Interview mit General Christian Lindner FDP fordert 662 Euro Bürgergeld

(RP). Der neue Generalsekretär der FDP, Christian Lindner, drängt die Bundesregierung zu der Einführung eines so genannten Bürgergelds für Arbeitslose und Bedürftige. Darin sollen alle steuerfinanzierten Sozialleistungen zusammengefasst werden. Das Bürgergeld würde Hartz IV ersetzen. So sollen alle steuerfinanzierten Transfers, etwa Arbeitslosengeld II, Sozialgeld, Grundsicherung, Sozialhilfe, Kinderzuschlag und Wohngeld, zusammengefasst und pauschal nur noch vom Finanzamt ausbezahlt werden. Der Anspruch für einen Alleinstehenden soll laut FDP im Schnitt bei 662 Euro liegen. Wer einen zumutbaren Job ablehnt, müsste mit Kürzungen rechnen. Die Union hält einen solch umfassenden Systemwechsel für kaum umsetzbar.

 FDP-Generalsekretär Christian Lindner.

FDP-Generalsekretär Christian Lindner.

Foto: AP, AP

Die CSU diskutiert über einen eigenen Vizekanzler. Die CDU mäkelt, die FDP müsse erst in der Regierung ankommen. Was ist mit der FDP los?

Lindner Die FDP steht in den Ländern seit Jahren erfolgreich in der Regierungsverantwortung, derzeit für etwa 63 Millionen Menschen. Wir haben also keinen Nachholbedarf in Sachen Realitätssinn.

Und Vizekanzler Westerwelle braucht auch keine Amtshilfe aus Bayern?

Lindner Der Kreativabteilung der CSU fällt doch immer wieder etwas ein, um das Publikum vor Kreuth zu unterhalten. Dieses Jahr: Sommerlochvorschlag schon im Januar. Toll.

Trotzdem: In der Regierung fällt die FDP bisher nur durch ihre stete Forderung nach Steuersenkungen auf. Ist das alles?

Lindner Im Koalitionsvertrag finden sich liberale Akzente an vielen Stellen. Nur zwei Beispiele: Wir wollen über Wettbewerb und Kostentransparenz die Qualität des Gesundheitswesens sichern. Finanziert werden muss Gesundheit aber zukünftig ohne Belastung des Faktors Arbeit. Dafür gibt es einen steuerlichen Sozialausgleich. Und die Koalition prüft die Einführung eines Bürgergelds. Darin bündeln wir alle bisherigen Sozialleistungen und bauen Menschen mit geringer Qualifikation eine Brücke zurück in die Selbstverantwortung.

Prüfaufträge gibt es reichlich im Koalitionsvertrag.

Lindner Wir werden dafür sorgen, dass sie mit Leben gefüllt werden.

In der Union gibt es Widerstände gegen umfassende Steuersenkungen. Bleibt es bei den angekündigten Entlastungen ab 2011?

Lindner Uneingeschränkt ja.

In Umfragen ist eine Mehrheit der Bürger skeptisch, ob diese Politik angesichts der Rekordschulden richtig ist. Hat sich die FDP verrannt?

Lindner Gute Politik ist nicht unbedingt, das Populäre zu fordern, sondern, das Notwendige populär zu machen. Die Bürger und die deutsche Wirtschaft brauchen diesen Entlastungsimpuls.

In der Größenordnung von 20 Milliarden Euro und verbunden mit einem Stufentarif bei der Einkommensteuer?

Lindner Mit den schon erreichten Entlastungen dieses Jahres kommen wir sogar auf 24 Milliarden Euro. Das steht auch in der Finanzplanung von Herrn Schäuble. Und am Stufentarif halten wir fest, weil er das Steuersystem klarer macht.

Wie wollen Sie das finanzieren?

Lindner Durch eine neue Balance von Staat und Privat. Zu oft wird gefragt, wie viel Privat sich der Staat leisten kann. Das ist für Politiker und Beamte der einfachste Weg. Wir fragen: Wie viel Staat können sich die Bürger leisten, ohne zu stark auf Investitionen, Vorsorge und Wohlstand verzichten zu müssen?

Und wo darf es weniger Staat sein?

Lindner Einsparpotenzial sehe ich bei der Bürokratie und zum Beispiel bei unwirksamen Programmen der Bundesagentur für Arbeit. Zudem werden sich einige, die heute von Subventionen oder Ausnahmen profitieren, auf Veränderungen einstellen müssen.

Machen Sie es doch mal konkret. Von 20 Milliarden Euro Steuersenkungen: Wie viel muss aus dem Haushalt selbst finanziert werden?

Lindner Wir werden die Steuerschätzung im Mai abwarten müssen. Dann können wir exakt sagen, wie viel der Staat sparen muss.

Sie wollen als Generalsekretär die FDP inhaltlich breiter positionieren. Was schwebt Ihnen vor?

Lindner Wir müssen in Programm und Regierungshandeln zeigen, dass uns sozialer Aufstieg am Herzen liegt. Wir wollen Chancen eröffnen durch beste Bildung, wie das Andreas Pinkwart in NRW vormacht. Wir müssen uns mit bürgerlichen Freiheiten im Internet-Zeitalter beschäftigen. Wir haben viele Themen, denen wir uns intensiv widmen können. Dazu werden wir auf dem nächsten Bundesparteitag im April beschließen, dass wir ein neues Grundsatzprogramm erarbeiten.

Im Mai sind Landtagswahlen in NRW. Laut Umfragen wackelt die schwarz-gelbe Mehrheit. Muss die FDP auf die Grünen zugehen?

Lindner Ich bemerke kein Wackeln. Höchstens bei den Grünen, die sich von der pragmatischen Politik der Ära Schröder/Fischer verabschiedet haben und orientierungslos wirken. Die NRW-Grünen sagen sogar, sie stünden der Linkspartei näher als der FDP. Das ist ja fast eine Koalitionsaussage. Warum sollten wir den Grünen nachlaufen?

Weil Sie vielleicht müssen, um an der Macht zu bleiben.

Lindner Wir wollen in der christlich-liberalen Koalition weiterregieren. Das wird uns gelingen, weil wir auf Erfolge hinweisen können, vom Ende der Kohlesubvention bis zur Kinderbetreuung. Die Alternative Rot-Grün-Blutrot will niemand.

Eine Absage an Jamaika?

Lindner Ob eine Jamaika-Koalitionen, wie im Saarland, langfristig für die Liberalen eine Option wird, liegt vor allem an den Grünen. Wir brauchen die Grünen jedenfalls nicht. Nicht mal für die Umweltpolitik: Im vergangenen Jahr ist in NRW mehr für den Naturschutz ausgegeben worden als jemals zuvor.

(RP)
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