Streit um Familiennachzug Flüchtlinge fühlen sich im Stich gelassen

Düsseldorf · Rajaa Kabtoul und Ahmad Kurdi leben mit eingeschränktem Schutzstatus in Deutschland. Sie wollen ihre Familien nachholen. Das sollte ab März eigentlich wieder funktionieren. Doch nun greift eine neue Regelung.

 Rajaa Kabtoul und Ahmad Kurdi wollen ihre Familien nach Deutschland holen. Da sie aber einen eingeschränkten Schutzstatus haben, ist das schwierig. Sie fühlen sich im Stich gelassen.

Rajaa Kabtoul und Ahmad Kurdi wollen ihre Familien nach Deutschland holen. Da sie aber einen eingeschränkten Schutzstatus haben, ist das schwierig. Sie fühlen sich im Stich gelassen.

Foto: Andreas Bretz

Rajaa Kabtoul weint. Seit mehr als zwei Jahren hat sie ihre beiden Kinder nicht mehr gesehen. Ihr größter Wunsch ist es, sie nach Deutschland zu sich zu holen, sie in Sicherheit zu wissen. Den gleichen Wunsch hat auch Ahmad Kurdi. Seine Frau und seine beiden Söhne harren in der Türkei aus, ohne Geld, Pässe, Schutz. Kabtoul und Kurdi sind geflohen, aus Syrien, einem Land, in dem Bürgerkrieg herrscht. Ihre Heimatorte, so sagen sie, wurden bombardiert, das Haus von Kurdi zerstört. Jetzt haben Kurdi und Kabtoul nach einer langen gefährlichen Flucht lediglich subsidiären Schutz erhalten. Ihre Asylanträge wurde abgelehnt.

Härtefallantrag bereits gestellt

Beide Flüchtlinge haben somit laut Regelung kein Recht auf Familiennachzug. Kabtoul stellte vor einem halben Jahr einen Härtefallantrag. Eine Antwort hat sie noch nicht. Erfolg könnte dieser aber durchaus haben. Momentan leben ihre neunjährige Tochter und ihr zehnjähriger Sohn bei Verwandten in einem Vorort von Damaskus, erzählt sie. "Immer mal wieder gibt es dort Bombenanschläge. Die Lage ist total unsicher", sagt die 32-jährige Kabtoul, die in Syrien als Buchhalterin gearbeitet hat. "Es gibt keine Elektrizität und nur einmal in der Woche Wasser."

 Die Söhne von Ahmad Kurdi, Mohammed Zein (7, l.) und Hussni (6), leben momentan mit ihrer Mutter ohne offiziellen Aufenthaltsstatus in der Türkei.

Die Söhne von Ahmad Kurdi, Mohammed Zein (7, l.) und Hussni (6), leben momentan mit ihrer Mutter ohne offiziellen Aufenthaltsstatus in der Türkei.

Foto: Familie

Ende Dezember 2015 machte sich Kabtoul auf den Weg nach Deutschland. Ihr Mann blieb mit den Kindern zurück. "Ich konnte diesen Weg nicht mit meinen Kindern gehen. Ich wusste, dass ihr Leben in Gefahr gewesen wäre", sagt Kabtoul. "Wir hatten auch nur die finanziellen Mittel für die Flucht einer Person." Ihr Mann konnte nicht fliehen, weil er vom Regime verfolgt wird. Wäre er aufgegriffen worden, hätte das das Ende der Flucht bedeutet. Schon im Januar 2016 kam Kabtoul in Deutschland an und beantragte sofort Asyl. Im August 2016 wurde ihr Antrag abgelehnt mit der Begründung, dass sie persönlich in Syrien nicht verfolgt worden ist. Kabtoul klagte gegen den Bescheid. Doch sie scheiterte.

Er fühlt sich im Stich gelassen

Der 41-jährige Kurdi erzählt eine ähnliche Geschichte. Auch sein Asylantrag wurde abgelehnt, aus dem gleichen Grund. Als das Haus in Aleppo, in dem seine Familie wohnte, bei einem Bombenangriff zerstört wurde, flüchteten seine Frau und seine beiden sechs und sieben Jahre alten Söhne in die Türkei. Dort leben sie nun seit vier Monaten ohne offiziellen Aufenthaltstatus bei Kurdis Bruder. "Ich habe das Gefühl, dass man mich und meine Familie im Stich lässt", sagt der gelernte Sattler.

Mit dem Asylpaket II änderte sich im März 2016 die Regelung für den Familiennachzug von subsidiär Geschützten. Nur noch im Härtefall sollten die Familien nach Deutschland kommen dürfen. "Ich hatte die Hoffnung, meine Kinder sicher nachholen zu können, als ich mich auf den Weg nach Deutschland gemacht habe", sagt Kabtoul.

 Rajaa Kabtouls Kinder Eman (9, l.) und Momen (10) sind noch in Syrien. Sie wohnen bei Verwandten. Seit Kurzem können sie wieder die Schule besuchen.

Rajaa Kabtouls Kinder Eman (9, l.) und Momen (10) sind noch in Syrien. Sie wohnen bei Verwandten. Seit Kurzem können sie wieder die Schule besuchen.

Foto: Familie

"Ich bin ratlos"

Im Oktober 2016 traf die Familie ein weiterer Schicksalsschlag: Kabtouls Mann starb bei einem Granatenangriff. Ihre Tochter wurde am rechten Bein verletzt. Noch heute leidet sie an den Folgen der Brandverletzungen. "Ich vermisse meine Kinder. Ich will sie umarmen, sie riechen", sagt Kabtoul. "Die ganze Zeit muss ich an sie denken. Wegen des psychischen Drucks war ich auch schon im Krankenhaus. Ich bin ratlos."

Am 17. März 2018 sollte die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte eigentlich wieder aufgehoben werden. Am Donnerstag beschloss der Bundestag eine Verlängerung bis Ende Juli. Kabtoul und Kurdi können ihre Familien für weitere viereinhalb Monate nicht zu sich holen. Wie es danach aussieht, ist fraglich. Denn dann sollen Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus nur in begrenztem Ausmaß Angehörige nachholen können: Maximal 1000 Betroffene pro Monat.

"Wie wird denn entschieden, wer zuerst kommen darf?", fragt Nicole Tauscher von der Düsseldorfer Flüchtlingsinitiative Stay, die Kabtoul und Kurdi unterstützt. "Geht das dann nach alphabetischer Reihenfolge?" Auch Sozialarbeiter Haitam Khalil kritisiert die Entscheidung scharf. Bis zu 1000 Personen heiße nicht, dass es eine Verpflichtung gebe, tatsächlich zu erlauben, dass so viele Angehörige nach Deutschland kommen. "Subsidiär Geschützte sollen wieder in ihr Heimatland zurückkehren, wenn dort Frieden ist. Deshalb soll auch es keinen Familiennachzug geben. Es ist aber nicht absehbar, wann der Krieg in Syrien beendet wird. Er herrscht schon seit 2011", sagt Khalil.

Das Auswärtige Amt, das für den Familiennachzug zuständig ist, konnte am Donnerstag zu den beiden konkreten Fällen, insbesondere zu dem Härtefallantrag Kabtouls, auf Nachfrage unserer Redaktion keine Angaben machen.

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