Talkshow zur Ungleichheit in Deutschland „Besserwessi“ Merz gerät bei Anne Will ins Kreuzfeuer

Eigentlich sollte bei Anne Will die Ungleichheit in Deutschland diskutiert werden. Doch schnell ging es um die Frage: Kann Friedrich Merz die Union zu alter Stärke zurückführen? Die anderen Talk-Teilnehmer schafften es, Zweifel daran zu wecken.

 Friedrich Merz stellt sich den Fragen von Anne Will.

Friedrich Merz stellt sich den Fragen von Anne Will.

Foto: Screenshot Anne Will

Darum ging es

Egal ob Ost oder West, oben oder unten, Stadt oder Land – unser Land sei gespalten, leitet Anne Will den Talk am Sonntagabend ein. Vorfälle wie in Chemnitz würden das mit aller Deutlichkeit zeigen. Und ausgerechnet die Volksparteien verlieren in dieser Zeit an Zustimmung. Wer sorgt da für mehr Zusammenhalt und welche Partei kann es schaffen, die Spaltung des Landes zu überwinden? Eine Antwort darauf zu finden, das hatte sich die durchaus prominent besetzte Runde vorgenommen – im besten Fall ohne einfach zu sagen: „Meine Partei.“

Die Gäste

  • Friedrich Merz Er schüttelt derzeit das politische Deutschland durch, möchte im Dezember CDU-Vorsitzender werden und in spätestens zwei Jahren vielleicht sogar Bundeskanzler. Wo Friedrich Merz drauf steht, gucken die Leute derzeit ganz besonders genau hin.
  • Manuela Schwesig Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und stellvertretende SPD-Parteivorsitzende Manuela Schwesig war in ihrem früheren politischen Leben auch schon Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Mit Spaltung und Zusammenhalt in der Gesellschaft sollte sie sich also auskennen.
  • Annalena Baerbock Die Parteivorsitzende der Grünen kennt sich ebenfalls mit Spaltung und Zusammenhalt aus – hat sie doch das eine in der Partei überwunden, um jetzt mit dem anderen auf Wählerfang zu gehen. Und das macht Annalena Baerbock so erfolgreich, dass manche den Grünen sogar zutrauen, neue Volkspartei zu werden.
  • Stephan-Andreas Casdorff Der Tagesspiegel-Herausgeber ist einzige aus der Runde, der nicht aus dem Politikbetrieb kommt. Er nahm häufig eher die Rolle des Beobachters ein. Was als Gast einer Talkshow zwar auf den ersten Blick eher seltsam klingt, dem Abend aber nicht geschadet hat.

Darum ging es wirklich

Kann sich Friedrich Merz gegen die starken Frauen von Rot und Grün behaupten? Und kaufen ihm, dem reichen Mann aus der Wirtschaft mit den eigenen Flugzeugen, die Leute ab, dass er etwas von der Mittelschicht, Umverteilung und Gerechtigkeit versteht? Ließ es doch zuletzt kaum ein Gesprächspartner aus, ihn nach seinem Gehalt zu fragen. Umso passender das Thema des Abends, zumal Baerbock und Schwesig ihre Hausaufgaben gemacht hatten. Und nach knapp 20 Minuten zum eigentlichen Thema beschlossen hatten, Merz jetzt mal so richtig auf den Zahn zu fühlen.

Frontverlauf

Die erste Frage des Abends ging sofort an Merz – vielleicht, um schon einmal die Marschrichtung vorzugeben. Ob Angela Merkel drei Monate nach Chemnitz zu spät in die Stadt gefahren sei, fragt Anne Will. Ob er es besser gemacht hätte als Merkel? Zumindest sei es gut, dass sie jetzt da war, antwortet er diplomatisch – auch auf nochmalige Nachfrage. Um dann mit ernster Miene nachzulegen, er wisse nicht, ob er es besser gemacht hätte. Aber: „Wir haben so große Probleme in diesem Land, dass wir über die Parteigrenzen hinweg eine offenere Debatte führen müssen.“ Deutschland müsse wieder Streiten lernen, ohne, dass es sofort persönlich werde.

