Fall Walter Lübcke Bundesanwalt geht von rechtsextremistischen Hintergrund für Tat aus

Kassel · Wurde der Kasseler Regierungspräsident von einem Rechtsextremisten erschossen? Berichten zufolge hatte der Verdächtige Kontakt zu militanten Neonazis – und soll einen Anschlag auf ein Flüchtlingsheim begangen haben.

 Ermittler am 3. Juni 2019 am Tatort.

Ermittler am 3. Juni 2019 am Tatort.

Foto: dpa/Swen Pförtner

Nach Hinweisen auf einen rechtsextremen Hintergrund übernimmt der Generalbundesanwalt die Ermittlungen im Fall des erschossenen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Die Bundesanwaltschaft geht von einem Täter aus dem rechtsextremistischen Milieu aus. Grund für die Übernahme der Ermittlungen nach nunmehr zwei Wochen seien Hinweise, dass es sich mutmaßlich um einen rechtsextremistisch motivierten Mord handele. Die Bundesanwaltschaft gehe deshalb von der besonderen Bedeutung des Falles aus, sagte der Sprecher.

Der Wortlaut der Erklärung: „Der Beschuldigte ist dringend verdächtig, Dr. Walter Lübcke heimtückisch durch einen Kopfschuss getötet zu haben. Die Bundesanwaltschaft hat die Ermittlungen wegen der besonderen Bedeutung des Falls übernommen.

Wir gehen aufgrund des aktuellen Ermittlungsstands davon aus, dass es sich um einen rechtsextremistischen Hintergrund der Tat handelt. Hierfür sprechen insbesondere das Vorleben des Beschuldigten und seine öffentlich wiedergegebenen Meinungen und Ansichten. Inwieweit sich diese Annahme weiter erhärten lässt, müssen die weiteren Ermittlungen zeigen.

Wir gehen natürlich auch der Frage nach, ob und inwieweit bislang unbekannte Hintermänner oder Tatbeteiligte in die Tat eingebunden waren. Jedenfalls können wir jetzt sagen, dass keine Anhaltspunkte bislang vorliegen, dass der Beschuldigte in eine rechtsterroristische Vereinigung eingebunden gewesen sein könnte."

Lübcke war in der Nacht zum 2. Juni auf der Terrasse seines Hauses in Wolfhagen-Istha erschossen worden. Dringend tatverdächtig sei ein einschlägig vorbestrafter 45 Jahre alter Mann namens Stephan E., sagte der Sprecher. Die DNA des Verdächtigen sei am Tatort sichergestellt worden. Hinweise auf Komplizen oder eine rechtsterroristische Organisation gibt es nach Angaben des Sprechers bisher nicht. Es werde aber weiter ermittelt. Der 45-Jährige war am frühen Samstagmorgen von Spezialkräften festgenommen worden. Seit Sonntag sitzt er unter dringendem Mordverdacht in Untersuchungshaft. Das Motiv für die Tat ist aber weiterhin unklar.

Medienberichten zufolge war der Verdächtige an Angriffen von Rechtsradikalen auf eine Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes am 1. Mai 2009 in Dortmund beteiligt. Er sei damals wegen Landfriedensbruchs zu sieben Monaten Haft verurteilt worden, die zur Bewährung ausgesetzt worden seien. Nach einem Bericht von „Siegel Online“ soll der Verdächtige in der Vergangenheit Kontakt zur militanten Gruppierung „Combat 18 unterhalten haben. Die Gruppe stand vor Jahren in Verbindung mit "Blood & Honour" – jenem Netzwerk, das auch dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) half. „Zeit Online“ berichtet zudem, der Mann habe im Jahr 1993 ein Asylbewerberheim in Hessen mit einer Rohrbombe attackiert. Die Bombe sei in einem Auto deponiert gewesen. Das Auto sei dann in Brand gesetzt worden, konnte von den Bewohnern des Heims aber gelöscht werden, bevor die Bombe detonierte, berichtet „Zeit Online“ weiter. Bereits zwei Jahre zuvor sei gegen den Mann in einem anderen Fall wegen versuchten Totschlags ermittelt worden.

Der 65-jährige Lübcke war in der Nacht zum 2. Juni gegen 0.30 Uhr auf der Terrasse seines Wohnhauses in Wolfhagen-Istha entdeckt worden. Er hatte eine Schussverletzung am Kopf und starb wenig später im Krankenhaus. Seither ermittelt eine mittlerweile 50-köpfige Sonderkommission. Nach dem Ergebnis der rechtsmedizinischen Untersuchung starb Lübcke an einem Schuss aus kurzer Distanz.

Der Regierungspräsident war in der Vergangenheit wegen seiner Haltung zu Flüchtlingen bedroht worden. Er hatte sich 2015 auf einer Informationsveranstaltung gegen Schmährufe gewehrt und gesagt, wer gewisse Werte des Zusammenlebens nicht teile, könne das Land verlassen.

Nach dem Tod Lübckes hatten hasserfüllte und hämische Reaktionen aus der rechten Szene im Internet für Empörung gesorgt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte, wie sich manche in sozialen Netzwerken geradezu hermachten über dessen Tod, sei „zynisch, geschmacklos, abscheulich, in jeder Hinsicht widerwärtig“.

Lübcke, der als Regierungspräsident eine Art Mittelbehörde zwischen dem Land und den Kommunen leitete, hinterlässt eine Frau und zwei erwachsene Kinder. Am Samstag - dem Tag der Festnahme des Tatverdächtigen - war der 65-Jährige in seinem Heimatort in Nordhessen beigesetzt worden.

(csi/dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort