Rüttgers Rede im Wortlaut Europas Rolle in einer neuen Weltordnung (5)

zurück zum vierten Teil.

V.

Ich komme zu meiner dritten Überlegung. Sie betrifft das Verhältnis von Europa und den USA: Ein starkes, weil einiges Europa ist auch und vor allem im Interesse der Vereinigten Staaten von Amerika. Dieses Ziel zu erreichen, erfordert eine Neubestimmung der transatlantischen Beziehungen. Das heißt: Europäer und Amerikaner müssen die transatlantischen Beziehungen stärken, indem sie ihnen eine neue Form geben.

Ein starkes Europa kann nicht nur besser helfen, den gemeinsamen Gefahren zu begegnen. Es kann Amerika auch davor bewahren, die innere Balance zu verlieren. Diese Balance verliert jeder, der keinen Partner auf Augenhöhe und damit kein Gegenüber hat. Ein starkes, handlungsfähiges Europa ist auch ein Mittel gegen Antiamerikanismus und damit gegen ein allmähliches Zerbröseln der transatlantischen Allianz.

Es geht nicht um Gegenmacht. Es geht um Gleichgewicht. Gleichgewicht entsteht nur, wenn jedes der Gewichte auch ein Gegengewicht des anderen ist. Ein solches Gegengewicht zu sein, liegt aber in erster Linie an Europa selbst.

Europa muss seine Kompetenzen bündeln. Es muss zu einer gemeinsamen Politik im Weltsicherheitsrat finden — nationale europäische Sitze im Sicherheitsrat sind deshalb langfristig keine Lösung.

Das bedeutet im Kern: Die transatlantische Allianz muss umgestaltet werden in ein Bündnis zwischen Amerika und Europa als Einheit, in dem Europa über eigenständige Mittel verfügt. Ein solches Europa muss seinen Willen zunächst unter sich bilden, bevor es sich mit Amerika an den Tisch der NATO setzt, um einen transatlantischen Willen zu bilden. Und Europa und Amerika müssen ein neues institutionalisiertes Verfahren für gemeinsame Entscheidungen über eine gemeinsame Politik der NATO entwickeln. Das heißt, das Bündnis stärken und nicht schwächen.

Nebenbei bemerkt: Ich begrüße auch, dass sich nach dem Besuch des japanischen Ministerpräsidenten Abe bei der NATO eine engere Kooperation des Bündnisses mit Japan abzeichnet. Das Gleiche gilt für Australien. Eine engere Kooperation mit beiden Ländern würde nicht nur die NATO stärken, sondern auch Europa zwingen, stärker eigene Belange als gesamteuropäische Interessen in der NATO zu vertreten.

Entscheidend ist aber, dass die transatlantischen Beziehungen eine neue Qualität bekommen. Sie sind alles andere als eindimensional. Robert Kagans berühmte Formel, wir Europäer kämen von der Venus, die Amerikaner vom Mars, führt in die Irre. Treffender ist das Bild des mehrschichtigen Schachbretts des amerikanischen Politologen Joseph S. Nye: Auf dem einen Brett ist die militärische Macht durch die amerikanische Dominanz weitgehend unipolar. Doch auf dem anderen Brett ist die wirtschaftliche Macht multipolar. Schließlich stehen Europa und Japan zusammen mit den Vereinigten Staaten für zwei Drittel des Weltprodukts. Hier herrscht keine amerikanische Hegemonie.

Die Versuchung, unilateral zu handeln, schwächt die Vereinigten Staaten und damit auch die transatlantische Zusammenarbeit. Denn eine Politik der Vormachtstellung wirkt entfremdend auf die Freunde Amerikas. Und es schwächt zugleich den Westen insgesamt in seinem Kampf gegen die Bedrohung des internationalen Terrorismus. Europa und Amerika stehen aber nicht nur im Anti- Terror-Kampf gewaltige Herausforderungen bevor. Beide sind gleichermaßen betroffen von Globalisierung und Klimawandel. Aber sie haben gemeinsam auch ein ungeheures Potenzial an Weltwirtschaftskraft. Dieses gemeinsame Potenzial muss gestärkt werden.

Ich begrüße deshalb ausdrücklich die Initiative von Angela Merkel, die Wirtschaftsbeziehungen mit den USA zu einer Art Binnenmarkt auszubauen. Technische Standards, Energiefragen und allgemeine Spielregeln des Wirtschaftens müssen künftig intensiv und nachhaltig abgestimmt werden. Es kann zum Beispiel nicht sein, dass wir massiv in Bildung und in Forschung und Entwicklung investieren und anderswo auf der Welt wird unser geistiges Eigentum skrupellos kopiert und damit entwertet.

Aber ich sage auch: Abstimmen heißt nicht übernehmen! Das gilt insbesondere für die Regeln auf den Finanzmärkten. Denn die Fiskalökonomie entfernt sich immer mehr von der produzierenden Wirtschaft und droht sämtliche Wirtschaftsprozesse zu dominieren. Wenn wir das Europäische Modell bewahren wollen, müssen wir gerade hier darauf dringen, dass Standards gesetzt und eingehalten werden. Denn die Dimensionen sind erheblich: Im ersten Halbjahr 2006 allein gab es in der Private-Equity-Branche weltweit Übernahmen in Höhe von 300 Milliarden Dollar.

Es kann nicht sein, dass in dieser Welt der Hedge-Fonds und der Private- Equity-Branche nichts verboten und alles erlaubt sein soll. Denn sie können ganze Volkswirtschaften unter Druck setzen. Wenn große Schuldner insolvent werden, drohen fatale Kettenreaktionen, vor denen gerade die besten Kenner der Märkte verstärkt warnen — denn die Risiken werden immer weniger kalkulierbar.

Es ist deshalb gut, dass Angela Merkel die Frage internationaler Regeln bei Hedge-Fonds und Private-Equity-Gesellschaften zu einem der Schwerpunkte der deutschen Ratspräsidentschaft macht. Aber ich sage auch: Eine bessere Abstimmung mit den USA ist auch keine Alternative zum zusammenwachsenden Europa. Schon gar nicht darf es als Ausschluss anderer Partner verstanden werden.

Wenn der Westen die Globalisierung erfolgreich gestalten will, bedeutet das: Europa muss amerikanischer werden — aber Amerika auch europäischer! Das geht nur über einen intensiven Dialog auf allen Ebenen: Amerika ist in Europa präsent und beteiligt sich an der öffentlichen Debatte diesseits des Atlantiks. Es verfügt über ausgezeichnete intellektuelle Einrichtungen wie hier in Berlin die American Academy oder das Aspen Institute.

Aber auch Europa muss als solches in Amerika präsenter werden und sich stärker an der amerikanischen Debatte beteiligen. Nur auf diesem Weg kann die EU den Einfluss in den Vereinigten Staaten erlangen, den die europäischen Hauptstädte immer wieder einfordern. Die Voraussetzungen hierfür sind gut. Denn Europa hat viele Verbündete in der politisch-intellektuellen Welt der USA.

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