Familienministerin Paus „Es kommt ganz besonders auf den Kanzler an“

Interview | Berlin · Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) zeigt sich im Poker mit dem FDP-Finanzminister über ihr wichtigstes Projekt, die ab 2025 geplante soziale Kindergrundsicherung, gesprächsbereit. Kürzungen in ihrem Etat will sie aber nicht hinnehmen – und im Heizungsstreit der Ampel-Koalition wünscht sie sich mehr Führung des Kanzlers.

 Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) ist alleinerziehende Mutter eines Sohnes.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) ist alleinerziehende Mutter eines Sohnes.

Foto: dpa/Hendrik Schmidt

Frau Ministerin, Sie haben jüngst gesagt, sie lieben als frühere Finanzpolitikerin die Zahlen. Wie sehr lieben Sie die Zahl zwölf Milliarden, die Sie für die Kindergrundsicherung fordern?

Paus Mein zentrales Thema als Familienministerin ist der Kampf gegen Kinderarmut. Ich kann es nicht ertragen, dass in Deutschland jedes fünfte Kind in Armut aufwächst oder von Armut bedroht ist. Die Kindergrundsicherung hat daher für mich allerhöchste Priorität. Die neue Leistung muss so ausgestaltet sein, dass sie die Lage dieser Kinder tatsächlich finanziell verbessert. Wir sind dazu in guten Gesprächen innerhalb der Ampel.

Wie kommen Sie auf die Summe von zwölf Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr für die Kindergrundsicherung?

Paus Ich habe diese Zahl persönlich nicht kommuniziert, aber ich habe sie auch nicht dementiert. Im Rahmen der ersten Anmeldungen für die Finanzplanung habe ich als ordentliche Haushälterin diese Zahl zu Jahresbeginn gegenüber dem Finanzministerium genannt. Wir sind jetzt dabei, uns die Zahlen genauer anzuschauen. Ich habe immer gesagt, ich bin gesprächsbereit. Entscheidend ist, dass am Ende das Konzept stimmt und eine belastbare Zahl steht.

Wie viel wird es allein kosten, wenn alle bedürftigen Familien den Kinderzuschlag und das Teilhabepaket in Anspruch nehmen?

 Ministerin Lisa Paus (Grüne, links) braucht die Unterstützung von SPD-Chefin Saskia Esken im Koalitionspoker um die Kindergrundsicherung.

Ministerin Lisa Paus (Grüne, links) braucht die Unterstützung von SPD-Chefin Saskia Esken im Koalitionspoker um die Kindergrundsicherung.

Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Paus Wir gehen davon aus, dass es allein fünf Milliarden Euro kosten wird, wenn Familien alle Leistungen, die ihnen zustehen, auch tatsächlich erhalten. Bislang nehmen zum Beispiel nur rund 35 Prozent der Berechtigten den Kinderzuschlag in Anspruch. Es gibt auch Studien, die schätzen, dass nur 15 Prozent der Kinder, die Anspruch auf Leistungen aus dem Teilhabepaket haben, diese auch bekommen. Wir wollen erreichen, dass die Kindergrundsicherung eine Bringschuld des Staates wird, sodass möglichst alle armutsgefährdeten Familien sie erhalten.

Sie wollen im Zuge der Reform auch das Existenzminimum für Kinder neu definieren. Was genau soll sich ändern?

Paus Das Existenzminimum für Kinder ist seit über 15 Jahren nicht neu justiert worden. Wir haben aber seit einiger Zeit eine ungewöhnlich hohe Inflation, die die Ärmsten zwei- bis dreifach stärker trifft als Durchschnittsverdiener. Es wäre wünschenswert, dass sich das kindliche Existenzminimum stärker an der Mitte der Gesellschaft orientiert. Wenn eine Familie kein Geld für Schreibtisch, Stuhl, Regal und Kinderbücher hat, dann wird es auch in der Schule schwierig. Für Kinder im Schulalter stehen für Möbel und andere Einrichtungsgegenstände etwa 3,80 Euro pro Monat zur Verfügung. Da muss man lange sparen für einen Schreibtisch mit einem ordentlichen Stuhl. So begrenzen wir die Chancen unserer Kinder. Ich möchte erreichen, dass alle Kinder gute Chancen haben.

