Vor dem Dreikönigstag Wer braucht noch die FDP?

Berlin · Für die Freien Demokraten geht es ums Überleben. Auch in Nordrhein-Westfalen ist die Partei nicht in der Lage, Punkte zu sammeln. Ihr Dilemma: Bevor die FDP den Wählern Chancen ermöglichen kann, muss sie wieder politisch mitspielen.

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner beim traditionellen Dreikönigstreffen der Partei 2014 im Stuttgarter Staatstheater.

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner beim traditionellen Dreikönigstreffen der Partei 2014 im Stuttgarter Staatstheater.

Foto: dpa

Seit 149 Jahren gibt es gleich zum Auftakt eines neuen Jahres im Südwesten zum Dreikönigstag die Heerschau der Liberalen. Im Nachkriegsdeutschland trat die FDP in Stuttgart 63 Mal als Bundestagspartei mit bundesweitem Gestaltungsanspruch an, davon 43 Jahre lang als Mitglied der Bundesregierung. Wenn FDP-Chef Christian Lindner nächsten Dienstag die Bühne des Stuttgarter Staatstheaters betritt, ist alles anders. Die zum selbstverständlichen Möbel im Wohnzimmer der Macht gewordene Partei ist nicht nur aus dem Bundestag und elf Landesparlamenten geflogen, auch in den fünf Landtagen, in denen sie noch vertreten ist, sehen Umfragen sie in Sonntagsfragen unter der Fünf-Prozent-Hürde. Erleben wir Dienstag also das letzte "3K", wie das Treffen FDP-intern genannt wird?

9,18 Prozent — das ist der in Jahrzehnten zum Grundgefühl der Deutschen gewordene Zustimmungswert zur FDP. Diese Zahl ergibt sich aus dem Durchschnitt aller Bundestagswahlergebnisse für die FDP von 1949 bis 2009. Diese Marke bedeutete Selbstgewissheit: Es ging mal rauf und mal runter, aber die Substanz war groß genug, jeweils sicher für den nächsten Bundestag planen zu können, sich als besonderes Kennzeichen der Liberalen auch lieber mal einen Streit zu viel als einen zu wenig leisten zu können. Auch die für Liberale unerträglich lange Oppositionszeit von 1998 bis 2009 hatte nur dazu geführt, dass die Deutschen sie so intensiv an der Macht vermissten, wie nie zuvor: 14,6 Prozent für den Wahlkampf Guido Westerwelles drückten die FDP zurück in die Regierung und bescherten ihr gleich fünf Ministerposten.

Die FDP wird schwächer und schwächer

Hätte das Grundgefühl weiter Bestand und wäre der Absturz auf 4,8 Prozent im Jahr 2013 nur ein einmaliges Abstrafmanöver für nicht gehaltene Wahlversprechen und systematische Wählerenttäuschung gewesen — die FDP müsste längst wieder im Umfeld ihrer angestammten 9,18 Prozent liegen. Viele Beobachter erwarteten nach dem Auszug aus dem Bundestag eine Reue-Reaktion der traditionellen FDP-Klientel. Bald würden die Liberalen sicher wieder deutlich über fünf Prozent liegen, und mit jedem absehbaren marktwirtschaftlichen Fehlgriff der großen Koalition würde die außerparlamentarische FDP gestärkt und dann von Landtagswahl zu Landtagswahl erfolgsstrotzender in den nächsten Bundestag zurückkehren.

Das Gegenteil ist eingetreten. Die FDP wird schwächer und schwächer. Zwei und drei Prozent in den jüngsten Umfragen für die bevorstehenden Landtagswahlen in Hamburg und Bremen kündigen eine Fortsetzung vernichtender Niederlagen an. Und selbst dort, wo die FDP noch in der Lage ist, innerhalb des Parlamentes Punkte zu sammeln, ist sie laut Demoskopen schon weg vom Fenster: In Niedersachsen, NRW und Schleswig-Holstein konnte die FDP zuletzt noch mehr als acht Prozent einfahren, nun wird sie dort nur noch zwischen drei und vier Prozent gehandelt. In den meisten anderen Bundesländern ist es nur noch eine "zwei", und einen bitteren Vorgeschmack liefert die Landes-FDP in Berlin, wo die Partei zuletzt nur noch auf 1,8 Prozent in den Wahlen kam und bei den Umfragen gar nicht mehr erwähnt wird.

