Studie sieht gravierende Probleme im Pflegesystem Fehlplanungen und mangelndes Personal

Berlin · Wie kann die Bundesrepublik dem Pflegebedarf in Deutschland gerecht werden? Diese Frage treibt schon seit Langem die Politik um. Nun zeigt erneut eine Studie, dass es im deutschen Pflegesystem gravierende Mängel gibt – und auch Fehlsteuerungen.

So belastend ist die Pflege Angehöriger
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Foto: Bußkamp, Thomas

Wie kann die Bundesrepublik dem Pflegebedarf in Deutschland gerecht werden? Diese Frage treibt schon seit Langem die Politik um. Nun zeigt erneut eine Studie, dass es im deutschen Pflegesystem gravierende Mängel gibt — und auch Fehlsteuerungen.

SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück kündigte im Interview mit unserer Redaktion an, die Pflege auch zum Wahlkampfthema zu machen. "Wir wollen in den kommenden vier Jahren in Deutschland 125.000 zusätzliche, tariflich entlohnte Stellen für Pflegerinnen und Pfleger schaffen", sagte er.

Steinbrück sprach von "erheblichen Defiziten" in der Branche. Und damit steht er schon lange nicht allein da. Denn auch Studien belegen immer wieder, dass es nicht zum Besten mit dem deutschen Pflegesystem bestellt ist. So hatte auch der Vorsitzende der Deutschen Stiftung Patienten-Schutz, Eugen Brysch im Interview mit unserer Redaktion gesagt, dass etwa die Facharztversorgung in vielen Pflegeheimen mangelhaft sei und dass allen klar sein müsse, dass Pflege in Zukunft teuer wird.

"Realistisch ist, dass mindestens vier Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich investiert werden müssen, um allein den demenziell Erkrankten eine bessere Hilfe zu geben", so Brysch. Dass Milliarden-Investitionen vonnöten sind, zu diesem Schluss kommt auch eine neue Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts RWI und der Unternehmensberatung Accenture, die am Dienstag vorgestellt wird und aus der das "Handelsblatt" vorab zitierte. Allerdings gehen die Studienmacher von ganz anderen Größenordnungen aus.

Fehlen bis 2030 rund 200.000 Beschäftigte?

Demnach seien bis 2030 Investitionen in Höhe von rund 54 Milliarden Euro und mindestens 166.000 neue stationäre Pflegeplätze nötig, um den bis dahin geschätzten Pflegebedarf von 3,3 Millionen Menschen gerecht zu werden. Auch wenn Familienmitglieder fast die Hälfte der Pflegebedürftigen betreuten, zitiert die Zeitung aus der Studie, so würden doch auch im stationären und ambulanten Bereich viel mehr Kapazitäten benötigt.

Aktuell gibt es 2,5 Millionen Pflegebedürftige, 743.000 werden stationär in Heimen versorgt. Doch angesichts des erwarteten Anstiegs der Pflegefälle sei auch der Bedarf an Pflegekräften höher, wie auch andere Experten immer wieder festgestellt haben. Laut RWI fehlen bis 2020 rund 84.000 Fach- und Hilfskräfte in Deutschland, bis 2030 dürften es sogar 200.000 Beschäftigte sein.

Zu einer anderen Einschätzung kommt laut "Handelsblatt" der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste. Demnach würden bis 2020 mindestens 50.000 Fachkräfte in der Pflege benötigt. Wenn nicht jeder dritte Schulabgänger künftig einen Pflegeberuf ergreife, so der Verband, müsste der Bedarf durch qualifizierte Zuwanderung gedeckt werden. Welche Zahl nun tatsächlich eintrifft, ist letztlich nicht wichtig. Entscheidend ist, dass der Bedarf durchaus da ist — und zwar in massivem Umfang.

Überkapazitäten in einigen Regionen

Die RWI-Studie greift aber auch einen bislang recht wenig beachten Aspekt auf, nämlich den gewisser Fehlplanungen. Demnach gibt es in einigen Regionen Deutschlands (etwa im Norden, aber auch in Teilen Bayerns) Überkapazitäten, sodass sich Pflegeeinrichtungen dort in finanziellen Nöten befänden, wenn nicht sogar vor der Insolvenz stünden.

"Wird in einem nahezu gesättigten Markt ein neues Heim errichtet — was wir immer wieder beobachten können —, hat das für alle Heime vor Ort verheerende wirtschaftliche Folgen", sagte Sebastian Krolop, Mitautor der Studie, dem "Handelsblatt". Zehn Prozent der Pflegeheime schrieben demnach 2011 einen Jahresverlust, acht Prozent drohte die Insolvenz.

Auch werde, so sagt die Studie aus, an vielen Orten an dem Bedarf vorbeigeplant.Viele Heime hätten noch Mehrbettzimmer, allerdings sind in einigen Ländern Einzelzimmer bereits als Standards vorgeschrieben, in anderen Ländern werden sie von den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen vermehrt nachgefragt. Das bedeute für viele Häuser massive Investitionen — und das stelle vor allem kleine Häuser in Privatbesitz vor Probleme.

Angesichts der Vielzahl der festgestellten Probleme geben die Studienmacher auch die eine oder andere Empfehlung. So müssten Krankenhäuser viel effektiver mit Pflegeeinrichtungen zusammenarbeiten, auch um Pflegefälle schon vorab zu vermeiden. Zudem müssten künftig wohl mehr Senioren umziehen, etwa in Zentren für betreutes Wohnen, an die ein ambulanter Dienst gleich angeschlossen ist.

(das)
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