Fall Maaßen Wie Nahles ihren Kopf wieder aus der Schlinge zog

Berlin · SPD-Chefin Nahles zieht nach massiver Kritik an der Einigung im Fall Maaßen die Notbremse. Ihre Partei drohte sonst, gegen sie aufzubegehren, gerade in NRW. Aber bisher hat Nahles nur etwas Zeit gewonnen, um mit Merkel und Seehofer noch einmal zu verhandeln.

 SPD-Chefin Nahles kündigt neue Verhandlungen mit Kanzlerin Merkel und Innenminister Seehofer an.

SPD-Chefin Nahles kündigt neue Verhandlungen mit Kanzlerin Merkel und Innenminister Seehofer an.

Foto: dpa/Daniel Karmann

Es wird ein langer Abend im Willy-Brandt-Haus. Wieder mal. Und es geht erneut ums Ganze. Um den Parteivorsitz, um die Koalition, um Anstand und Würde. Die Genossen suchen einen Ausweg aus diesem Irrweg, den die Vorsitzende Andrea Nahles ihnen eingebrockt hat. Die engste Parteiführung sitzt jetzt zusammen. Nahles, ihre Stellvertreter, Generalsekretär Lars Klingbeil, Schatzmeister Dietmar Nietan und der Parlamentarische Geschäftsführer Carsten Schneider.

Die zwei Tage zuvor von der SPD-Chefin, dem CSU-Chef Horst Seehofer und der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel ausgekungelte Verabredung, Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen zum Innenstaatssekretär zu befördern, ist nicht länger haltbar. Spitzengenossen drängen, man brauche jetzt einen neuen Deal. Aus der Bayern-SPD, die um letzte Pluspunkte vor der Bayernwahl bangt, und vor allem aus der kritischen NRW-SPD wird Nahles zur Umkehr gedrängt. Es fallen schon wieder böse Worte des Koalitionsbruchs und von Neuwahlen im Bund. Alle erinnern sich noch an eine ähnliche Situation im Februar, als Nahles an einem Mittwoch verkündete, Martin Schulz werde Außenminister, und nach heftigem Protest aus NRW Schulz am Freitag seinen Rückzug erklärte. Auch jetzt wird eine Wende eingeleitet. Nahles verlangt eine neuen Kompromiss. Sie schreibt einen Brief an Merkel und Seehofer, der am Freitag bekannt wird. Und die Kanzlerin und der Innenminister stimmen ein. Bombe geplatzt.

Nahles hatte vorher zum Telefon gegriffen und beide angerufen. Ihre Botschaft lautete: Wir haben uns vergaloppiert, wir müssen uns noch einmal zusammensetzen, ansonsten fliegt mir der eigene Laden um die Ohren. Zeitgleich geht es auch in der CDU drunter und drüber. Auch hier genau dasselbe Signal: Das fliegt uns um die Ohren.

Mehrere SPD-Landesverbände hatten sich positioniert, forderten, dass die SPD-Bundesminister das sonst übliche Abnicken von Staatssekretärsposten im Kabinett im Fall Maaßen unterlassen sollten. Sie dürften dem nicht zustimmen, hatte die bayerische Spitzenkandidatin Natascha Kohnen bereits früh verlangt. Besonders Parteilinke solidarisierten sich mit diesem Vorstoß, Juso-Chef Kevin Kühnert stellte zudem die Sinnfrage einer großen Koalition. Das unglückliche Agieren der drei Parteivorsitzenden war spätestens da auch zu einer Entscheidung über Wohl und Wehe des Regierungsbündnisses geworden.

Zahllose Briefe und E-Mails erreichten Nahles, voller Kritik und Unverständnis für das, was sie abgesegnet hatte. Da half es ihr nicht, auf Seehofers Verantwortung für diese Entscheidung hinzuweisen und dessen eigenständige Personalkompetenz zu betonen. Doch die von Kohnen verlangte Blockade im Kabinett wäre nicht zielführend, da sie nicht eintreten würde. Schließlich sind die Unionsminister in der Überzahl. Im Falle einer Abstimmung, und allein das wäre ein Novum, würde die SPD ihre Position nicht durchsetzen können, dass Maaßen nicht auch noch befördert werden dürfe - und schon gar nicht auf Kosten von Seehofers Baustaatssekretär Gunther Adler, der ausgerechnet ein SPD-Parteibuch besitzt. Andersherum hätte jedwedes Verhindern dieser Beförderung bedeutet, dass Maaßen einfach solange im Amt des Verfassungsschutzpräsidenten bliebe, bis eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger oder eben eine andere Lösung gefunden wurde. Die SPD hätte also so oder so verloren, Nahles befand sich in einer klassischen Zwickmühle. Zu dem Preis, dass gleichzeitig die seit der Regierungsbildung schwelende Debatte in der SPD um die große Koalition lauter und lauter wurde.

Den Siedepunkt erreichte die Debatte, als am Freitag klar wurde, dass der mächtige NRW-Landesverband an diesem Samstag einen Beschluss fassen würde,  dass Nahles nachverhandeln müsse. Nahles musste befürchten, bei den für Montag geplanten Gremiensitzungen und einer Sondersitzung der Bundestagsfraktion den Rückhalt vollständig zu verlieren. Aus der Causa Maaßen war eine Causa Nahles geworden. Zwar äußerten sich mehrere SPD-Minister in der „Bild“ noch mit Rückendeckung für Nahles. Arbeitsminister Hubertus Heil betonte etwa: „Jede Ministerin, jeder Minister hat das Recht, sein engstes Arbeitsumfeld eigenständig zu organisieren.“ Doch die Rechtfertigungen kamen gegen den öffentlichen und innerparteilichen Druck nicht mehr an. Nahles musste einen Weg finden, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen und entschloss sich mit der Parteiführung, die Zwickmühle dadurch aufzulösen, das Spielbrett umzuschmeißen.

In der SPD stieß das offiziell auf Wohlgefallen und Erleichterung. Natascha Kohnen sagte: „Ich bin froh, dass wir als SPD nun gemeinsam zu dem Entschluss gelangt sind, dies zu tun.“ Mehrere Unionspolitiker äußerten hingegen Unverständnis. Der Vorsitzende der Jungen Union, Paul Ziemiak, forderte eine schnelle Rückkehr zur Sachpolitik. „Die Bürger haben genug von immer wieder aufziehenden Koalitionsstreitigkeiten.“ Das Land stehe vor größeren Herausforderungen als innerparteilichem Streit. „Deshalb sage ich klipp und klar: Wenn wir nicht sofort anfangen uns auf konkrete politische Projekte zu konzentrieren, sondern nur permanent mit uns selbst beschäftigen, brauchen wir uns über die nächsten Umfragen nicht zu wundern“, sagte Ziemiak. Doch auch wenn Nahles nun etwas Zeit gewinnt: Ausgestanden ist die Krise auch für sie noch nicht. Schließlich braucht sie einen neuen Deal mit Merkel und Seehofer und eine Beruhigung für die aufgebrachten Koalitionsgegner in der SPD.

(jd/kd)
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