merz Das sind Einzelstimmen. Wir sind uns einschließlich der ostdeutschen Kollegen einig: Der Weg der Sanktionen ist richtig. Gar nichts zu tun oder Kriegspartei zu werden sind für uns keine Optionen. Die Sanktionen sind der Mittelweg, und sie wirken. Sie sind mühsam, sie haben Rückwirkungen. Aber wenn wir noch ein Mindestmaß an Selbstachtung haben, schauen wir nicht zuerst auf unseren eigenen Wohlstand. Es geht um Frieden und Freiheit.

Genau deswegen scheint die AfD aber stärker zu werden. Das ist auch ein Problem für die Union, gerade im Osten.

Merz Trotzdem bleibt unsere Haltung richtig. Wir müssen sie vielleicht besser erklären. Aber in der Sache bleiben wir standhaft.

Ein Jahr Ampel heißt für Sie ein Jahr Opposition. Wo muss die Union besser werden?

Merz Viele haben uns nach der verlorenen Bundestagswahl einen weiteren Niedergang vorausgesagt. Der ist nicht eingetreten. Stattdessen werden wir wahrgenommen und haben viel erreicht. Ich bin davon überzeugt, wir werden uns in den Umfragen bei über 30 Prozent etablieren. Die Fraktion läuft, die Partei arbeitet intensiv an ihrer inhaltlichen Neuaufstellung. Wir haben die Wahljahre 2024 und 2025 fest im Blick.

(has)
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