Porträt des CDU-Politikers Die Ideen des Merz

Brilon · Mit seiner Kandidatur für den CDU-Vorsitz versetzt Friedrich Merz nach neun Jahren Abstinenz seine Partei in Aufruhr. Doch ist er der Richtige, um die Konservativen zu einen und für gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sorgen?

Friedrich Merz: Porträt des CDU-Politikers
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Das ist Friedrich Merz

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Foto: dpa/Michael Kappeler

Die alte Windmühle in Rüthen ist in den 1970er Jahren für junge Leute ein idealer Ort zum Feiern. Sie steht recht einsam auf einer Anhöhe, und das Gemäuer bröckelt ohnehin schon. So schert es niemanden, dass Abiturienten aus dem Dorf hier gelegentlich die Nacht durchmachen. Im Morgengrauen zünden sie Lagerfeuer an, hören Pink Floyd und lassen den nicht mehr ganz klaren Blick über die Hügel des Sauerlandes schweifen. Auch Friedrich Merz habe mitgefeiert, erinnert sich Gastwirt Heiner Fisch, zu dessen Anwesen „Spitze Warte“ die Mühle gehört. Betrunken oder bekifft habe er ihn aber nie erlebt. Kaum jemals habe Merz über die Stränge geschlagen: „Wenn er und seine Freunde über ein Blumenbeet liefen, glaubten sie schon, etwas Verbotenes zu tun.“ Beliebt sei er gewesen, beteuern frühere Klassenkameraden wie Ingeborg Voß-Heine und Harald Romstadt. „Er war toll“, lobt auch sein ehemaliger Klassenlehrer Geoffrey Crew. Und Deutschlehrer Paul-Gerhard Grun sagte Merz ob seines Redetalents schon früh eine politische Karriere voraus. Selbst die Frau des Lehrers kann sich noch aus Erzählungen ihres Mannes an Merz‘ „glänzende“ mündliche Abiturprüfung erinnern: Siegfried Lenz‘ Kurzgeschichte „Die Kunst, einen Hahn zu fangen“.

Im nahegelegenen Brilon jedoch hört man anderes über den Schüler Merz. Am Gymnasium seiner Heimatstadt, dem erzkatholischen Petrinum, klappt es nicht. Als 16-Jähriger muss Friedrich die Schule wechseln und fortan zum rund 20 Kilometer entfernten Gymnasium nach Rüthen fahren. Erst per Bus, dann mit einer Nachbarin in einer „Ente“. In einem Interview mit der Lokalzeitung „Der Patriot“ spricht der Jurist 2001 über die Gründe für seinen Schulwechsel: „In Brilon war ich mit ‚Fünfen‘ - wenn ich mich richtig erinnere in Englisch und Mathematik - sitzen geblieben, wegen einiger grundlegender Meinungsverschiedenheiten in disziplinarischen Fragen war mir ein Schulwechsel nahe gelegt worden.“ Die beiden Fächer hätten ihm später in Rüthen aber eher Freude gemacht. Auch an die erste Begegnung mit dem neuen Schulleiter kann sich Merz noch erinnern: „Friedrich, du hast in Brilon ziemlich viel Mist gebaut. Hier bekommst du eine neue Chance", habe der ihn gewarnt. Am Ende macht er ein passables Abitur, auch wenn der Notenschnitt für das erträumte Medizin-Studium nicht reicht, wie er einmal einräumte.

Friedrich Merz‘ Schulzeit ist lange her. Doch in diesen frühen Jahren zeichnet sich ein Muster ab, das auch für sein politisches Leben charakteristisch ist: Die Meinungen über den Mann, der CDU-Bundesvorsitzender werden möchte und eines Tages vielleicht auch der nächste Bundeskanzler, liegen häufig diametral auseinander – Merz polarisiert.

Die Linien ziehen sich selbst durch seine eigene Partei: Für den Wirtschaftsflügel ist er eine Art Heilsbringer, der sie aufgrund seiner zahlreichen Aktivitäten als Aufsichtsrat und Wirtschaftsanwalt endlich versteht. „Er ist der Richtige, der seine Duftmarken setzen kann“, sagt Christian von Stetten, Vorsitzender des Parlamentskreises Mittelstand der Unionsfraktion.

