Flüchtlingskrise Deutsche Polizisten sollen türkischen Grenzschützern helfen

Ankara · Deutschland will der Türkei nicht nur mit Geld in der Flüchtlingskrise helfen, sondern auch Personal in das Nato-Land schicken. Dies verlautete während des Besuchs von Kanzlerin Angela Merkel in Ankara.

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Die Bundeskanzlerin zu Besuch in der Türkei

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Foto: dpa, cem sh

Deutschland und die Türkei wollen die Nato in den Kampf gegen Schlepper in der Ägäis einbinden. Es müsse erörtert werden, inwieweit die Nato die Überwachung des Seegebiets zwischen der Türkei und Griechenland unterstützen könne, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montag bei einem Besuch in Ankara. Sie kündigte außerdem deutsch-türkische Polizeieinsätze an. Das Technische Hilfswerk (THW) soll zur Versorgung der im türkisch-syrischen Grenzgebiet gestrandeten Flüchtlingen entsandt werden.

Beim Treffen der Nato-Verteidigungsminister in dieser Woche solle geklärt werden, ob die Nato "bei der Überwachung der Situation auf See hilfreich sein und die Arbeit von Frontex und der türkischen Küstenwache unterstützen kann", sagte Merkel nach Beratungen mit ihrem türkischen Kollegen Ahmet Davutoglu.

Die Kanzlerin kündigte außerdem gemeinsame Einsätze deutscher und türkischer Polizisten gegen den "illegalen Grenzübertritt" in der Türkei an. Auch die bilaterale Zusammenarbeit bei der Aufdeckung von Schlepperringen werde fortgesetzt. Zudem müsse geprüft werden, wie die Arbeit der türkischen Küstenwache und der EU-Grenzschutzagentur Frontex in den Gewässern zwischen der Türkei und Griechenland koordiniert werden könne. Die Türkei werde "zusammen mit deutschen Polizisten die Grenzen sichern und Schleuser bekämpfen", sagte Davutoglu.

Merkel und Davotoglu verurteilten die russischen Luftangriffe in Syrien scharf. Die Zivilbevölkerung leide unter den Bombardements, sagte der türkische Regierungschef mit Blick auf die von Russlands Luftwaffe unterstützte Offensive in der Region Aleppo.

Merkel sagte bei dem Treffen außerdem, sie sei "entsetzt" über das menschliche Leid der zehntausenden Flüchtlinge, die nach ihrer Flucht aus der Region Aleppo nun an der Grenze zur Türkei festsitzen. Sie rief Moskau auf, die Luftangriffe einzustellen. Merkel erinnerte an eine im Dezember verabschiedete UN-Resolution, die ein Ende der Angriffe auf die Zivilbevölkerung verlange. Auch Moskau habe dem Beschluss zugestimmt. Deutschland und die Türkei würden beim UN-Sicherheitsrat auf eine Einhaltung der gemeinsamen Syrien-Resolutionen dringen. Unter den gegenwärtigen Umständen sei es nur schwer vorstellbar, dass in Genf Syrien-Friedensgespräche stattfinden könnten, sagte Merkel. Die syrische Opposition hatte zuletzt wegen der russischen Angriffe die Teilnahme an den Gesprächen verweigert.

Russland hat daraufhin Kritik an seinen Luftangriffen in Syrien erneut mit Nachdruck zurückgewiesen. Das Militär attackiere Stellungen von Terrororganisationen in dem Bürgerkriegsland, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow in Moskau. "Niemand bestreitet, dass diese Gruppen bekämpft werden müssen", betonte er nach Angaben der Agentur Interfax. Auch deswegen gehe der Vorwurf ins Leere, dass die russischen Angriffe Schuld seien am Abbruch der Friedensgespräche in Genf, sagte der Mitarbeiter von Präsident Wladimir Putin.

Der einflussreiche russische Außenpolitiker Alexej Puschkow wies Vorwürfe zurück, Russland trage Mitschuld an der Flüchtlingskrise in Europa. "Nicht wir, sondern die US-Politik im Nahen Osten hat den Flüchtlingstsunami ausgelöst", sagte der Chef des Auswärtigen Parlamentsausschusses. Lange vor Beginn der russischen Luftangriffe Ende September habe die Massenflucht begonnen, meinte Puschkow.

Russlands Botschafter in Syrien, Alexander Kinschtschak, wies Spekulationen eines angeblich geplanten Militärbündnisses Russlands mit Syrien, dem Iran, dem Irak, Jordanien sowie mit Kurden zurück. "Wir koordinieren zwar unseren Kampf gegen den Islamischen Staat, aber ich würde nicht von einem Bündnis sprechen", sagte Kinschtschak.

Nach Angaben des türkischen Ministerpräsidenten Davutoglus harren derzeit 30.000 syrische Flüchtlinge aus der Provinz Aleppo nahe der türkischen Grenze in Syrien aus. Nach Schätzungen von Ärzte ohne Grenzen (MSF) sind fast 80 000 Syrer auf der Flucht in Richtung des türkischen Grenzübergangs Kilis. Die zehntausenden Flüchtlinge, die derzeit an der syrischen Grenze auf die Einreise in die Türkei warten, waren aus der der Provinz Aleppo geflohen, als die Regierungsarmee dort mit Unterstützung der russischen Luftwaffe eine Offensive startete.

