Forsa-Trendbarometer Grüne erstmals stärkste Partei in Deutschland – SPD stürzt ab
Berlin · Die Grünen im Höhenflug: Jetzt hat die Partei erstmals in einer Umfrage zur Bundestagswahl die Union von Platz eins verdrängt. Und die SPD? Die stürzt noch weiter ab.

Hannah Neumann (l-r), Europawahl-Kandidatin, Annalena Baerbock, Grünen-Vorsitzende, Sven Giegold, Abgeordneter der Grünen im Europaparlament, Europawahl-Kandidat Erik Marquardt und Michael Kellner, Bundesgeschäftsführer der Grünen, jubeln mit Sonnenblumen nach der Bekanngabe der ersten Prognose für die Europawahl.
Foto: dpa/Kay NietfeldDie Grünen haben erstmals in einer Umfrage zur Bundestagswahl die Union von Platz eins verdrängt. Im Forsa-Trendbarometer von RTL und n-tv gewinnen die Grünen eine Woche nach ihrem erdrutschartigen Erfolg bei der Europawahl 9 Prozentpunkte hinzu und landen bei 27 Prozent. CDU und CSU liegen mit 26 Prozent (minus 2 im Vergleich zur Vorwoche) nur knapp dahinter.
Die Umfrage fand zwischen dem 27. und dem 31. Mai, also unmittelbar nach der Europawahl, statt. Danach hätten die Grünen bei einer Regierungsbildung sogar zwei Optionen: Mit der CDU/CSU kämen sie auf eine klare und mit SPD und Linke immerhin noch auf eine hauchdünne Mehrheit.
Die Grünen waren bei der Europawahl mit 20,5 Prozent erstmals zweitstärkste Kraft geworden. Union und SPD hatten dagegen mit 28,9 beziehungsweise 15,8 Prozent ihr bisher schlechtestes Ergebnis eingefahren.
"Union und SPD haben weitgehend ignoriert, dass schon bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen viele ihrer früheren Wähler aus der liberalen Mitte zu den Grünen abgewandert sind", sagte Forsa-Chef Manfred Güllner dem Sender RTL. Stattdessen hätten sich Union und SPD eher um den rechten beziehungsweise linken Rand des Wählerspektrums gekümmert. "Nach der Europawahl rächt sich zudem, dass beide Parteien sich den Abwanderern zu den Grünen mit einem stärkeren Engagement beim Klimaschutz anbiedern wollen", sagte Güllner. "Doch damit stärkt man - wie die aktuellen Daten zeigen - nur das grüne Original."
Auch CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat in der Woche nach der Europawahl dem RTL-ntv-Trendbarometer zufolge weiter an Sympathie verloren. Wenn sie bei einer Direktwahl der Kanzlerin gegen die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles anträte, würden 24 Prozent der Befragten für Kramp-Karrenbauer stimmen. Das ist ein Minus von sechs Punkten gegenüber der Vorwoche. Nahles käme unverändert auf 13 Prozent. Bei einem Duell mit Finanzminister Olaf Scholz (SPD) käme Kramp-Karrenbauer auf 21 Prozent (minus fünf). Scholz würde laut Umfrage einen Punkt auf 26 Prozent gewinnen und läge damit erstmals vor Kramp-Karrenbauer.
Bei der SPD hat die Wahl eine Debatte über die Zukunft von Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles ausgelöst, in der es am kommenden Dienstag zum Showdown kommen könnte. Dann will sich Nahles in der Bundestagsfraktion vorzeitig zur Wahl stellen. Bisher gibt es keinen Gegenkandidaten. Sollte Nahles scheitern, könnte sie auch als Parteichefin stürzen.
Mehrere SPD-Spitzenpolitiker stärkten Nahles nach einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ in einem gemeinsamen Appell den Rücken. „Die massive öffentliche Kritik an Andrea Nahles ist unfair“, heißt es demnach in einer gemeinsamen Stellungnahme von Vizekanzler Olaf Scholz, den Ministerpräsidentinnen von Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern, Malu Dreyer und Manuela Schwesig, den Landeschefs von Bayern und Hessen, Natascha Kohnen und Thorsten Schäfer-Gümbel, sowie dem schleswig-holsteinischen Fraktionschef Ralf Stegner. Sie mahnen einen solidarischen Umgang mit Nahles an. Sie habe schließlich „in einer sehr schweren Phase“ den Vorsitz der Partei übernommen.
Die Auswirkungen der SPD-Führungskrise auf die große Koalition sind noch nicht absehbar. Die bayerische SPD machte die Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung und ein neues Klimaschutzgesetz zu Bedingungen für den Fortbestand der großen Koalition im Bund. „Nur mit derartigen Beschlüssen erscheint es überhaupt noch möglich, im September über eine Fortführung der großen Koalition zu diskutieren“, heißt es in einem von der Landesvorsitzenden Natascha Kohnen auf ihrer Facebook-Seite veröffentlichten Beschluss des SPD-Landesvorstandes.
Darin wird auch ein Vorziehen des Bundesparteitags auf September verlangt. Dieser solle, wie für Dezember geplant, über die Fortführung der Groko entscheiden und den Parteivorstand neu wählen. „Bis zum Bundesparteitag muss die SPD ihre Vorschläge zur sozialen und ökologischen Erneuerung zu griffigen Eckpunkten zusammenführen, grundsätzliche Fragen, aber auch offene Teilfragen müssen geklärt werden“, heißt es weiter.
SPD-Vize Malu Dreyer rief ihre Partei zu einem Ende der Personaldebatten auf. „Für mich ist es eine Frage der Fairness und der Solidarität, dass wir Andrea Nahles nicht allein für die schwierige Lage der Partei verantwortlich machen“, sagte die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz der Deutschen Presse-Agentur. „Wir haben gemeinsam gekämpft und müssen jetzt gemeinsam Vertrauen zurückgewinnen.“
Der SPD-Parlamentarier Bernd Westphal sagte der „Rheinischen Post“ (Samstag), er sehe am Dienstag keine Mehrheit für Nahles. „Das höre ich von sehr vielen SPD-Abgeordneten, aber auch von der Parteibasis, die einen Neuanfang ohne Andrea Nahles fordern.“ Auch wenn sich bis Dienstag kein Gegenkandidat mehr melde, könne Nahles abgelöst werden. „Entweder sie übernimmt jetzt selbst die Verantwortung für die Verluste bei der Europawahl und tritt vorher zurück. Oder sie muss am Dienstag eine Niederlage einstecken“, sagte Westphal. „Dann wird sich ein anderer Kandidat oder Kandidatin zur Verfügung stellen.“