Andere, etwa in der Frauen-Union oder im Sozialflügel, sprechen sich offen für Merz‘ Konkurrentin Annegret Kramp-Karrenbauer aus, weil sie ihr in sozialpolitischen Fragen mehr vertrauen. Der Vize-Chef der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Christian Bäumler, fürchtet sogar um den sozialen Frieden in Deutschland, sollte Merz gewinnen: „Wir sehen, dass sich Friedrich Merz immer heftig gegen Gewerkschaften und gegen die betriebliche Mitbestimmung ausgesprochen hat.“

Ob Merz zugetraut wird, die Partei zu einen, spielt bei der Wahl Anfang Dezember in Hamburg eine entscheidende Rolle. Bei seinen Auftritten betont Merz, dass die CDU eine Volkspartei der Mitte bleiben müsse, die sich um den „Zusammenhalt in dieser Gesellschaft bemüht.“

Im Wahlkampf um das Bürgermeisteramt in Brilon im Jahr 2004 war von Zusammenhalt der Gesellschaft keine Rede. Überraschend mischt Merz, damals Vize-Chef der Bundestagsfraktion, sich ein und macht sich für den örtlichen CDU-Kandidaten stark. Eigentlich ist die Kleinstadt fest in christdemokratischer Hand, aber seit geraumer Zeit amtiert dort der SPD-Bürgermeister Franz Schrewe. Bei einer Versammlung verkündet Merz laut Zeitungsberichten, es erfülle ihn mit Grausen, dass ein Sozialdemokrat die Stadt regiere. Er ruft demnach zum Sturm auf das rote Rathaus und erwähnt auch seinen Großvater, der von 1917 bis 1937 in Brilon Bürgermeister war. Dass er diesen historischen Zusammenhang auch zur Zeit des Nationalsozialismus herstellt, bringt ihm eine Menge Ärger ein. In Schrewes Umfeld heißt es, die Sache habe dem Sozialdemokraten bei seiner späteren Wiederwahl fünf Prozent zusätzliche Wählerstimmen geschenkt. Die Erinnerung an den Vorfall ist bis heute lebendig. Für den SPD-Vize-Bürgermeister Ludger Böddeker steht seither fest: „Er ist kein Versöhner, und so ist er in Brilon aufgetreten.“ Merz‘ Parteifreund Hans-Josef Vogel, Regierungspräsident von Arnsberg, nimmt ihn hingegen in Schutz: „Er haut dann schon mal solche Sprüche heraus. Er überspitzt und muss das dann gegebenenfalls erklären.“

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Von dieser Eigenschaft wissen auch in Berlin einige zu berichten, die mit ihm Ende der 90er Jahre zu tun hatten. „Er liebte die Zuspitzung“, sagt einer aus dem Lager des politischen Gegners. Als Verfechter von Ordoliberalismus, Deregulierung und als Schleifer des Sozialstaats habe er sich seinerzeit einen Namen gemacht. In den eigenen Reihen brachte ihm das allerdings Anerkennung: Wolfgang Schäuble, heute Bundestagspräsident, habe ihn schnell zu Sonder-Aufgaben herangezogen. „Er hat damals recht schnell aufgrund von Eloquenz von der Vermutung der Kompetenz gelebt“, sagt einer seiner Antipoden jener Zeit. Aber er fügt auch hinzu: „Kompetenz und Eloquenz haben sich in den letzten Jahren angenähert“. Ex-Mitarbeiter beschreiben ihn dagegen als „Chef, der viel verlangt hat, aber im Umgang immer fair und respektvoll war“. Merz will sich zu alldem nicht äußern.

Nur zweieinhalb Jahre bleibt Merz Oppositionsführer im Bundestag, dann fällt er Merkel zum Opfer. Seine große Niederlage, als sie ihm nach der Bundestagswahl den Fraktionsvorsitz entreißt, nagt lange an dem Sauerländer. Er sei außer sich gewesen, erinnert sich einer, der Merz damals erlebte. Merz soll dem CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber Verrat vorgeworfen haben, weil der entgegen Absprachen Merkel bei der Wahl zur Fraktionsvorsitzenden unterstützt habe - und nicht Merz. „Angela Merkel hat mich davon überzeugt, dass in der Opposition Partei- und Fraktionsvorsitz in eine Hand gehören“, sagt Stoiber heute lapidar. Ende 2004 gibt Merz alle Führungsämter in der CDU ab, bleibt aber Bundestagsabgeordneter. 2009 zieht er sich aus der Politik zurück.

