Faktencheck zum neuen Buch Das ist dran an Sarrazins Thesen zum Islam

Düsseldorf · Ex-Bundesbanker Thilo Sarrazin hat ein neues Buch veröffentlicht. „Feindliche Übernahme“ wimmelt von unwahren Tatsachenbehauptungen, Widersprüchen und Küchenpsychologie.

 Thilo Sarrazin stellt bei einer Pressekonferenz sein neues Buch vor.

Thilo Sarrazin stellt bei einer Pressekonferenz sein neues Buch vor.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Thilo Sarrazin, früherer SPD-Finanzsenator in Berlin, hat noch eine Rechnung offen. Bevor er auf die Inhalte seines neuen Buchs „Feindliche Übernahme“ eingeht, in dem er laut Untertitel beschreibt, wie der Islam den Fortschritt behindere und die Gesellschaft bedrohe, geht er auf die Zeit vor acht Jahren ein. Damals löste er mit „Deutschland schafft sich ab“ eine heftige Debatte aus.

Seine Thesen waren damals ähnlich wie heute: Er sieht die muslimischen Zuwanderer als Zerstörer des freien, demokratischen und wohlhabenden Deutschlands. „Alles kam schlimmer als von mir analysiert“, sagt er nun. Man habe versucht, ihn zur bürgerlichen Unperson zu stempeln. Er erwähnt auch, dass sein alter Verlag Random House ihn nicht mehr drucken wollte. Nun erscheint das Werk im Finanzbuch-Verlag.

Für die Laudatio hat Sarrazin den früheren Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky gewonnen. Buschkowsky ist wie Sarrazin Sozialdemokrat und sieht die muslimischen Zuwanderer und ihre mangelnde Integration auch sehr kritisch – allerdings nicht in Sarrazins Radikalität. Seine Thesen im Faktencheck.

Der Islam ist eine Gewaltideologie im Gewand einer Religion.

Das stimmt mit Sure 2,191: „Kämpft gegen sie und tötet sie, wo immer ihr auf sei trefft“, heißt es im Koran zum Kampf gegen Nichtmuslime. Nun sind Gewaltexzesse auch in der Bibel – insbesondere im Alten Testament – keine Seltenheit. Dennoch ist das Christentum eine Friedensreligion. Es kommt also auf die Lesart an. Wer die Texte buchstabengetreu auslegt, wird der Gewalt nahestehen. Jede historische Lesart stellt die Anweisungen in den geschichtlichen Zusammenhang. Denn oft sind es Antworten auf Fragen der damaligen Zeit. Darum: Wie kann ein verorteter Text in arabischer Sprache aus dem 7. Jahrhundert für alle Orte und zu allen Zeiten gültig sein? Die Auslegung des Koran birgt nach wie vor einen Konflikt, den die meisten Muslime vor allem in westlichen Ländern mit einer kritischen Lesart für sich längst beantwortet haben.

Dem Islam wohnt die Gefahr inne, dass sich seine Sicht auf die Gesellschaft bei allen Muslimen durchsetzt.

Zwei Denkfehler sind dieser Behauptung zu eigen. Zum einen wird vorausgesetzt, dass der Islam keine spirituelle, sondern eine Gesetzesreligion ist, die auch das gesellschaftliche Leben der Gläubigen regelt. Was insbesondere in westlichen Ländern nach Einschätzung der Islamwissenschaftlerin Gudrun Kramer nur auf einen verschwindend kleinen Teil aller Muslime zutrifft. Zum anderen unterstellt Sarrazin, dass es nur eine Sicht des Islams gebe. Gerade die Vielschichtigkeit der Lehre des Islams kennzeichnet die Religion.

Hätte die SPD Sarrazins Analysen gelesen, ginge es ihr heute nicht so schlecht.

Das ist unterkomplex. Für die Verluste der SPD in Wahlen und Umfragen gibt es eine Vielzahl von Gründen. Maßgeblich ist der Wegfall der klassischen Arbeiterschaft. Auf die Sorgen der neuen, akademisch geprägten Mittelschicht hat die SPD keine befriedigenden Antworten. Zudem hängen ihr noch immer die Hartz-Reformen der Schröder-Zeit an, die die SPD Glaubwürdigkeit gekostet haben. Die Probleme reichen deutlich vor die Zeit von Sarrazins kruden Analysen und über das Thema Migration weit hinaus.

Der heute gelebte Islam ist mit westlichen Werten nicht vereinbar; Fundamentalisten sind auf dem Vormarsch.

Unter den Muslimen sind zwei Trends zu beobachten: Eine Gruppe wendet sich verstärkt den religiösen Praktiken zu. Die andere Gruppe nimmt säkulare Werte und Lebensformen an. Es existieren also Säkularisierungstendenzen wie auch im Christentum. Diese Entwicklungen sind derzeit interessanterweise dort am stärksten, wo der religiöse Druck und die Bevormundung am größten ist; beispielsweise im Iran. Viele Muslime wollen nicht permanent über ihre Religion definiert werden; der Glaube ist Teil ihres Lebens, aber eben nicht das ganze Leben.

Aus islamischen Staaten kommen keine Impulse für den Fortschritt der Menschheit.

Nun könnte man zurückfragen, was mit Fortschritt der Menschheit gemeint ist. Doch in der Tat haben Muslime – einst Träger einer Hochkultur – führende Positionen in der Welt eingebüßt. Und es gibt erbarmungslose Expertisen dazu wie jene des Philosophen Peter Sloterdijk, wonach der Islam „bisher wenig vorzuweisen hat, was ihn befähigte, die technologischen, ökonomischen und wissenschaftlichen Existenzbedingungen für die Menschheit des 21. Jahrhunderts kreativ fortzubilden“. Vor allem fehlt dem Islam eine Aufklärung, durch die hindurch das Christentum im 18. Jahrhundert seinen Weg finden musste. Allerdings gibt es Kräfte innerhalb des Islam, die genau diese Aufklärung vorantreiben. Etwa der Münsteraner Theologe Mouhanad Khorchide. Zudem sei daran erinnert, dass die katholische Kirche noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts Religionsfreiheit und andere Menschenrechte nicht anerkannte.

Frauen wurden im Abendland nie auf ihre Geschlechterrolle beschränkt.

Wäre Sarrazin Humorist, könnte man über diesen Satz lachen. Wörtlich schreibt er: „Sie durften lesen, musizieren und flirten.“ Der Begriff des Abendlandes wurde bereits in der Antike für Europa verwendet. Das Frauenwahlrecht gab es in Deutschland 1918. Bis 1958 durfte der Ehemann das Dienstverhältnis seiner Frau kündigen. Und erst 1997 wurde die Vergewaltigung in der Ehe in der Bundesrepublik strafbar.

Muslime sind schuld an der Abnahme der kognitiven Fähigkeiten in Europa

Sarrazin verknüpft wie in früheren Büchern die Religionszugehörigkeit mit dem Bildungsgrad. Dass Schüler mit Migrationshintergrund bei Pisa-Studien schlechter abschneiden, belegt für ihn, dass der Islam die Leute dumm macht. Das ist unzulässig und falsch. Richtig ist, dass Kinder mit Migrationshintergrund etwa an Gymnasien unterrepräsentiert sind. Das liegt aber nach Ansicht des Bildungsforschers Klaus Klemm am „sozioökonomischen Hintergrund“ der Eltern und an der Sprache. Die Religion spielt keine Rolle.

Die Einwanderung von Muslimen nach Europa muss verboten werden.

Der Titel des deutschen Trumps ist laut „New York Times“ bereits an Markus Söder vergeben, sonst wäre Sarrazin mit seinem europäischen „Muslim Ban“ ein heißer Anwärter. In Deutschland gilt das Recht auf Asyl für politisch Verfolgte und in Europa das Recht auf Freizügigkeit. Beides verhindert, dass Sarrazins Traum Realität wird. Das Asylrecht sei zum Einfallstor für illegale Migration verkommen, behauptet er, was freilich ein Widerspruch in sich ist.

Den Islam zu „domestizieren“, ist ein utopischer Versuch.

In dieser Forderung steckt der Grundirrtum Sarrazins: dass es nämlich „den“ Islam gäbe. Abermillionen von Muslimen leben in der Moderne; aber der Islam selbst handelt nicht. Es gibt kein einheitliches Lehramt wie in der katholischen Kirche. Schon ab dem 9. Jahrhundert entwickelten sich verschiedene Denkschulen und Glaubensrichtungen des Islams. Er ist weder eine Institution noch eine Organisation. In diesem Sinne ist der Islam eine Weltreligion ohne Adresse.

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