Wie laufen die aktuellen Haushalts-Verhandlungen mit Finanzminister Christian Lindner?

 Familienministerin Lisa Paus (Grüne) muss mit Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner über die Finanzierung der ab 2025 geplanten Kindergrundsicherung einig werden.

Familienministerin Lisa Paus (Grüne) muss mit Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner über die Finanzierung der ab 2025 geplanten Kindergrundsicherung einig werden.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Paus Die Verhandlungen haben noch nicht begonnen. Ich hatte noch kein Gespräch mit Herrn Lindner zur Haushaltsaufstellung für das kommende Jahr.

Lindner will 2024 rund 20 Milliarden Euro einsparen. Wo könnte bei Ihnen gekürzt werden?

Paus Mein jährlicher Etat beläuft sich auf rund 13,5 Milliarden Euro. Davon sind fast 90 Prozent gesetzliche Leistungen wie beispielsweise das Elterngeld, also fest gebunden. Die restlichen gut zehn Prozent sind Programme wie die Jugendfreiwilligendienste, der Kinder- und Jugend-Plan oder das Förderprogramm „Demokratie leben!“. Würde hier gekürzt, schlägt das sofort durch bis zu den vielen Vereinen, Projekten und Initiativen, die sich mit großem Engagement für eine aktive Demokratie, für ein lebendiges Miteinander und für den Zusammenhalt der Gesellschaft einsetzen. Das kann niemand wollen.

Die Regierung könnte auch Leistungsgesetze ändern, zum Beispiel wie 2010 den Empfängerkreis für das Elterngeld reduzieren.

Paus Man kann auch Gesetze ändern, um Steuermehreinnahmen zu generieren beispielsweise durch die Bekämpfung von Steuerbetrug oder durch den Abbau umweltschädlicher Subventionen.

Geplant war bisher, die Steuerklassen drei und fünf für Ehe- und Lebenspartner ab 1. Juli abzuschaffen. Klappt das noch?

Paus Der Finanzminister arbeitet intensiv an einem Gesetzentwurf mit einer gleichstellungspolitischen Stoßrichtung. Die Abschaffung der Steuerklassen drei und fünf zugunsten eines gerechteren Verfahrens ist wichtig und überfällig. Denn 90 Prozent der Steuerpflichtigen mit der ungünstigen Steuerklasse fünf, die eine hohe Lohnsteuerbelastung mit sich bringt, sind Frauen. Wenn wir die Steuerlast zwischen Ehe- und Lebenspartner*innen, die bislang die Steuerklassen drei und fünf hatten, fairer verteilen, erhalten Millionen Frauen künftig jeden Monat mehr Netto vom Brutto. Dass ich auch eine Gegnerin des Ehegattensplittings bin, ist ja hinlänglich bekannt. Das Thema hat es aber leider nicht in den Koalitionsvertrag geschafft.

Ihr Plan, auch Vätern nach der Geburt eines Kindes zwei freie bezahlte Wochen zu ermöglichen, ist bei den Arbeitgebern nicht gut angekommen. Halten Sie an der Familienstartzeit fest?

 Auch Väter sollen nach der Geburt eines Kindes eine zweiwöchige bezahlte Auszeit nehmen können.

Auch Väter sollen nach der Geburt eines Kindes eine zweiwöchige bezahlte Auszeit nehmen können.

Foto: dpa/Jens Büttner

Paus Natürlich! Die Arbeitgeber sind nicht begeistert, weil sie in Zeiten des Fachkräftemangels einen noch stärkeren Mangel befürchten. Aber gerade die Familienstartzeit hilft dabei, dass wir am Ende mehr Fachkräfte als weniger zur Verfügung haben werden. Mit der Familienstartzeit setzen wir darauf, dass Frauen früher in den Beruf zurückkehren. Und dass sie ihre Stundenzahl erhöhen, weil Väter durch die Familienstartzeit insgesamt mehr Betreuungsarbeit übernehmen werden. Es gibt Studien, die genau das belegen. Gerade in der Zeit nach der Geburt entscheidet sich, wie Paare die weitere Kinderbetreuung unter sich aufteilen. Die Zusatzkosten für die Arbeitgeber sind überschaubar: Nach Berechnungen des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik kommen für Unternehmen mit zehn Mitarbeitenden Mehrausgaben in Höhe von zehn bis 21 Euro und für Unternehmen mit 100 Mitarbeitenden Mehrausgaben in Höhe von 104 bis 208 Euro pro Monat hinzu. Für den ganzen Betrieb, wohlgemerkt.