Manch einer, der Merz Jahre später auf seine Niederlage gegen Merkel anspricht, erschrickt über die heftigen Reaktionen, die das Thema bei ihm noch immer auslöst. Klassenkameraden gegenüber wollte er hingegen darüber am liebsten gar nicht sprechen. Sein alter Bekannter Fisch erinnert sich, dass Merz einmal in jener Zeit bei ihm in der Gaststätte „Spitze Warte“ auftauchte, an einem der dunklen Holztische Platz nahm und sagte: „Politik macht man ganz oder gar nicht“.

Klassenkameraden gegenüber wollte er hingegen darüber am liebsten gar nicht sprechen. Sein alter Bekannter Fisch erinnert sich, dass Merz einmal in jener Zeit bei ihm in der Gaststätte „Spitze Warte“ auftauchte, an einem der dunklen Holztische Platz nahm und sagte: „Politik macht man ganz oder gar nicht“. Stoibers früherer Wahlkampfberater Michael Spreng kritisierte Merz für seinen Rückzug in einem Interview später scharf. Die Geschichte von Merz sei die "exemplarische Geschichte eines talentierten, aber überheblichen und eitlen Mannes, der eine listige, zielstrebige und uneitle Frau unterschätzte". Stoibers früherer Wahlkampfberater Michael Spreng kritisierte Merz für seinen Rückzug in einem Interview später scharf. Die Geschichte von Merz sei die "exemplarische Geschichte eines talentierten, aber überheblichen und eitlen Mannes, der eine listige, zielstrebige und uneitle Frau unterschätzte".

2012 trafen dem Vernehmen nach Merz und Stoiber beim Pokal-Finale in Dortmund aufeinander. Merz war Aufsichtsratsmitglied bei Borussia Dortmund, Stoiber in dieser Funktion bei Bayern München. Dortmund demütigte die Bayern mit 5:2. Anschließend soll Merz zu Stoiber auf die Tribüne gegangen sein und den Bayern-Fan getröstet haben. Stoiber sagte: „Ich bin besser im Trösten als im Getröstet werden.“ Merz entgegnete nur: „Ich auch.“

Um diese Zeit herum muss es gewesen sein, dass auch Friedrich Merz‘ Vater, eigentlich ein überzeugter Konservativer, mit der Partei haderte. Das Elternhaus liegt in einer Sackgasse, hinter hohen Hecken. Hier ist Friedrich Merz mit seinen Geschwistern aufgewachsen. Die Familie der Mutter, eine geborene Sauvigny, ist seit vielen Generationen in Brilon ansässig und zählte zu den Patrizierfamilien. Merz‘ Vater war Gerichtsdirektor.

Heute lebt Friedrich Merz mit seiner Frau Charlotte, Direktorin des örtlichen Amtsgerichts, im gut 40 Kilometer entfernten Arnsberg-Niedereimer. Mit ihr zusammen gründete er eine Stiftung, die benachteiligten Schülern hilft. Merz selbst ist inzwischen vierfacher Opa - zwei der drei gemeinsamen Kinder sind inzwischen selbst Eltern. Der 63-Jährige lege Wert darauf, bei wichtigen lokalen Ereignissen wie dem Schnadegang dabei zu sein, bei dem die Briloner Bürger ihre Stadtgrenze abgehen, sagt Patrick Sensburg, CDU-Bundestagsabgeordneter des Hochsauerlandkreises. Als die Ex-Mitschüler im Sommer 2015 ihr jüngstes Klassentreffen auf der Terrasse des Gasthauses „Spitze Warte“ in Rüthen feiern, ist es Friedrich, der das Treffen organisiert.

Meist alle fünf Jahre treffen sich die alten Schulfreunde. Sie besuchen ihr Gymnasium, schauen, ob sie ihre alten Plätze im Klassenraum noch wiederfinden und lassen den Abend gemeinsam mit Erinnerungen ausklingen. Michael Püttschneider etwa kann sich gut an Kegelabende erinnern – unter der Woche. Die Klasse habe aber immer den Ehrgeiz gehabt, am nächsten Morgen pünktlich zum Unterricht zu erscheinen.

