Politik diskutiert über „Sternenkinder“ Mehr Schutz für Mütter nach Fehlgeburten

Berlin · Wer sein Kind in einem frühen Stadium der Schwangerschaft verliert, soll am nächsten Tag wieder arbeiten gehen – so will es zumindest das aktuelle Gesetz. Aktivisten fordern eine Änderung. Wie die Politik reagiert.

Eine Frau blickt auf das Ultraschall-Bild eines ungeborenen Kindes (Symbolfoto).

Eine Frau blickt auf das Ultraschall-Bild eines ungeborenen Kindes (Symbolfoto).

Foto: Hodei Unzueta / imago

Experten zufolge ist jede dritte Frau im Laufe ihres Lebens von einer Fehlgeburt betroffen. Nicht nur körperlich kann das Schmerzen verursachen, auch psychisch leiden die Betroffenen häufig unter dem Verlust des Kindes. Um das zu verarbeiten, können sie Mutterschutz erhalten – allerdings nur unter gewissen Bedingungen. „Aktuell gibt es einen Anspruch auf Mutterschutz erst ab der 24. Schwangerschaftswoche oder wenn das Kind mehr als 500 Gramm gewogen hat. Oder wenn es kurz geatmet hat“, sagt die Aktivistin Natascha Sagorski, die eine Gesetzesänderung fordert. Mindestens eins dieser drei Kriterien müsse erfüllt sein, um Anspruch auf Mutterschutz zu erhalten.

Gehe eine schwangere Frau am letzten Tag der 23. Schwangerschaftswoche in eine Arztpraxis und erhalte die Diagnose, dass das Herz ihres Kindes nicht mehr schlage, bekomme sie keinen einzigen Tag Mutterschutz, so Sagorski. „Würde die gleiche Frau einen Tag später in die Praxis gehen, bekäme sie 18 Wochen Mutterschutz“, so die Aktivistin. Aus medizinischer Sicht ergebe das keinen Sinn: Die Frauen seien gleich lang schwanger gewesen, hätten die gleiche hormonellen Umstellungen durchgemacht. Hinzu kommen die psychischen Leiden: „Auch in einer frühen Schwangerschaftswoche hat ein Kind schon einen Platz im Herzen seiner Mutter, den es behält, wenn es vor, während oder nach der Geburt verstirbt“, sagt Dr. Christoph Bührer, Direktor der Klinik für Neonatologie an der Berliner Charité.

Die Ampel-Parteien sagten bereits 2021 im Koalitionsvertrag zu, die Regelung verbessern zu wollen. „Den Mutterschutz und die Freistellung für den Partner bzw. die Partnerin soll es bei Fehl- bzw. Totgeburt künftig nach der 20. Schwangerschaftswoche geben“, heißt es in der Vereinbarung. Experten und Aktivisten ist das nicht genug. Sie sprechen sich vor dem Familienausschuss im Bundestag für einen gestaffelten Mutterschutz aus: Für das erste Trimester fordert Sagorski zwei Wochen Mutterschutz. Ab der zwölften Woche soll eine Staffelung des Anspruches erfolgen. „Das Problem ist: Im Familienministerium muss jetzt Bewegung reinkommen, da kommt immer noch nichts“, kritisiert sie. Das Thema werde „auf die lange Bank geschoben. Ich verstehe nicht, wie man ein Thema mit dieser breiten Zustimmung politisch so lange vertrödeln kann.“

An Zustimmung aus der Politik scheint es in der Tat nicht zu mangeln: Die Ampel-Fraktionen im Bundestag befürworten die Forderungen. „Die aktuell geltende harte Grenze der 24. Schwangerschaftswoche ist schwer zu argumentieren“, sagt Nina Stahr, die für die Grünen-Bundestagsfraktion im Familienausschuss sitzt. Eine Staffelung wolle man prüfen. „Es darf nicht sein, dass Frauen nach einer Fehlgeburt um Krankschreibungen betteln müssen, von Ärzten und Ärztinnen gesagt bekommen, sie sollen sich nicht so anstellen und mit ihrer Trauer allein gelassen werden.“ Auch seitens der SPD spricht man sich für eine Nachbesserung aus: „Ein gestaffelter Mutterschutz, angelehnt an die zeitlichen Phasen einer Schwangerschaft, würde aus meiner Sicht bedarfsgerechter und individueller auf die Bedürfnisse der betroffenen Frauen eingehen“, so Leni Breymaier, Obfrau der Fraktion im Familienausschuss. Laut FDP-Bundestagsfraktion steht das Thema „weit oben auf der Prioritätenliste“, der bisherige Änderzungsvorschlag aus dem Koalitionsvertrag sei „unzureichend“, so die frauenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Nicole Bauer.

Das Familienministerium sagte auf Anfrage, Vorhaben zum Schutz der Frau hätten „einen hohen Stellenwert“. „Um der Komplexität der damit verbundenen Fragestellungen gerecht werden zu können, verlangt die konkrete Umsetzung dieses Vorhabens Zeit und unterliegt derzeit noch einer internen Prüfung.“ Konkrete Pläne gibt es also noch nicht. „Man sieht leider, dass Familienpolitik immer ganz hinten auf der politischen Agenda steht“, sagt Sagorski. Die Aktivistin hofft darauf, dass die Politik den Mutterschutz noch in dieser Legislaturperiode überarbeitet. Am 7. Juni sitzt sie als Sachverständige im Gesundheitsausschuss des NRW-Landtags, der auf Antrag der FDP-Fraktion tagt. Außerdem gebe es Termine im Bundesfamilienministerium. Sie wolle dann gemeinsam mit einem Experten-Team einen eigenen Vorschlag zur konkreten Staffelung vorlegen. „Die aktuelle Regelung schließt ganz viele Schwangere aus und schafft Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten, die wir so nicht stehen lassen können.“

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