Mit diesem Vorstand will die FDP zurück in den Bundestag
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Ist die FDP also in den Worten ihres Parteivize Wolfgang Kubicki in einen derartigen "Gernalverschiss" gekommen, dass sie endgültig ausgedient hat? Sowohl Aktivisten wie Analysten schütteln bei dieser These energisch den Kopf. In einem Strategieworkshop eröffneten Spezialisten der Boston Consulting Group der neuen FDP-Führung, dass sowohl Marke wie Inhalte der Partei intakt seien und eigentlich funktionieren müssten. Folgerichtig startete die Partei bei ihrer Suche nach neuen Leitbildern auch keine Revolution sondern griff eher zu einem moderneren Anstrich. Überzeugungskraft gewinnen kann die FDP nach Einschätzung von Präsidium und Wissenschaft vor allem mit der Botschaft einer "Partei, die Chancen ermöglicht". Bereits das Dreikönigstreffen steht, begleitet von farblich leicht geliftetem Partei-Emblem unter dem Motto "Chancen ermöglichen".

Die Wirtschaft boomt — keine Luft für die FDP

Das Problem dabei: Bevor die FDP den Menschen (und Wählern) Chancen ermöglichen kann, muss sie selbst erst einmal wieder die Chance haben, politisch mitzuspielen. Sie braucht also eine Reihe von Kompetenzzuschreibungen, die nach dem Empfinden der Menschen von den aktuell Regierenden und als Alternative wahrgenommenen Konkurrenten nicht zu erwarten und trotzdem dringend gebraucht werden.

Da wäre etwa die Ruhe, Verlässlichkeit und Bedeutung, die über Jahrzehnte mit Außenministern der FDP vom Rang eines Hans-Dietrich Genscher verbunden waren. Dafür aber ist angesichts der überragenden Zustimmung zum internationalen Wirken von Angela Merkel kein anderweitiger Bedarf. Im Vergleich zum letzten außenpolitischen Angebot der FDP (Guido Westerwelle) und zur aktuellen Alternative in Person des Europa-Abgeordneten Alexander Graf Lambsdorff lässt auch der amtierende SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier keinen Millimeter Raum zur Entfaltung einer Sehnsucht nach der FDP.

Auf dem Feld der eigentlichen wirtschaftspolitischen Kernkompetenz der FDP würden die Liberalen dann vermisst, wenn es Deutschlands Wirtschaft schlecht ginge, die Weichen erkennbar falsch gestellt wären und die aktuellen Akteure Grund zum Misstrauen gäben. Doch die Wirtschaft boomt weiter, ist jedenfalls von besorgniserregenden Krisenszenarien weit entfernt, und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel neigt auch nicht zu sozialistischen Experimenten, die die FDP-Klientel verschrecken könnte, sondern zwingt seine Partei stattdessen sogar in einen wirtschaftsfreundlicheren Kurs der Mitte. Keine Luft auch hier für die FDP.

So bleibt es bei dem Befund, dass für eine konsequent marktwirtschaftliche Partei, die für Freiheit des Einzelnen statt staatlicher Bevormundung steht, theoretisch viel Platz wäre, dass es praktisch aber längst ums Überleben geht: Es ist kein akuter Bedarf für die FDP zu erfühlen, so dass die Umfragen weiter in den Keller rauschen, und weil die Umfragen so schlecht bleiben, gibt es auch keinen Bedarf, sich näher mit der FDP zu beschäftigen, was ihre Wahrnehmbarkeit zusätzlich verringert. Mag Lindner in diesem Jahr auch noch so viel Mut verbreiten und seine Hoffnung darauf richten, dass "3K" erst im nächsten Jahr die Stimmungswende bringen muss, um im übernächsten den Wiedereinzug in den Bundestag einzuleiten — zur bitteren Wahrheit gehört inzwischen, dass es außerhalb des Einflussbereiches der FDP zu Verschiebungen in Grundstimmung, Alternativen oder wirtschaftlicher Lage kommen müsste, damit es mit den Liberalen wieder aufwärts gehen könnte.

(may-)
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