Latein als zweite Fremdsprache abschaffen? Latein ist in jeder Hinsicht eine Bereicherung!

Meinung | Düsseldorf · Tausende Sechstklässler in NRW müssen sich dieser Tage entscheiden: Latein oder Französisch als zweite Fremdsprache? Unser Autor meint: Nur wenige Menschen, die in ihrer Schulzeit Latein gelernt haben, empfinden das als verlorene Zeit. Viel spricht für ein Studium des Lateinischen.

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Foto: dpa/Jean-Christophe Bott

Latein ist eine tote Sprache. Aber richtig totzukriegen ist sie nicht. Noch immer lernen 6,4 Prozent aller Schülerinnen und Schüler in Deutschland die Sprache der alten Römer. In der Zeit nach der Jahrtausendwende nahm sogar der Anteil der Lateinschüler bis auf zehn Prozent zu, ehe er wieder absackte. Aber noch 2017 hatte jeder dritte Gymnasiast der Klassen fünf oder sieben Latein als Fremdsprache. Eine wirklich tote Sprache findet keinen so starken Zuspruch.

Was ist also dran an der Liebe vieler Heranwachsender und deren Eltern an der einstigen Weltsprache? Ist es die Vermittlung von Sprachlogik oder logischem Denken schlechthin, der Nutzen für das Erlernen anderer Fremdsprachen oder die Zulassung zu Prestige-Studiengängen wie Medizin oder Psychologie? Tatsächlich gibt es keinen gesicherten Nachweis darüber, dass Latein solche Fähigkeiten vermittelt. Und das kleine Latinum, das nach mindestens fünf Jahren Unterricht mit der Note vier bestanden sein muss, ist nur noch für Fächer wie Französisch, Geschichte oder Archäologie notwendig.

Ist Latein also unnötig, ja eine Zeit- und Ressourcenverschwendung? Sollte man besser Informatik, mehr Fremdsprachen oder Wirtschaft und Recht lernen? Wer Absolventen befragt, die Latein gelernt haben und jetzt erfolgreich im Leben stehen, bekommt häufig eine andere Antwort. Latein hat mein Lernen diszipliniert, es war eine Herausforderung für mich, es hat mich richtig geschult, ist da häufig zu hören. Auch als verschwendete Zeit wird es selten empfunden. Der Autor selbst hat neun Jahre die antike Sprache gelernt. Und selbst wenn diese Zeit etwas übertrieben lang ist und nicht hätte auf Kosten von Englisch und Französisch gehen sollen, war es keine verlorene Mühe. Die Auseinandersetzung mit einer Kultur und einer Welt, die unsere moderne maßgeblich geprägt hat, empfindet der Autor im Nachhinein als bereichernd. Das hätte kein noch so guter Geschichts- oder Philosophieunterricht leisten können.

Das Lateinische wurde als Sprache bereits um die Zeitenwende, also um Jesu Geburt, weitgehend fixiert. Seitdem haben sich weder die Vokabeln noch die Grammatik wesentlich verändert. 1800 Jahre lang blieb diese Sprache dann das wichtigste Kommunikationsmittel der europäischen Zivilisation. Neben den klassischen Schriftstellern wie Cicero, Sallust oder Livius schrieben alle Gelehrten des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit vornehmlich in Latein. Luther verfasste seine 95 Thesen darin, Kopernikus seine Schrift über die Bewegung der Planeten und Newton seine bahnbrechenden physikalischen Erkenntnisse. Von keiner historischen Sprache der Welt sind mehr Texte erhalten als in Latein. Als Ausgangspunkt der romanischen Sprachen und über den großen Einfluss in die germanischen und slawischen Sprachen gebührt dem Lateinischen eine Sonderstellung in Europa, die ihresgleichen sucht. Wer Latein lernt, erlernt die Grundlagen der europäischen Zivilisation.

Auch für das Lernen an sich ist Latein nützlich. Es formt die Art und Weise, mit einem Problem umzugehen. Es verbindet den Dreiklang Lernen, Übersetzen und Bewerten. Und das ist nur möglich, wenn der Schüler oder die Schülerin sich der Mühe unterzieht, diese – zugegeben nicht ganz einfache – Sprache auch richtig zu erlernen. Dass man sich in der Grammatik der eigenen Sprache oder der Fremdsprachen besser zurechtfindet, kommt hinzu. Und das ist sogar wissenschaftlich erwiesen.

Die Analogie zur Mathematik, einem anderen schweren Fach, sei erlaubt. Im beruflichen und privaten Alltag reichen oft die Grundrechenarten, die Prozentrechnung und der Dreisatz (wer beherrscht ihn noch richtig?) völlig aus. Trotzdem lernen wir Geometrie, binomische Formeln, lineare Algebra und Analysis. Sicherlich wichtig für ein Studium der Naturwissenschaften und der Technik, aber sonst? Dennoch sollten sich alle, die eine höhere Bildung anstreben, damit beschäftigen – wie mit dem Zitronesäure-Zyklus in der Biologie, den Gedichten Heines im Deutsch-Unterricht oder dem Periodensystem der Elemente in der Chemie.

Wir lernen eben nicht nur Nützliches, sondern auch Wertvolles. Und wenn wir uns damit auseinandersetzen, lernen wir auch für das Leben. Deshalb sind Informatik, grundlegende Kenntnisse des Rechts und der Wirtschaft und noch mehr Englisch sicher notwendig. Ob sie unbedingt zu Lasten des Latein gehen sollen, ist aber mehr als fraglich.

Kontra: Lasst die Kinder mit eurem Latein in Ruhe!

Ein anderer Autor ist komplett gegenteiliger Meinung. Er appelliert, Latein sofort aus dem Lehrplan zu streichen. Seinen Text können sie hier lesen.

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