Im Alter von 91 Jahren Ex-Verteidigungsminister Georg Leber ist tot

Frankfurt/Main · Der ehemalige Verkehrs- und Verteidigungsminister Georg Leber (SPD) ist im Alter von 91 Jahren gestorben. Das teilte am Mittwoch in Frankfurt am Main die IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) mit, deren Vorsitzender Leber von 1957 an einige Jahre war.

 Der ehemalige Verteidigungsminister Georg Leber ist im Alter von 91 Jahren verstorben.

Der ehemalige Verteidigungsminister Georg Leber ist im Alter von 91 Jahren verstorben.

Foto: dapd, Katja Lenz

Demnach starb Leber am Dienstag nach langer Krankheit. Der Gewerkschaftsvorsitzende Klaus Wiesehügel sprach von einem "schweren Verlust". Die deutsche Arbeiterbewegung verliere mit ihm einen wegweisenden Vorkämpfer.

Leber, der eigentlich eine kaufmännische Ausbildung hatte, arbeitete nach dem Krieg als Maurer. Ab 1949 war er hauptamtlicher Gewerkschaftssekretär bei der IG Bau-Steine-Erden, wie sie damals hieß, und übernahm acht Jahre später deren Vorsitz. Ebenfalls 1957 wurde er in Frankfurt zum SPD-Bundestagsabgeordneten gewählt.

Zur Zeit der Großen Koalition wurde "Schorsch" Leber, wie er vielfach genannt wurde, 1966 zum Bundesverkehrsminister berufen. In der sozial-liberalen Koalition unter SPD-Kanzler Willy Brandt führte er zusätzlich auch das Postministerium. 1972 übernahm Leber vom späteren Kanzler Helmut Schmidt (SPD), der damals Finanzminister wurde, das Verteidigungsministerium.

Er stürzte schließlich über Affären der Bundeswehr. 1978 übernahm Leber die politische Verantwortung für den unerlaubten Einsatz von Lauschmitteln des Militärischen Abschirmdiensts (MAD) im Büro einer gegen die Bundeswehr agierenden kommunistischen Organisation und trat gegen den Rat der übrigen Kabinettsmitglieder zurück.

Politische Heimat in der SPD

Eine klare Mahnung gab der Pallottinerpater der Mutter des Limburger SPD-Ortsvorsitzenden in der Beichte mit auf den Weg: Auch wenn Kinder erwachsen seien, trügen Eltern für sie Verantwortung. Sie müsse damit rechnen, einst wegen ihres Sohnes vor dem göttlichen Richterstuhl zur Rechenschaft gezogen zu werden. Der Sohn - das ist der spätere Bundesminister Georg Leber. Und der ist tief getroffen, als seine Mutter ihm über das Gespräch berichtet.

Es ist Nachkriegszeit, Anfang der 50er Jahre. Sozialdemokratie und Katholizismus sind zwei streng abgegrenzte Welten, die Nähe der Kirche zu den C-Parteien selbstverständlich. Nur nicht für Georg Leber. Seine politische Heimat hat der Arbeitersohn in der SPD und bei der Gewerkschaft Bau-Steine-Erden gefunden. Zugleich fühlt er sich seiner Kirche eng verbunden. Aus diesem Spagat erwächst eine Lebensaufgabe für den gelernten Maurer: Brücken zu bauen und Gräben in der Gesellschaft zu überwinden. Am Dienstag ist Leber im Alter von 91 Jahren gestorben, wie die Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt am Mittwoch mitteilte.

Leber, in der Westerwaldgemeinde Obertiefenbach geboren, ist der älteste Sohn eines Maurers. An der Volksschule zeigt er so gute Leistungen, dass Lehrer und Ortspfarrer den "Schorsch" fürs Gymnasium empfehlen. Doch der Vater lehnt ab: "Wenn ich nur meinen Ältesten schicke, dann handele ich ungerecht gegenüber seinen drei Brüdern." Eine höhere Schulbildung für alle vier Geschwister kann er nicht bezahlen. Statt Gymnasium und akademischer Karriere folgen für Georg Handelsschule und kaufmännische Lehre. Nach dem Krieg wird er Maurer und schließlich Gewerkschaftssekretär in Limburg.

Über die Akademie der Arbeit lernt er den Nestor der katholischen Soziallehre, den Frankfurter Jesuiten Oswald von Nell-Breuning, kennen. Zwischen beiden entwickelt sich eine Art Vater-Sohn-Verhältnis. Dieser Einfluss trägt Leber auch Widerspruch ein. So handelt er 1964 einen Tarifvertrag aus, der erstmals die Vermögensbildung der Arbeitnehmer regelt. Kommentar einiger Gewerkschafter: Leber wolle als "Knecht des Kapitalismus" die Arbeiter zu "Kleinkapitalisten" machen.

Kurs des Ausgleichs

Doch solche Konflikte bringen den Politiker, der seit 1957 dem Bundestag angehört und der Baugewerkschaft vorsteht, nicht von seinem Kurs des Ausgleichs ab. Auf dem SPD-Parteitag 1967 in München mahnt er seine Partei, die Kirche als gesellschaftliche Kraft nicht nur zu tolerieren, sondern zu unterstützen. Und die Katholiken in der SPD ruft er dazu auf, sich in der Kirche zu engagieren und nicht nur "hinten in der Kirche am Weihwasserbecken einen Stehplatz einzunehmen". Leber selbst geht als Beispiel voran: 1968 lässt er sich als erster Sozialdemokrat in das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) berufen, damals ein CDU-dominiertes Gremium - und macht dort 26 Jahre lang mit.

In der Großen Koalition wird Leber Bundesverkehrsminister. In der sozial-liberalen Koalition unter SPD-Kanzler Willy Brandt führt er zusätzlich das Postministerium. 1972 wechselt er an die Spitze des Verteidigungsministeriums und tritt für die atomare Abschreckungsstrategie ein. Für die unerlaubte Abhöraktion des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) im Büro einer kommunistischen Organisation übernimmt er 1978 die politische Verantwortung und tritt zurück. Ein Jahr später wird er zum Vizepräsidenten des Bundestags gewählt. Nach Querelen mit seiner Partei verzichtet er im Vorfeld der Bundestagswahl 1983 auf eine neue Kandidatur. Dennoch bleibt er politisch aktiv und vermittelt immer wieder in Arbeitskämpfen.

Lebers Engagement fand auch im Vatikan Beachtung. Als ihn einmal Papst Paul VI. empfing, wurde der Politiker von seiner über 80-jährigen Mutter begleitet. Der Papst gab sich alle Mühe, die aufgeregte Frau zu beruhigen und gratulierte ihr zu ihrem Sohn. Leber beobachtete befriedigt, wie sofort alle Beklemmung von ihr abfiel: "Für sie hatte sich wohl auch die in ihrem Inneren über Jahrzehnte mitgeschleppte Mahnung eines Pallottiners in Limburg aufgelöst."

(apd/KNA)
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