Nach Lindner-Vorstoß Wirtschaftsministerium erteilt Stromproduktion ohne Gas eine Absage

Berlin/Düsseldorf · Bundesfinanzminister Christian Lindner hatte gefordert, für die Stromproduktion auf Gas zu verzichten. Das Haus von Wirtschaftsminister Robert Habeck weist die Idee zurück – in der SPD-Fraktion ist gar von Populismus die Rede. Streit gibt es auch bei Entlastungen.

Das stillgelegte Atomkraftwerk Grohnde. (Archiv)

Das stillgelegte Atomkraftwerk Grohnde. (Archiv)

Foto: dpa/Melissa Erichsen

Das Bundeswirtschaftsministerium hat Vorschläge für eine Umstellung der Stromproduktion ohne Gas zurückgewiesen und eine ausreichende Versorgungssicherheit betont. „Die Versorgungssicherheit im Strombereich ist auch unter verschärften Bedingungen gewährleistet, wie ein erster Stresstest zeigt, den die Übertragungsnetzbetreiber von März bis Mai 2022 gerechnet haben“, teilte ein Sprecher von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) mit. Demnach sei die Versorgungssicherheit auch bei einem Ausfall von russischen Gaslieferungen gewährleistet. Das gelte auch für den Fall stark steigender Gaspreise über das derzeitige Niveau hinaus, trotz eines Ausfall französischer Atomkraftwerke und unter den Bedingungen des deutschen Atomausstiegs.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte zuvor davor gewarnt, dass aus der Gaskrise eine Stromkrise wird. „Deshalb darf mit Gas nicht länger Strom produziert werden, wie das immer noch passiert“, sagte der FDP-Vorsitzende der „Bild am Sonntag“. Wirtschaftsminister und Grünen-Politiker Robert Habeck hätte die gesetzliche Möglichkeit, das zu unterbinden. „Stattdessen müssen wir andere Stromkapazitäten erhalten.“ Lindner zeigte sich offen, sichere und klimafreundliche Kernkraftwerke nicht abzuschalten, sondern nötigenfalls bis 2024 zu nutzen. Das lehnen die Grünen allerdings ab.

Das Wirtschaftsministerium verwies nun auf einen zweiten Stresstest für die Versorgungssicherheit unter nochmals verschärften Szenarien und mit speziellem Blick auf Bayern, „weil dort Netz- und Windkraftausbau verschleppt wurden“, wie der Ministeriumssprecher mitteilte. Diese Ergebnisse würden dann bewertet. Man warte die Ergebnisse des zweiten Stresstests ab und entscheide auf Basis von Fakten und Analysen und nicht auf Zuruf, so Habecks Sprecher.

Aus der SPD-Bundestagsfraktion kam ebenfalls Kritik an Lindner. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch sagte unserer Redaktion: „In Krisenzeiten sind wirkliche Lösungen gefragt und keine populistischen Schnellschüsse. Bislang haben alle seriösen Prüfungen ergeben, dass Atomkraft die teuerste und unsicherste Energieform ist, die gerade für Deutschland nicht das Gasproblem löst.“ Aber natürlich gehörten alle Optionen immer wieder geprüft, was das Bundeswirtschaftsministerium gerade vor dem Hintergrund der erheblichen Probleme französischer Atomkraftwerke mache, sagte der SPD-Politiker. „Ich erwarte von Verantwortungsträgern, dass sie diese Untersuchungen seriös abwarten“, so Miersch.

Die Atomkonzerne hoffen weiterhin, dass sie um längere Laufzeiten herumkommen. Der Eon-Sprecher bekräftigte am Sonntag: „Anfang März haben sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke öffentlich gegen eine Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken in Deutschland ausgesprochen. Damit hat die Bundesregierung eine politische Abwägungsentscheidung getroffen, auf diese Option nicht zurückzugreifen zu wollen. Diese Entscheidung respektieren wir.“

Eon betreibt den Atommeiler Isar 2 bei München. Der Druck der bayerischen Landesregierung und der Wirtschaft ist groß, vor allem diesen Meiler länger laufen zu lassen. Bayern hätte in einer Gas- und Stromkrise das größte Problem, weil das Land viel Industrie, wenig Kohlekraftwerke und weite Wege zu Flüssiggasterminals hat.

Ein Sprecher von RWE sagte zu den Debatten des Wochenendes: „Wir möchten uns an den Spekulationen nicht beteiligen. Die Bundesregierung hat erklärt, die Ergebnisse des Stresstests abwarten zu wollen.“ RWE will seinen letzten Meiler Emsland in Lingen planmäßig zum Jahresende abschalten.

Auch EnBW-Chef Frank Mastiaux ist zurückhaltend, er hatte unlängst gesagt: „Sie könnten ein paar Wochen weitermachen, aber das ist es dann. Dann muss man über neue Brennstäbe reden.“ EnBW will eigentlich Neckarwestheim Ende des Jahres vom Netz nehmen.

Unterdessen ringt das Ampel-Bündnis aus SPD, Grünen und FDP um weitere Entlastungen für die Bürger angesichts stark steigender Energiepreise. SPD und Grüne drängen den Koalitionspartner FDP, den Widerstand gegen eine Übergewinnsteuer aufzugeben. „Die SPD wird einen neuen Anlauf nehmen, eine Übergewinnsteuer für Konzerne einzuführen, die sich an der Krise bereichern“, sagte Parteichefin Saskia Esken der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ vom Samstag. Grünen-Chefin Ricarda Lang sagte am Sonntag im ZDF, mit einer solchen Steuer könnten im Herbst weitere Entlastungen für Bürgerinnen und Bürger finanziert werden. „Wenn wir eine Gasumlage machen, müssen weitere Entlastungen kommen“, sagte Lang.

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