Grüne und Pinkwart streiten über längere Laufzeit bei Atomkraft Wie Flüssiggas Deutschland warm halten soll

Berlin · Um die Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern, will der Bund zwei Flüssiggas-Terminals an der Nordsee bauen. Das hört der Düsseldorfer Konzern Uniper gerne. Doch das ist nichts für den nächsten Winter. Die wichtigsten Fragen zur neuen Technologie der Hoffnung.

 Ein Frachter für flüssiges Erdgas (LNG) liegt im Hafen von Rotterdam.

Ein Frachter für flüssiges Erdgas (LNG) liegt im Hafen von Rotterdam.

Foto: dpa/Lex Van Lieshout

Mit dem Krieg gegen die Ukraine wird alles anders, auch die deutsche Energiepolitik. „Wir werden umsteuern, um unsere Importabhängigkeit zu überwinden“, sagte Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Sonntag. Bislang stammen 55 Prozent der Erdgas-Importe aus Russland. Nun will Deutschland eine nationale Gasreserve anlegen, den Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigen und zwei Terminals für Flüssiggas (LNG) bauen.

Gasreserve Beim Öl hält Deutschland eine 90-Tage-Reserve vor. Nach diesem Vorbild soll es nun auch eine nationale Gasreserve geben, wie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) mitteilen ließ. Danach sollen die Speicher-Betreiber zu Mindestfüllständen verpflichtet werden: Anfang August müssen die Speicher zu 65 Prozent gefüllt sein, im Oktober zu 80 Prozent, im Dezember zu 90 Prozent und im Februar noch mindestens zu 40 Prozent. Die deutschen Speicher können ein Viertel des Jahres-Bedarfs aufnehmen. Doch der Gazprom-Konzern, der für 30 Prozent der deutschen Kapazität steht, hatte seine Kavernen ziemlich leer gelassen. Aktuell liegt der Füllstand aller deutschen Speicher bei 29 Prozent.

Flüssiggas-Terminals Scholz kündigte den Bau von zwei LNG-Annahmestellen in Brunsbüttel und Wilhelmshaven an. LNG (Liquefied Natural Gas) ist Erdgas, das im Förderland bei minus 160 Grad verflüssigt und schiffbar gemacht wird. Im Empfänger-Land wird es in Terminals wieder zu Erdgas aufbereitet und in das Pipeline-System eingespeist. Flüssiggas ist eine flexible, aber teure Alternative zu Pipeline-Gas. Die größten Förderländer sind die USA, Katar und Australien. In Deutschland gibt es bislang keinen einzigen LNG-Terminal, man nutzt Rotterdam. In Brunsbüttel ist das Planverfahren bereits weit fortgeschritten. In Wilhelmshaven sollen die von Uniper eigentlich zu den Akten gelegten Pläne für einen schwimmenden Terminal reaktiviert werden. „Uniper prüft die Möglichkeit, die Planungen für ein LNG-Terminal in Wilhelmshaven wieder aufzunehmen“, so der Düsseldorfer Konzern. Bislang haben sich LNG-Terminals nicht gerechnet. Nun prüft d er Bund staatliche Unterstützung. Zudem zieht der Preis für Flüssiggas kräftig an.

Vorteile und Nachteile LNG ist keine Lösung für den nächsten Winter. Der Bau eines schwimmenden Terminals dauert zwei Jahre, der eines festen drei bis fünf Jahre. Für die kurz- und mittelfristige Versorgung gab Habeck aber ohnhin Entwarnung. Für diesen Winter und den nächsten Sommer könne Deutschland auf russisches Gas verzichten. Man habe Vorsorge getroffen. Sein Ministerium arbeitet zudem daran, eine nationale Kohlereserve aufzubauen. Umweltschützer kritisieren, dass Erdgas wie Kohle und Öl ein fossiler Brennstoff und zudem mit hohem Methan-Ausstoß verbunden ist. Methan ist klimaschädlicher als Kohlendioxid. Allerdings ist die Gesamtbilanz besser als bei Kohle. „Wir benötigen keine neuen eigenen LNG-Terminals, die uns weiterhin von fossilen Energien abhängig machen. So schaffen wir weder die Klimaziele noch Frieden“, sagte Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Habeck will, dass neue LNG-Anlagen „Wasserstoff-ready“ sein müssen. Sie sollen später auch für den großen Hoffnungsträger Wasserstoff, der mit Ökostrom-Elektrolyse aus Wasser gewonnen wird, genutzt werden können.

Kosten Schon jetzt ist Flüssiggas viel teurer als Pipeline-Gas. Europa müsste Asien einen Teil des Kuchens abjagen: Bislang geht rund die Hälfte der amerikanischen Flüssiggas-Schiffe nach Asien. Und die Schiffe werden dahin gelenkt, wo es die höchsten Preise gibt, sofern sie nicht im Rahmen von Langfrist-Verträgen unterwegs sind. Der Shell-Konzern erwartet, dass 2025 die globale Nachfrage das Angebot übersteigt. Shell und Uniper gehören zu den größten LNG-Händlern Europas. Zur Entlastung der Bürger soll die Ökostrom-Umlage im zweiten Halbjahr entfallen. Habeck will die Versorger nun verpflichten, zum 1. Juli den Strompreis um 3,723 Cent zu senken.

Atomausstieg NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) sagte nach einer Besprechung der Ressortchefs, dass alle Optionen auf den Tisch gelegt werden müssten. Das beinhalte auch eine Laufzeit-Verlängerung für die drei letzten Atommeiler. Eine erste Prüfung des Bundes habe ergeben, dass ein Weiterbetrieb technisch sehr schwierig sei, man die Meiler aber für den Winter 2023/24 wieder anfahren könne. Er halte das für umsetzbar, so Pinkwart. Davon will Habeck nichts wissen. Er hatte in einem Interview zwar gesagt, dass er eine Verlängerung prüfe, aber auch schon angedeutet, was das Ergebnis sein wird: sicherheitstechnisch nicht möglich. Die Atomkonzerne Eon, RWE und EnBW winken ohnehin ab. Auch DIW-Expertin Kemfert hält nichts davon: „Eine Verlängerung von Atom und Kohle macht uns nach wie vor erpressbar, zudem behindern sie den Umstieg hin zur Vollversorgung mit erneuerbaren Energien.“

Kohleausstieg NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) hat die Netzagentur gebeten, den Ausstieg zu überprüfen. Dabei müsse es um die Frage gehen, ob 1,8 Gigawatt Braunkohle nun endgültig vom Netz gehen, die sich noch in der Sicherheitsvorsorge befänden. Sein Parteifreund Christian Lindner sagte hingegen am Sonntag, man dürfe nicht auf Antworten aus der Vergangenheit setzen: „Erneuerbare Energien sind Freiheitsenergien.“ Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang machte am Montag deutlich, dass ihre Partei am Atom- und Kohleausstieg festhalten will. Es gelte, die Abhängigkeit von russischem Gas zu reduzieren. „Dafür müssen wir jetzt ohne Wenn und Aber die Erneuerbaren Energien ausbauen und auch dafür werden wir relevant mehr Geld in die Hand nehmen“, betonte Lang. Deutschland soll laut Ministerium schon ab 2035 nur noch Ökostrom einsetzen. 2030 will man bereits bei 80 Prozent Ökostrom sein. Pinkwart stellte immerhin die umstrittene 10 00-Meter-Abstands-Regelung von Windrädern zur Wohnbebauung zur Disposition - wenn dies bundesweit einheitlich geregelt werde, „also auch in Bayern und Baden-Württemberg“.

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