Das Eingangsstatement fand Schwesig offenbar so gut, dass sie es fast wortgleich kopierte – um dann aber zu ergänzen, es reiche nicht, erst hinzufahren, wenn etwas passiert sei. „Der Fehler ist, dass man in den letzten Jahren zu wenig vor Ort war.“ Das war es dann aber auch mit der Harmonie zwischen Schwesig und Merz. Sie wünsche sich, dass Bilder von der Zivilgesellschaft, die gegen rechts aufsteht, und die es auch in Sachsen gebe, deutlicher zu sehen sind. Denn was in Chemnitz und Sachsen zu sehen war, sei kein rein ostdeutsches Problem. Dafür gibt es den ersten Szenenapplaus des Abends.

Annalena Baerbock spricht an, was derzeit viele beobachten: Armut verfestige sich und werde an die nächste Generation weitervererbt, Familien fänden in Städten keine Wohnungen, auf dem Land würden dafür keine Busse und Bahnen mehr fahren, es gebe weder Hebammen noch Ärzte. „Dann fühlen sich die Menschen nicht abgehängt. Sie sind de facto abgehängt.“

„Es ist Zeit, dass etwas passiert. Darum laufen Ihnen doch die Wählerinnen und Wähler weg“, meint Stephan-Andreas Casdorff. „Dass endlich die Alltagsprobleme gelöst werden.“ Wenn sich beim Diesel-Skandal große Unternehmen daneben benehmen, müssten diese mit Konsequenzen rechnen. „Und zwar schnell und nicht übermorgen.“

Merz warnt aber davor, ein Zerrbild der Bundesrepublik zu zeichnen. „Deutschland ist im Grunde genommen ein erfolgreiches Land.“ Ob er manchmal in Ostdeutschland sei, fragt Anne Will mit schelmischem Grinsen. Ja, das sei er, sagt Friedrich Merz mit seinem Friedrich-Merz-Blick. Auch er erkenne die Unterschiede zwischen Ost und West. „Wir haben alle unterschätzt, wie lange ein solcher Integrationsprozess dauert.“

Steilvorlage für Manuela Schwesig: Er solle gleich mal das Wort „Integration“ bei dem Thema aus seinem Wortschatz streichen. „Das ist genau das Gefühl, das die Ostdeutschen haben. Dass sie sich in den Westen integrieren mussten.“ Dass Strukturen wie Polikliniken und Kinderbetreuung im Osten vor der Wende durchaus Sinn gemacht hätten und trotzdem niemand gefragt habe, was Ostdeutsche mit in die Einigung hätten einbringen können. Merz wirkt das erste Mal ein wenig überrumpelt. „Einverstanden“, sagt er.

Er habe versprochen, die Wahlergebnisse der AfD zu halbieren, spricht Anne Will den Kandidaten für den CDU-Vorsitz an. „Warum denken Sie, dass Sie das als, pardon, reicher Besserwessi der gehobenen Mittelschicht, der sie sich zugehörig fühlen, besser hinbekommen, als es zum Beispiel die CDU in Sachsen bislang konnte?“ Auch Wertkonservative müssten in der Union eine politische Heimat finden, antwortet er. „Wir müssen ohne jeden Zweifel die Partei sein, die für den Rechtsstaat steht und für eine Rechtsordnung, die eingehalten wird.“ Bis heute sei nicht geklärt, auf welcher Rechtsgrundlage eigentlich die Grenzen geöffnet wurden. Die Dublin-Regeln seien nicht angewandt worden. „Wir haben heute ein massives Problem mit der Zahl von in Deutschland lebenden Flüchtlingen.“

Den Applaus bekommt allerdings erneut Baerbock, als sie dagegen hält und einen Appell für ein freies Europa ausspricht. Wieder lenkt Merz ein: „Es war eine große humanitäre Geste der Bundesrepublik Deutschland, die Flüchtlinge einzuladen. Aber ich finde, man hätte danach sagen müssen: Es war eine einmalige Ausnahme.“

Er wolle keine Achsenverschiebung in der Union, sagt Merz und spricht von „gesundem Patriotismus“. Es werde mit ihm keinen Rechtsruck geben. „Ich möchte nur das Spektrum vergrößern. Sodass die, die uns verloren gegangen sind in den letzten Jahren, zurückkehren zur Union.“ Aber nicht nur von der AfD. „Auch von den Grünen hätte ich gerne einige Wähler wieder zurück.“ Die schafften es deutlich besser als die CDU, sich als Europapartei zu positionieren.

Anne Will zählt die Positionen auf, die Friedrich Merz in der Wirtschaft bekleidet. Blackrock, HSBC Trinkaus. Dieser hat mit genau dieser Frage gerechnet und bedankt sich artig. „Ich finde interessant, dass in diesen Aufzählungen immer fehlt, dass ich seit zwölf Jahren in einem Unternehmen der Papierindustrie Aufsichtsratsvorsitzender bin, die stellen Papiertaschentücher und Toilettenpapier her. Und das ist Ihnen nie eine Erwähnung wert.“ Soll wohl etwa heißen: Seht her, ich kann auch bodenständig. Er lebe mit seiner Frau in einer Kleinstadt und habe eine gemeinnützige Stiftung gegründet. Außerdem habe er habe klargemacht, dass er seine Mandate im Falle einer Wahl niederlegen werde. „Das ist eine Frage meiner Glaubwürdigkeit, das weiß ich.“ Auf die Durchsuchung der Staatsanwaltschaft bei Blackrock angesprochen, sagt er: „Ich bin da absolut clean.“

Sie halte es für in Ordnung, dass jemand die Politik verlässt, um nach einigen Jahren in der Wirtschaft zurückzukehren, meint Manuela Schwesig. „Sie haben da ihre Arbeit gemacht und gut Geld verdient. Bei allem Respekt, Sie können mir aber glauben: Ich beneide Sie nicht um Ihre Privatflugzeuge, ich hasse fliegen. Mit all dem können Sie aber nicht sagen, Sie sind gehobene Mittelschicht.“ Das Vorurteil „die da oben“ lasse sich nur entkräften, wenn man den Alltag der Menschen auch kenne, sagt Schwesig, die früher übrigens mal für das Finanzamt und die Steuerfahndung gearbeitet hat. „Ich halte nichts von Neiddiskussionen, aber Sie müssen dazu stehen.“

Der Kreis schließt sich, als Merz nun Schwesig auf ihre Wortwahl hinweist. Ihre Formulierung „Kasse gemacht“ sei bewusst herabsetzend. „Ich habe viel gearbeitet, nichts geschenkt bekommen, meine Steuern gezahlt, ich beschäftige Mitarbeiter und weiß, wie diese leben.“ Er habe sich im Beruf bewährt und sage nun, er wolle dem Staat etwas zurückgeben.

Der Frontverlauf des Abends wird der entscheidende für die kommenden Wochen von Merz sein: Gelingt es ihm, die Bedenken wegen seiner Positionen in der Wirtschaft wegzuwischen und die Wähler zurück zur Union zu holen? Unter dem Sperrfeuer von Schwesig, Baerbock und Anne Will kam er dabei manchmal aufs Glatteis.

Satz des Abends

„Die Frage steht im Raum, ob Sie der Richtige dafür sind und ich habe die Frage auch“, sagt Manuela Schwesig in Richtung Friedrich Merz – und gibt damit der Sendung den Titel, den sie eigentlich verdient gehabt hätte.

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