Abgeordnete sollen sich wieder besser anziehen Verlottern die modischen Sitten im Parlament?

Analyse | Berlin · Im Bundestag ist die Kleidungsfrage eigentlich keine mehr – jeder trägt, was er will. Dabei gibt es eine Vorschrift in der Hausordnung. Und auch ein Experte hofft, dass Abgeordnete wieder mehr auf ihre Garderobe achten und sich besser anziehen.

Kanzler Olaf Scholz im Schlabberpulli auf dem Weg in die USA. Auch das sorgte im vergangenen Jahr für einige modische Debatten.

Kanzler Olaf Scholz im Schlabberpulli auf dem Weg in die USA. Auch das sorgte im vergangenen Jahr für einige modische Debatten.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Schuld sollen ja die Grünen sein. Als sie vor 40 Jahren in den Bundestag einzogen, bröckelte die parlamentarische Etikette - man sah plötzlich Wollpullis, Latzhosen und Strickhemden. Heute ist modisch alles noch viel lockerer geworden. Womöglich zu locker.

Berlin, Dorotheenstraße 101. Wenn man dort das Jakob-Kaiser-Haus des Bundestages betritt, hängt an der Pforte seit einiger Zeit ein Schild: „Die Kleidung und das Verhalten müssen der Würde des Hauses entsprechen.“ Paragraf 4, Hausordnung des Bundestages. Was ist da los? Verlottern aus Sicht der Bundestagsverwaltung die modischen Sitten im Parlament?

Frankreich hat es im vergangenen Jahr vorgemacht. Zwanglose Outfits wurden aus der Nationalversammlung verbannt, die Kleidung müsse „angemessen“ und dürfe „nicht leger“ sein. Für den Deutschen Bundestag ist eine solche Verschärfung der Kleiderordnung nicht geplant, auch wenn es schon den Fall gab, dass jemand in Badehose hinein wollte, was aber strikt abgelehnt wurde. Der Hinweis an der Pforte sei zunächst ein „allgemeiner“, heißt es seitens der Verwaltung. Konkret gehe es auch „um bestimmte Kleidung, etwa einem mit Slogans bedruckten T-Shirt“. Manch einer aus dem Parlamentsbetrieb glaubt allerdings, der Hinweis hänge vor allem wegen der AfD dort, die in dem Gebäude einige Büros hat. An anderen Eingängen findet er sich nämlich nicht.

Zugang zu den Liegenschaften des Bundestages haben nicht nur die 736 Abgeordneten, sondern dort arbeiten rund 6.000 Menschen. Der Blick mittags in die Kantinen zeigt, jeder trägt, was ihm gefällt. Längst scheint das allerdings auch so im Plenum zu sein. Wenn Sitzungswoche ist, geht es bunt zu, rote oder grüne Anzüge, offener Hemdkragen, Turnschuhe, Jeans – erst recht, seit der Bundestag durch die Bundestagswahl deutlich jünger geworden ist. Selbst Dirndl, Miniröcke und Fußballtrikots wurden schon gesichtet, was manchen peinlich berührte.

Vorbei sind freilich die Kämpfe um gediegene Kleidung, die etwa noch der früherer Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) führte. Er sah die Schriftführer neben sich am liebsten mit Krawatte. Auch in der Unionsfraktion sei die Kleiderordnung deutlich lockerer geworden, sagt Parlamentsgeschäftsführer Patrick Schnieder (CDU). „Aber wie ich mich kleide, ist auch eine Frage des Respekts, den ich gegenüber den Kollegen und der Institution erweise.“ Da habe er vor allem bei Mitgliedern der Bundesregierung gelegentlich Zweifel. „Von einem Vizekanzler, der die französische Nationalversammlung besucht, hätte ich auch im Jahr 2023 erwartet, dass er eine Krawatte trägt“, so Schnieder über den Grünen Robert Habeck. „Und ich hoffe, dass uns der Anblick eines Gesundheitsministers in kurzen Hosen auch in Zukunft im Bundestag erspart bleibt.“

Aber ist tatsächlich inzwischen alles erlaubt was möglich ist? Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Knigge-Gesellschaft, Clemens Graf von Hoyos, betont, der Anspruch an die Garderobe von Abgeordneten müsse höher sein. „Parlamentarier sind Repräsentanten“, so Hoyos zu unserer Redaktion. Im Bundestag sei aber „an unterschiedlichsten Stellen das Gespür für Qualität und Wertigkeit verloren gegangen. Abgeordnete sollten wieder mehr auf ihre Kleidung achten und nicht unüberlegt in den Kleiderschrank greifen“, meint der Experte. Auch wollten die Bürger von gut angezogenen Abgeordneten repräsentiert werden. Sein Tipp: „Es muss nicht immer Anzug, Krawatte oder Kleid sein. Es gibt viele gute Kombination im Bereich Business Casual, mit denen man einen guten Eindruck hinterlässt.“

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