Die regierungsnahe türkische Hilfsorganisation IHH errichtete dort ein neues Flüchtlingslager. Rund um die syrische Grenzstadt Asas gebe es nun insgesamt neun solcher Camps, sagte ein IHH-Sprecher am Montag. Nach Angaben Merkels sollen Einsatzkräfte des Technisches Hilfswerks in die Region entsandt werden, um die Menschen gemeinsam mit dem türkischen Katastrophenschutz zu versorgen.

Die Türkei ist in der Flüchtlingskrise ein wichtiger Partner für die EU. Ein im November zwischen Brüssel und Ankara vereinbarter Plan verlangt von der Türkei eine bessere Grenzsicherung, um die ungesteuerte Einwanderung in die EU zu beenden. Im Gegenzug soll die türkische Regierung drei Milliarden Euro bekommen, um die rund 2,7 Millionen syrischen Flüchtlinge im Land zu versorgen.

Die EU-Hilfe müsse den Flüchtlingen "schnell und unbürokratisch" zugute kommen, forderte Merkel. Den Kindern aus Syrien müsse so schnell wie möglich der Schulbesuch ermöglicht werden. Davotoglu versicherte, dass die Türkei ihre Verpflichtungen einhalten werde. Es könne aber nicht erwartet werden, dass sein Land "alle Flüchtlinge aufnimmt und das Problem allein schultern werde".

Die Türkei hat nach eigenen Angaben bereits rund 2,5 Millionen Flüchtlinge alleine aus dem Bürgerkriegsland Syrien aufgenommen. Auf die Frage, ob die Türkei nicht viel mehr Geld brauchen werde, sagte Merkel: "Jetzt, würde ich sagen, geben wir erstmal das Geld aus. Wenn es alle ist, können wir auch wieder neu sprechen."

Merkel betonte, dass im Zuge des EU-Türkei-Aktionsplans auch künftig syrische Flüchtlinge nach Europa und damit auch nach Deutschland kommen werden. "Wir können nicht von der Türkei auf der einen Seite erwarten, dass sie alles stoppt, und auf der anderen Seite sagen wir, über die Kontingente sprechen wir dann in einem halben Jahr", sagte Merkel. Es gehe darum, Menschen aus dem Kriegsland "auch aus der Türkei einen Weg nach Europa (zu) ermöglichen", sagte die Bundeskanzlerin. Diese Flüchtlinge sollten über ein Kontingentsystem in Europa verteilt werden. Wichtig sei, dass der Weg aus Syrien über die Türkei nicht illegal verlaufe, sondern "kontrolliert, legal und von uns organisiert".

Dazu habe sich auch die niederländische EU-Präsidentschaft bekannt.
"Und da gibt es eine Gruppe von freiwilligen Ländern in der Europäischen Union, die auf diesem Gebiet auch die ersten Schritte tun werden", sagte Merkel. Über den Mechanismus solle schon kommende Woche konkreter gesprochen werden.

Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu hat derweil eine internationale Einmischung im Kampf gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK verbeten. Es gebe kein Land, das terroristische Aktivitäten innerhalb seiner Grenzen erlauben würde, sagte Davutoglu nach dem Treffen mit Merkel. Die Türkei habe als demokratisches Land das Recht, gegen solche Kämpfer vorzugehen. Kein Land habe das Recht, der Türkei deswegen Menschenrechtsverletzungen vorzuwerfen. Die Türkei wird in der EU seit Jahren für Defizite bei der Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit kritisiert.

Davutoglu verteidigte den Einsatz türkischer Regierungstruppen gegen kurdische Milizen in der Stadt Cizre, bei dem es nach unterschiedlichen Angaben in der Nacht zum Montag zwischen zehn und 60 Todesopfer gegeben haben soll. Die Türkei kämpfe als demokratischer Rechtsstaat dort gegen Terroristen und Waffenschmuggler. Er hoffe, dass die Kämpfe innerhalb kürzester Zeit beendet werden könnten.

Merkel sagte zu dem Vorwurf, die Bundesregierung verrate wegen der herausgehobenen Rolle der Türkei bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise die Menschenrechte, sie habe mit Davutoglu etwa auch über die Arbeitsbedingungen von Journalisten in der Türkei gesprochen. Deutschland habe große Hoffnung auf den Versöhnungsprozess mit Kurden und PKK gesetzt. "Man muss allerdings auch sagen, dass natürlich bei terroristischen Aktivitäten jedes Land auch das Recht hat, gegen Terrorismus vorzugehen", sagte Merkel. Man spreche mit der Türkei sehr wohl über kritische Fragen. Gegenüber vor zwei oder drei Jahren habe sich aber auch die Problemlage geändert, sagte sie mit Blick auf den Syrienkrieg und illegale Migration.

Nach dem Gespräch mit Davutoglu wollte sich die Kanzlerin in Ankara mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan treffen.

(rent/felt/AFP/dpa/REU)
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