Die FDP hat Bedenken gegen Teile des neuen Staatsbürgerschaftsrechts. Warum dürfen keine Abstriche gemacht werden?

Paus Über einzelne Punkte werden wir uns noch verständigen müssen. Aber das politische Signal ist doch das Entscheidende. Mit dieser Reform erkennen wir die bundesdeutsche Realität als Einwanderungsgesellschaft endlich auch rechtlich an. Das ist ein wichtiger gemeinsamer Erfolg der Ampel. Es geht um demokratische Rechte und wer dazu gehört. Menschen, die schon längst Teil unserer Gesellschaft sind, müssen künftig ihren bisherigen Pass nicht mehr abgeben. Das war für viele ein echtes Einbürgerungshemmnis. Im europäischen Vergleich landen wir bei den Einbürgerungen bis dato regelmäßig auf den hinteren Rängen. Künftig kann man sich schon nach fünf Jahren einbürgern lassen. Jetzt nähern wir uns internationalen Standards an.

Der Ton in der Ampel ist erkennbar rauer geworden, wenn es etwa um das Heizungsgesetz geht. Ist diese Koalition schon am Ende?

Paus Nein. Wir wissen alle, dass Vieles in den letzten Wochen nicht gut gelaufen ist. Die Situation ist sicher kritisch. Wichtig ist, dass die Koalition schnell wieder Handlungsfähigkeit zeigt. Gesetze weiter zu verschieben oder sich des Gesprächs zu verweigern, wie es in dieser Woche Teile der FDP-Fraktion beim Heizungsgesetz getan haben, ist keine Art, Handlungsfähigkeit zu zeigen.

Robert Habeck hat der FDP Wortbruch vorgeworfen. Tragen solche Vorwürfe zur Stimmungsverbesserung bei?

Paus Es ist erkennbar Sand im Getriebe der Koalition. Wir sind aber alle vernunftbegabte Menschen. Wir sind gut beraten, wenn wir das, was wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen haben, auch umsetzen und als gemeinsame Erfolge betrachten. Die Ampel hat im letzten Krisenjahr gemeinsam Großes geleistet und die Bevölkerung sicher durch eine schwierige Zeit geführt. Daran müssen wir wieder anknüpfen.

Braucht es beim Heizungsgesetz ein Machtwort des Kanzlers wie beim Atomstreit?

Paus Die Koalition hat sich bei einigen Themen ordentlich verhakt. Selbstverständlich kommt es bei Konflikten ganz besonders auf den Kanzler an, um Lösungen zu finden.

Die Grünen haben in Umfragen und bei der Bremen-Wahl deutlich an Rückhalt verloren. Riskieren Sie in der Klimapolitik zu viel, weil es nicht gelingt, die Bürger mitzunehmen?

Paus Wir Grüne standen zwar schon besser da. Aber zu dieser Momentaufnahme gehört auch, dass wir als einzige Regierungspartei in den Umfragen nicht unter unserem Ergebnis der Bundestagswahl liegen. Und in Schleswig-Holstein haben wir bei den Kommunalwahlen zeitgleich mit der Bremen-Wahl auch gut zugelegt. In einer Übergangszeit gibt es immer Verunsicherung bei den Menschen. Das gilt auch beim Klimaschutz, wenn es konkret wird. Beispielsweise gab es in der Vergangenheit viel Skepsis bei Solaranlagen. Heute freuen sich viele, dass der Sonnenschein sich auch positiv auf ihr Konto auswirkt. Wenn sich die aktuellen Debatten wieder versachlichen, wird sich das auch bei den Grünen bemerkbar machen. Ich bin zuversichtlich, dass wir schon im Herbst bei den Landtagswahlen in Hessen und Bayern grüne Erfolge sehen werden.

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