Nach 26 Jahren im Gefängnis Ex-Terrorist Christian Klar droht Kulturschock

Frankfurt/Main (RPO). Christian Klar kennt ein Land mit D-Mark, Berliner Mauer und geschlossenen Grenzen. Nach seiner Freilassung am Freitagmorgen erwartet ihn nun ein radikal verändertes Leben: Mit Handys, Bahn-Automaten und Internet.

Klar: neun Morde, elf Mordversuche
8 Bilder

Klar: neun Morde, elf Mordversuche

8 Bilder
Foto: AP

"Nach 26 Jahren Haft ist der Kulturschock für ihn vorprogrammiert. Er wird das Land kaum noch wiedererkennen", sagt Lothar Strehl, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft bayerischer Bewährungshelfer. Die lange Haft, Klars Bekanntheitsgrad und die kollektive Erinnerung an seine Morde dürften eine schwere Bürde sein beim Versuch, wieder Fuß zu fassen.

"Auch der Straßenverkehr war damals viel weniger dicht. Ich hatte schon Ex-Häftlinge, mit denen ich das Überqueren einer vierspurigen Straße üben musste", berichtet Bewährungshelfer Strehl.

Nach seinen Erfahrungen sind viele Langzeit-Häftlinge zunächst nahezu alltagsuntauglich. "Schließlich ist die Haft eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung mit Vollpension. Das Essen wird gebracht und die Wäsche gewaschen - all das muss Herr Klar jetzt selbst erledigen."

Vom Weckerklingeln über den Umschluss bis zum Schlafengehen - "im Gefängnis ist alles vorstrukturiert", sagt Peter Reckling, Bundesgeschäftsführer des Fachverbands für Soziale Arbeit, Strafrecht und Kriminalpolitik und selbst 20 Jahre lang Bewährungshelfer. "Wer sein Leben draußen auf die Reihe kriegen will, muss sich zusammenreißen. Das ist die größte Schwierigkeit."

Problem Nummer zwei ist das Geld: Zwar hat Christian Klar im Gefängnis gearbeitet, wie das baden-württembergische Justizministerium mitteilte. Ein nennenswertes Startkapital dürfte er aber kaum angespart haben. "Für Gefängnis-Arbeit gibt es in der Regel 80 Cent pro Stunde", sagt Lothar Strehl. "Einen Teil darf der Häftling ausgeben, wenn einmal pro Woche der Kiosk öffnet. Der Rest wird für die Freilassung angespart." Maximal einige hundert bis tausend Euro kämen so zusammen, sagt Reckling.

Wie ein Kind müsse ein Haftentlassener lernen, mit ganz wenig Geld auszukommen, zumal er die heutigen Preise nicht kenne. "Anfangs hat er kein Bankkonto und keinen Dispo. Teilt er sich sein Geld schlecht ein, steht er mittellos da." Jemand wie Klar werde aber kaum ins Bodenlose fallen: "Man kann sicher davon ausgehen, dass er seine Unterstützer hat."

Keine neue Identität

Ein weiteres Problem für Langzeit-Inhaftierte: "Die Familienbindungen sind kaputt, alle Beziehungen gekappt", beschreibt Reckling. Jemand wie Klar habe in seinem Leben nichts als Scherben hinterlassen - "da gibt es einfach kein Zurück". Zudem müsse Klar herausfinden, wer ihm nutze und wer ihn nur benutzen wolle, ergänzt Strehl. Als eine der prominentesten Figuren des RAF-Terrors sei er eben eine Figur mit großem Nachrichtenwert.

Auch wenn Klar keine Bücher schreiben und nicht in Talkshows auftreten will: "Er wird sich nicht völlig verstecken können", sagt Fachmann Strehl. Jedenfalls habe er keinen Anspruch auf eine neue Identität. In 28 Jahren im Beruf habe er nur einmal eine behördlich verordnete Namensänderung erlebt. "Und dabei handelte es sich um einen Kronzeugen in einem großen Rauschgiftprozess, der hochgradig gefährdet war."

Neue Identitäten seien nur bei Ex-Häftlingen üblich, die unter besonderem Schutz stünden, ergänzt Reckling. Bei Klar müsse man dagegen sagen: "Bei der Aufklärung seiner Taten hat er gemauert bis zum Schluss. Jetzt soll er sehen, wie er mit seinen Mitmenschen klar kommt."

Volle fünf Jahre unter Führungsaufsicht

Und noch in anderer Hinsicht muss sich ein "Lebenslänglicher" wie Christian Klar bewähren: Fünf Jahre lang kann jede Straftat dazu führen, dass er wieder in Haft genommen wird. In der Praxis würde aber wohl nur eine schwere Straftat dazu führen, dass die Bundesanwaltschaft eine erneute Inhaftierung beantragen würde.

Dennoch wird die Justiz ein Auge auf ihn haben: "Herr Klar ist verpflichtet, Wohnsitz und Arbeitsstelle zu melden", sagt Josefine Köblitz, Pressesprecherin des Oberlandesgerichts Stuttgart. Zudem werde er über die volle Bewährungszeit von fünf Jahren unter Führungsaufsicht gestellt.

Seine Praktikumsstelle am Berliner Ensemble jedenfalls solle Klar aus Sicht der Bewährungshilfe unbedingt annehmen: "Ich würde das stark befürworten, weil das seinem Leben Struktur geben würde", sagt Reckling. "Es wäre der entscheidende Schritt aus der Haft in die Freiheit."

(AP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort