Erleichterungen für Menschen aus Nicht-EU-Ländern Ausländische Fachkräfte sollen leichter nach Deutschland einwandern können
Berlin · In Deutschland fehlen hunderttausende Fachkräfte. Die Bundesregierung setzt deshalb auf qualifizierte Zuwanderung aus dem Ausland. Mit einem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz will sie die Weichen hierfür stellen. Dazu die wichtigsten Fragen und Antworten.

ARCHIV - 06.07.2022, Bayern, München: Ein Mann arbeitet bei einem Rundgang über die Internationale Handwerksmesse (IHM) an einem Messestand an einem Stromkasten. (zu dpa: "Keine Trendwende: Handwerk rechnet mit anhaltendem Fachkräftemangel") Foto: Sven Hoppe/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Foto: dpa/Sven HoppeRund zwei Millionen Stellen blieben in Deutschland im vergangenen Jahr unbesetzt – der höchste je gemessene Wert. „Das zeigt, wie groß der Handlungsbedarf ist“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Der Plan: Deutschland soll attraktiver für qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland werden. Dafür stellte sie gemeinsam mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am Mittwoch in Berlin einen Gesetzentwurf zur Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes vor, welcher zuvor vom Bundeskabinett beschlossen wurde. Was sich ändern soll und wie Experten auf die Pläne reagieren.
Welches Ziel verfolgt die Regierung mit dem Gesetz?
Der bereits in fast allen Branchen spürbare Fachkräftemangel wird in den kommenden Jahren noch zunehmen, weil dann die starken Babyboomer-Jahrgänge in Rente gehen. Die Regierung will daher ab 2024 die Zuwanderung von Fachkräften aus Nicht-EU-Ländern erleichtern und erhofft sich davon jährlich etwa 75.000 zusätzliche Arbeitskräfte. Insgesamt sind jedes Jahr etwa 400.000 Kräfte zusätzlich nötig, um die Fachkräftelücke zu schließen. Im vergangenen Jahr konnte die Lücke vor allem mit Zuwanderern aus anderen EU-Ländern geschlossen werden.
Was soll die neue Chancenkarte für Fachkräfte aus Drittstaaten bringen?
Die Chancenkarte gibt qualifizierten Ausländern künftig ein Jahr Zeit, um in Deutschland einen Arbeitsplatz zu finden. Wer die Karte erhält, entscheidet ein neues Punktesystem nach kanadischem Vorbild. Zu den Kriterien, die bei der Errechnung der Punktzahl berücksichtigt werden, zählen Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Alter und Deutschlandbezug. Einwanderer müssen mindestens sechs Punkte erreicht haben. Damit sich die Jobsuchenden in dieser Zeit finanziell über Wasser halten können, bietet sie in dieser Zeit zudem Möglichkeiten für Probearbeit oder Nebenbeschäftigung. Im Unterschied zu Kanada soll nur ein Teil der Zuwanderer über das Punktesystem kommen, daneben gibt es weitere Wege.
Was ist beim Staatsbürgerschaftsrecht geplant?
Bei der geplanten Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) gerne zusammen mit dem Gesetzentwurf zur Fachkräfte-Einwanderung ins Kabinett gebracht hätte, gibt es noch Abstimmungsbedarf mit der FDP. Die Liberalen sind zwar nicht dagegen, die doppelte Staatsbürgerschaft auch für Nicht-EU-Bürger grundsätzlich zu ermöglichen. Auch die Verkürzung der Mindestaufenthaltszeit im Regelfall von acht Jahren auf fünf Jahre findet ihre Zustimmung. Bei anderen Voraussetzungen für die Einbürgerung - Sprache und Sicherung des eigenen Lebensunterhalts - wollen die Liberalen jedoch keine Abstriche machen und weniger Ausnahmen zulassen.
Wie passen die Pläne mit der bisherigen Blauen Karte EU für Drittstaatler zusammen?