Von Arnsberg aus steuert Merz heute seine Aktivitäten: Dazu zählen politische Organisationen wie die Atlantik-Brücke, männliche Seilschaften wie der CDU-interne Anden-Pakt oder die exklusive Golf-Runde mit Unternehmern wie dem Merck-Manager Karl-Ludwig Kley – und Aufsichtsratsmandate. Obwohl noch Bundestagsabgeordneter, saß Merz zwischen 2007 und 2009 in fünf Aufsichtsräten gleichzeitig: bei der Deutschen Börse, Axa, Interseroh, Stadler Rail und IVG. Er klagte dagegen, dass Parlamentarier ihre Nebeneinkünfte veröffentlichen sollten. Das Bundesverfassungsgericht wies die Klage ab.

Zur selben Zeit arbeitet Merz auch schon als Partner bei der US-Anwaltskanzlei Mayer Brown. Sehr erfolgreich sei das nicht gelaufen, sagen manche. Inzwischen ist Merz nur noch als Senior Berater tätig. Als Merz‘ größter Erfolg muss aus Sicht von Mayer Brown wohl der Auftrag zum Verkauf der staatseigenen WestLB gelten. Dass die im politischen Raum eher bescheiden vernetzte US-Kanzlei ausgewählt wurde, wird auch Merz’ guten Kontakten zu alten Weggefährten im Bundesfinanzministerium zugeschrieben. Die Anwälte von Mayer Brown rechneten Tagessätze von 5000 Euro ab. Doch der Verkauf scheiterte. Ein innerparteilicher Gegner von Merz spricht von „Leichenfledderei an einem Volkseigentum“. Er müsse sich fragen lassen, ob er hier verantwortlich gehandelt habe. Weder Merz noch Mayer Brown wollen sich dazu äußern.

Noch verschwiegener als die Anwaltskanzlei agiert der weltgrößte Vermögensverwalter Blackrock. Dort ist Merz seit März 2016 Aufsichtsratschef der deutschen Tochter. Über die Anlage von mehr als fünf Billionen Euro weltweit entscheidet der US-Investor, er hält größere Aktienpakete der meisten Dax-Konzerne. Pikant: Wegen zu vieler Posten gleichzeitig musste die Landesregierung für Merz eine Ausnahme machen, als Ministerpräsident Armin Laschet seinen Parteifreund jüngst zum Aufsichtsratschef des Köln/Bonner Flughafens machte. Es drohte ein Verstoß gegen die Empfehlungen des landeseigenen Ethik-Kodexes. Blackrock will das nicht kommentieren.

Hier eine Sitzung, dort eine Einladung, dies- oder jenseits des Atlantiks - so hätte es eigentlich für Merz bis zur Rente weitergehen können. Ausgesorgt hat der Hobby-Funker, -Flieger und -Radler sowieso. Er besitzt zwei Flugzeuge, Cessnas, mit einem Marktwert von je mehr als einer Million Euro, die er auch vermietet. In einem Gespräch mit der „Bild“-Zeitung outet er sich als Brutto-Einkommensmillionär.

Warum also will Merz es noch einmal wissen? Parteifreund Vogel bringt es so auf den Punkt: „Es hat ihn betroffen gemacht, dass die CDU auf der rechten und auf der grünen Seite Wähler verliert.“ Merz selbst spricht von einem „Experiment“: Er sei jetzt neun Jahre draußen und habe seiner Partei das Angebot gemacht zurückzukehren, sagte er vergangene Woche vor Arbeitgebern in Köln. „In Deutschland ist das in dieser Form neu – und deshalb macht es mir so viel Spaß“.

Hinter den Kulissen entwickelt der Kandidat dem Vernehmen nach schon einen Plan für die Zeit nach dem Wahlsieg. Intensiv arbeite er sich in den Migrationspakt der UN ein. Sollte Merz ins Konrad-Adenauer-Haus einziehen, dürften die Tage der Kanzlerin gezählt sein. Er selbst beteuert zwar seine große Loyalität zu ihr. Doch enge politische Wegbegleiter glauben es besser zu wissen: „Wird Merz der nächste CDU-Vorsitzende, dann hält Angela Merkel ihre Weihnachtsansprache als Kanzlerin nicht mehr.“

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