Serie - Die Geschichte der Deutschen (Teil 7) Friedrich der Große

(RP). Überlebensgroß schien Friedrich II. zu seiner Zeit: ein Dichter, Philosoph, Musiker und militärisches Genie, das Preußen in drei Kriegen zur Großmacht führte. Durch seine Kühnheit, Opferbereitschaft und Disziplin entwickelte sich die Friedrich-Legende. Sie verklärte seine Unberechenbarkeit und Angriffskriege zur politischen Genialität.

Ein Hochbegabter auf dem Königsthron. Ein Dichter, Philosoph, Schriftsteller und Musiker, der seinen Staat in drei Kriegen zur Großmacht machte. Ein körperlich zierlicher Mensch, dem schon im Alter von 33 Jahren von seinen Zeitgenossen das Attribut "der Große" zugebilligt wurde. Ein Mensch, dessen Wirkung durch eine Helden-Geschichtsschreibung ins Überlebensgroße gesteigert wurde. Dessen Legende verhängnisvoll wirkte. Ein junger Mann, dem sein Vater schrieb: "Wenn du der Herr bist, wirst du sie alle betrügen, denn das liegt in deinem Charakter, du kannst nicht anders. Aber mach es gut und bei einer wichtigen Gelegenheit, bei der es sich lohnt. Denn du wirst es nur einmal können."

Die Gelegenheit kam. Friedrichs Vater, der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., starb 1740 und wenig später im fernen Wien auch der Kaiser. Karl VI. hatte keinen männlichen Erben, aber die Thronfolge seiner Tochter Maria Theresia durch internationale Verträge gesichert. Die hatte auch Preußen unterschrieben. Das scherte den jungen 28-jährigen König Friedrich nicht. Er, der mit 19 Jahren in einem Brief über Eroberungen nachgedacht und mit Mitte 20 ein Buch über eine wertorientierte Fürstenherrschaft geschrieben hatte, wollte die blühende Provinz Schlesien der 23-jährigen Kaiser-Nachfolgerin abnehmen. Und er wollte den Ruhm. Er bekam beides.

Seine Mittel waren der Einsatz der vermutlich besten europäischen Armee, eine ordentliche Geldrücklage - beides ererbt vom Vater - dazu Täuschungen, Tricks und Lügen. Als seine Regimenter unterwegs sind, lässt er Maria Theresia ausrichten, Preußen werde nichts tun, was sich gegen Habsburg richte. Er besetzt Schlesien. Als auch Habsburg marschiert, ist das Schlachtenglück mit ihm. Er lernt das Kriegführen im Krieg. In seiner ersten Schlacht siegt er, obwohl die Kavallerie versagt und er selbst vom Schlachtfeld flüchtet. Die zweite Schlacht gewinnt er, weil er die Kavallerie reorganisiert hat. Zwischendurch verständigt er sich mit Österreich und lässt damit seine französischen, bayerischen und sächsischen Verbündeten im Stich, bricht drei Monate später diesen Vertrag und schließt sechs Monate später - erneut ohne Zustimmung seiner Verbündeten - wieder Frieden. Den er zwei Jahre später aufkündigt.

Seine Armee übersteht, dass Zehntausende von Soldaten desertieren. Wenn es eng wird, sinniert der König über Sieg oder Tod (wie 200 Jahre später Hitler und Goebbels unter Berufung auf ihn). Er siegt, auch wenn er seine Armee in eine Falle des Gegners geführt hat. 1745 ist es soweit: Maria Theresia findet sich mit dem Verlust Schlesiens ab. Preußen ist eine europäischen Großmacht. Der König, gezeichnet durch eine Stoffwechselkrankheit und 1747 durch einen leichten Schlaganfall, rechnete mit noch zwölf Lebensjahren und einem neuen Waffengang. Er lebte viel länger, bis 1786. Bis zum nächsten großen Krieg dauerte es zehn Jahre. Friedrich nutzte sie. Stärkte die Armee. Lockte Menschen aus vielen Ländern nach Preußen. Ließ von 1747 bis 1753 den Niederoderbruch entwässern. Und später, nach dem Siebenjährigen Krieg, auch den Warthebruch. Insgesamt 400.000 Morgen fruchtbaren Landes. Friedrich vereinheitlichte die zivile Justiz, Prozesse wurden beschleunigt, die Richter besser ausgebildet. Das nützte Handel und Gewerbe.

Zwischen dem Zweiten und Dritten Schlesischen Krieg entfaltete Friedrichs Hof seine intellektuelle Anziehungskraft. Ab 1750 war Voltaire sein Gast. Mit der berühmten Tafelrunde im neu erbauten Schloss Sanssouci nahm der Monarch die glücklichste Zeit seiner Jugend wieder auf. Damals, nach dem Fluchtversuch vom Hofe des despotischen Vaters, nach der Hinrichtung des Freundes Katte, nach Festungshaft in Küstrin hatte Friedrich in Rheinsberg - bei strikter Unterwerfung unter den Willen, zugleich aber auch Täuschung des Vaters - sich Freundschaften, der Philosophie und der Kunst gewidmet. Auch in Sanssouci betätigte sich Friedrich wieder als Schriftsteller. Doch der Versuch, das Glück wieder zu finden, endete in Einsamkeit. Voltaire schrieb ihm: "Der Schatz Ihrer Weisheit ist verdorben durch die unselige Freude, die es Ihnen macht, alle anderen Menschen demütigen zu wollen."

Der König wurde zum Gefangenen seiner Methoden und Fehleinschätzungen. Sein Denken kreiste um den Krieg. Seinen Nachfolgern riet er schriftlich, den Krieg zu ihrem "Hauptstudium" zu machen. "Es folgt daraus auch, dass das Militär in Preußen die erste Stelle einnehmen muss, genau wie bei den welterobernden Römern, genau wie in Schweden, als Gustav Adolf, Karl X. und Karl XII. die Welt mit ihrem Ruhm erfüllten." Der König, geprägt von der Furcht, Preußen könnte eingekreist werden, bewirkte genau das: 1746 hatten Österreich und Russland gegen Preußen ein Verteidigungsbündnis geschlossen. England, in Nordamerika mit den Franzosen im Krieg, war in Europa verwundbar, weil sein König auch über Hannover herrschte. Durch ein Bündnis mit Russland versuchte London, Hannover zu sichern. London fragte in Berlin an, ob Preußen im Fall eines französischen Angriffs auf Hannover neutral bleibe. Und Friedrich verbündete sich im Januar 1756 mit England. Frankreich, bis April 1756 mit Preußen verbündet, fühlte sich wieder einmal von Friedrich betrogen. Es verbündete sich mit Österreich, der Ring um Preußen war geschlossen.

Was tat Friedrich? Er griff an, besetzte Sachsen. Doch Österreich (verstärkt durch Reichstruppen), Frankreich und Russland zwangen dem Angreifer einen Mehrfrontenkrieg auf. Der aber bewies immer wieder militärisches Genie. Überdies beeinflusste Friedrich die öffentliche Meinung so nachhaltig, dass daraus ein mehr als hundert Jahre wirksames Geschichtsbild entstand. Aus den Ingredienzien Kühnheit, Opferbereitschaft, Standvermögen und Disziplin wurde im Lauf des 19. Jahrhunderts eine Friedrich-Legende entwickelt, die Unberechenbarkeit und den Angriffskrieg zur politischen Genialität verklärte.

Nachhaltig wirkte die Schlacht bei Roßbach. 1757 schlug Friedrich dort ein französisches Heer und Reichstruppen. Da regte sich in bürgerlichen Kreisen auf einmal ein Nationalgefühl. Frankreich, das seit dem Dreißigjährigen Krieg immer wieder militärisch in Deutschland eingegriffen hatte, wurde als Feind deklariert, Friedrich als Vertreter des deutschen Volkes gepriesen und Preußen mit der deutschen Nation gleichgesetzt. Gotthold Ephraim Lessing, der Aufklärer, gab die "Preußischen Kriegslieder" von Johann Ludwig Wilhelm Gleim heraus. In einem bekannten Spottlied hieß es: "Wenn unser großer Friedrich kömmt und klatscht nur auf die Hosen, so läuft die ganze Reichsarmee noch mehr als die Franzosen."

Die Friedrich-Legende wuchs. Weil er den siebenjährigen Krieg trotz der Übermacht seiner Gegner durchstand, auch wenn ihn am Ende nur der Tod der feindlichen Zarin rettete. Die Legende wurde verstärkt, weil der König nach Kriegsende sein Land sanierte: neues Ackerland, Wirtschaftförderung, der Entwurf eines allgemeinen Landrechts. Der König, zum sich auch um Kleinigkeiten kümmernden Pflichtmenschen geworden wie einst sein Vater, wurde als Schöpfer eines unbestechlichen Beamtentums und als Freund der einfachen Leute gepriesen.

Die königliche Gleichgültigkeit gegenüber der Religion wurde als Toleranz empfunden

Das illustriert vorzüglich die Legende des "Müllers von Sanssouci": Friedrich der Große soll sich am Geklapper der Mühlenflügel nahe seines Schlosses gestört und Müller Johann Wilhelm Grävenitz den Kauf der Mühle angeboten haben. Grävenitz lehnte ab, worauf der König gedroht haben soll: "Weiß Er denn nicht, daß ich Ihm kraft meiner königlichen Macht die Mühle wegnehmen kann, ohne auch nur einen Groschen dafür zu bezahlen?" Der Müller soll geantwortet haben: "Gewiß, Euer Majestät, das könnten Euer Majestät wohl tun, wenn es - mit Verlaub gesagt - nicht das Kammergericht in Berlin gäbe."

Den Bürgern ging es nach den Entbehrungen der Kriege einigermaßen gut, Schlesiens Fruchtbarkeit blieb eine eiserne Reserve, bis 1772 nach der Polnischen Teilung Westpreußen zu Preußen kam. Die Bildung des Bürgertums wurde nicht gefördert, auch nicht behindert - es kam auf jeden selbst an. Die königliche Gleichgültigkeit gegenüber der Religion wurde als Freiheit und Toleranz empfunden. Die Armee galt weiter als die beste Europas. Trotzdem klappte Preußen zwanzig Jahre nach Friedrichs Tod in der Konfrontation mit dem revolutionären Frankreich zusammen. Da zeigten sich die Grenzen einer nur auf Furcht gegründeten Armee - und die Grenzen des friderizianischen Staatsmodells. Das persönliche Regiment des im Zweifel alles wissenden, alles entscheidenden Herrschers, der autokratische Zentralismus war überholt. Auch wenn Friedrich die zeitgenössischen Regenten weit überragt hatte, Preußen war reformreif.

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