Migration über Belarus nach Polen Flüchtende Menschen als politisches Druckmittel

Berlin · Tausende Menschen suchen den Weg über Belarus nach Polen. Während sich die Lage im Grenzgebiet weiter zuspitzt, eskaliert der politische Konflikt zwischen Belarus und der EU. Und auch hierzulande wird die Fluchtbewegung politisch ausgenutzt. Migrationsexperte Gerald Knaus sieht nur einen Weg für humane Kontrollen an der EU-Außengrenze.

 Immer mehr Menschen versuchen über die belarusisch-polnische Grenze nach Polen zu kommen.

Immer mehr Menschen versuchen über die belarusisch-polnische Grenze nach Polen zu kommen.

Foto: dpa/Leonid Shcheglov

Es sind dramatische Szenen, die sich in diesen Tagen an der polnisch-belarussischen Grenze abspielen. Und es sind Bilder, mit denen gezielt Emotionen geschürt und politische Konflikte anheizt werden. Tausende Migranten, die über Belarus ihren Weg nach Polen suchen, harren inzwischen an der östlichen EU-Außengrenze aus. Menschen kampierten in der Nacht auf Dienstag an der mit Stacheldraht gesicherten Grenze, versuchen sich mit Lagerfeuern die Kälte vom Leib zu halten. Immer wieder kommt es zu Zusammenstößen mit Grenzbeamten. Mehrere Migranten kamen im Grenzgebiet bereits ums Leben. Am Montag hatte eine größere Gruppe von Menschen versucht, die Absperrungen von belarussischer Seite aus zu durchbrechen, offenbar vergeblich.

Polen reagierte auf die Lage nun mit einer Grenzschließung. Am Dienstagmorgen wurde der Übergang im polnischen Kuznica geschlossen, wie der Grenzschutz  mitteilte. Laut polnischen Behörden sollen sich zwischen 3000 und 4000 Migranten im Grenzgebiet aufhalten, viele von ihnen aus Afghanistan und dem Irak. Die belarussische Seite bestätigte eine wachsende Zahl von Migranten in Belarus.

Dabei spitzt sich die politische Konfrontation empfindlich zu. Die EU wirft der belarussischen Regierung vor, Migranten gezielt an die Grenze zu schleusen und ihnen die Rückkehr ins Landesinnere zu versperren. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) sprach am Montagabend von einer „zynischen Instrumentalisierung von Migranten“. Diese müsse aufhören.

Der autoritäre belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko macht keinen Hehl aus seinem Kalkül. Als Reaktion auf Sanktionen der EU gegen Belarus hatte er  angekündigt, Migranten auf ihrem Weg in die EU nicht mehr aufzuhalten. Auch die Türkei spielt in dem Konflikt eine Rolle, indem sie Flüge mit Migranten nach Belarus organisieren soll, um an der Grenze den Druck auf die EU zu erhöhen. Laut Beobachtern sind die Fluchtrouten gut organisiert.

Nach dem Willen von Kommissionspräsidentin von der Leyen sollen die Sanktionen gegen Belarus nun ausgeweitet werden: „Ich fordere die Mitgliedstaaten auf, die erweiterte Sanktionsregelung gegen die belarussischen Behörden, die für diesen hybriden Angriff verantwortlich sind, zu billigen“, sagte sie am Montagabend. Die EU arbeite daran, Fluggesellschaften von Drittstaaten zu sanktionieren, die am Transport von Migranten nach Belarus beteiligt seien.

In der unübersichtlichen Lage sieht der Migrationsexperte Gerald Knaus nur eine Handlungsoption der EU, die eine humane Kontrolle verspricht. Dafür müsse man EU-Partner gewinnen, am besten osteuropäische Demokratien wie die Ukraine, Moldau oder Georgien.  „Es gibt keine Pushbacks mehr, aber weiterhin Kontrollen entlang der ganzen Grenze“, erläuterte Knaus als Lösungsansatz. Wer aufgegriffen werde, müsse registriert, festgehalten und in eines dieser Länder gebracht werden, wo eine Prüfung  stattfinden müsse. Die Botschaft dieses Ansatzes sei: „Macht euch nicht auf den Weg zur Grenze von Belarus, denn selbst wer diese überschreitet, ist nicht automatisch in Deutschland“, sagte der Leiter der Denkfabrik Europäische Stabilitätsinitiative. Im Gegenzug müsse die EU finanzielle und politische Unterstützung versprechen, um dem wachsenden Druck aus Moskau etwas entgegensetzen zu können. Andere Handlungsoptionen, etwa die unkontrollierte Zuwanderung über Polen in die EU oder den derzeit praktizierten Weg, das Setzen auf Gewalt und Abschreckung, sieht Knaus nicht mit der Idee der humanen Kontrolle vereinbar.

Von den Ampel-Parteien war am Dienstag wegen der laufenden Koalitionsverhandlungen keine Stellungnahme zu dem Konflikt zu bekommen. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Europaparlament, Ska Keller, kritisierte, dass sich die EU wegen der fehlenden Einigung in der Asylpolitik „erpressbar“ mache. „Diese schutzsuchenden Menschen werden instrumentalisiert und gegen die Europäische Union eingesetzt, und das funktioniert leider. Die EU muss Lukaschenko, aber auch Putin entschiedener entgegentreten und deutlich machen, dass diese Menschen für sie keine Bedrohung bedeuten“, so Keller. Es brauche dringend ein gemeinsames europäisches Asylsystem.

Der Unionsfraktionsvorsitzende im Bundestag, Ralph Brinkhaus (CDU), übte scharfe Kritik an den Ampel-Parteien. Diese müssten zügig einen Plan vorlegen, wie an der deutsch-polnischen Grenze reagiert werden solle. „Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf, dass die Außengrenzen geschützt werden“, schrieb Brinkhaus auf dem Nachrichtendienst Twitter. Die bisherigen Signale der Ampel-Parteien seien kontraproduktiv. „Wenn Asylbewerber künftig Leistungen auf Hartz-IV-Niveau beziehen dürfen, dann ist das nur ein weiterer Anreiz, dass noch mehr Migranten nach Deutschland wollen“, so Brinkhaus.

Zuvor hatte der geschäftsführende Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) mehr Unterstützung für Polen an der Grenze zu Belarus gefordert und dabei an die EU-Kommission appelliert, nun aktiv zu werden. Polens bisheriges Vorgehen verteidigte Seehofer. „Ich sage auch, dass wir die bauliche Sicherung der Grenzen brauchen. Da müssen wir auch öffentlich die Polen unterstützen. Wir können sie nicht dafür kritisieren, dass sie mit zulässigen Mitteln die Außengrenze der EU schützen“, sagte Seehofer der „Bild“-Zeitung.

(mit Agenturmaterial)
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