Die Blaue Karte EU ist ein befristeter Aufenthaltstitel für ausländische Akademikerinnen und Akademiker, die in Deutschland eine qualifizierte Beschäftigung aufnehmen wollen. Dafür müssen sie über einen deutschen oder einen anerkannten ausländischen Hochschulabschluss verfügen. Mit der ihrer Qualifikation entsprechenden Arbeit musste aber bisher ein jährliches Mindestgehalt von 58.400 Euro und in Mangelberufen von 45.552 Euro nachgewiesen werden. Daran soll sich nun etwas ändern: Die Gehaltsschwellen werden gesenkt und künftig können Absolventen jede qualifizierte Beschäftigung ausüben. So können sie auch in andere Branchen wechseln. Dadurch soll die Blaue Karte EU für noch mehr Fachkräfte mit Hochschulabschluss, aber auch für IT-Kräfte mit Berufserfahrung auf akademischem Niveau möglich sein.
Wie sollen Berufsabschlüsse leichter anerkannt werden?
Eine Anerkennung des Berufsabschlusses soll künftig auch noch nach der Einreise nach Deutschland möglich sein. Dafür müssen sich Fachkräfte und Arbeitgeber zu einer Anerkennungspartnerschaft verpflichten. Das heißt: Der Arbeitgeber verpflichtet sich dazu, die Fachkraft für eine notwendige Qualifikation freizustellen. So kann die Person bereits arbeiten, während das Anerkennungsverfahren noch läuft. Eine Anerkennung des Abschlusses in Deutschland wird nach dem neuen Gesetz jedoch nicht mehr zwingend nötig sein, wenn die ausländischen Fachkräfte eine ausreichende Berufserfahrung – mindestens zwei Jahre – und einen staatlich anerkannten Berufsabschluss in ihrem Herkunftsland vorweisen können. Dazu müssen sie aber ein angemessenes Gehalt nachweisen.
Welche Erleichterungen soll es für Menschen aus anderen EU-Ländern ändern?
Ist der Bedarf in einer Branche besonders groß, will die Regierung erstmals eine kurzzeitige Beschäftigung schaffen. Die Stellen sind jedoch beschränkt. Wer über diesen Weg kommt, darf unabhängig von einer Qualifikation acht Monate in Deutschland arbeiten. Voraussetzung ist ein tarifgebundener Arbeitgeber. Darüber hinaus soll die bis Ende 2023 befristete Westbalkan-Regelung zur Anwerbung von Arbeitskräften aus sechs Westbalkan-Staaten mit einer Verordnung entfristet werden. Damit werde das jährliche Kontingent auf 50.000 Arbeitskräfte erhöht.
Wie bewertet die Wirtschaft das Gesetz?
DIHK-Präsident Peter Adrian hat den Entwurf für das Fachkräfteeinwanderungsgesetz grundsätzlich begrüßt, aber vor neuen bürokratischen Hürden für Fachkräfte aus dem Ausland gewarnt. „Die aktuellen Vorschläge zur Reform gehen in der Intention in die richtige Richtung“, sagte Adrian unserer Redaktion. „Zum Beispiel mit Erleichterungen für eine Zuwanderung ohne formal anerkannte Berufsqualifikation oder mit der Möglichkeit, ein Anerkennungsverfahren erst in Deutschland anzustoßen“, sagte er. „Die konkrete Ausgestaltung der Regelungen vergrößert allerdings leider an etlichen Stellen die ohnehin schon hohe Komplexität des Aufenthaltsrechts“, warnte der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). „Es droht zudem an manchen Stellen neue Bürokratie und bei einem Teil der Neuregelungen werden insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen benachteiligt. Wir brauchen aber für Betriebe, Fachkräfte und Verwaltung gleichermaßen einfache, verständliche und transparente Regeln“, sagte Adrian. „Fachkräfteengpässe sind für die Unternehmen seit Jahren ein Top-Geschäftsrisiko. Fast zwei Millionen Stellen können die Betriebe derzeit nicht besetzen. Fast 100 Milliarden Euro an Wertschöpfung gehen uns dadurch verloren“, sagte Adrian.