Ukraine-Krieg Die Angst vor dem GAU

Meinung | Saporischschja · Nach dem Krieg nun noch ein GAU? Die Lage in Europas größtem Atomkraftwerk Saporischschja in der Ukraine ist hoch gefährlich. Russische Truppen müssen sich von dort zurückziehen und IAEA-Inspektoren den Weg freigeben. Dieser Krieg ist nicht kalkulierbar und ein Atomunfall „aus Versehen“ durchaus möglich.

Ein russischer Soldat bewacht einen Bereich des Atomkraftwerkes im ukrainischen Saporischschja

Ein russischer Soldat bewacht einen Bereich des Atomkraftwerkes im ukrainischen Saporischschja

Foto: dpa/-

Wladimir Putins Krieg in der Ukraine ist brutal, verbrecherisch, skrupellos, zynisch. Dem Machthaber im Kreml sind eigene Opfer weitgehend egal, erst recht Verluste auf Seiten der Ukraine. Putin will das Nachbarland zerstören, wenn er es schon nicht vollständig einnehmen kann -- und das Volk der Ukrainer vernichten. Dazu sind ihm (fast) alle Mittel recht. Der russische Präsident spielt damit nicht nur mit dem Feuer. Er riskiert im schlimmsten Fall sogar einen „Größten Anzunehmenden Unfall“, kurz: GAU, seit seine Truppen Europas größtes Atomkraftwerk im ukrainischen Saporischschja besetzt haben.

Natürlich betont Russland aktuell, Inspektoren der Internationalen Atom-Energieagentur (IAEA) könnten den Meiler in Saporischschja inspizieren, ob dort noch ein sicherer Betrieb möglich sei. Doch dann verzögert Moskau den Zugang internationaler Experten in das Gebiet weiter. Putin lässt seinen Verteidigungsminister Sergej Schoigu sogar sagen, dass ein Einsatz von Atomwaffen in der Ukraine nicht nötig sei. Dieser Satz lässt tief blicken, weil er darauf hinweist, dass Putin und Schoigu über die Möglichkeit eines solchen Einsatzes mit Atomwaffen gesprochen haben. Je nach Kriegslage wird er diese Position variieren. Saporischschja bietet ihm die perfekte Drohkulisse, weil Europa den Atem anhalten müsste (und nicht nur das), sollte in dem ukrainischen Reaktor ein größerer Unfall, vielleicht auch der „Größte Anzunehmende Unfall“, passieren. Hoffentlich nie!

Die Folgen für den Kontinent wären katastrophal. Ganz Europa muss alarmiert sein, weil in einem derart unberechenbaren und gnadenlosen Krieg, wie ihn die Welt seit bald sechs Monaten in der Ukraine verfolgt, auch ein Unfall „aus Versehen“ möglich ist. Am Ende wäre es dann niemand gewesen. Russland würde ukrainischen Streitkräften die Schuld geben, die das Atomkraftwerk beschossen hätten. Und umgekehrt: Die Ukraine würde russische Streitkräfte verantwortlich machen, einen GAU riskiert und ausgelöst zu haben. Nur hilft auch dies niemanden, wenn der Geist erst aus der Flasche wäre. Der Ukraine-Krieg hätte eine neue, kaum vorstellbare Stufe erreicht. Selbst jemand wie Putin müsste davor zurückschrecken. Eigentlich. Aber wovor schreckt er zurück? Er steht selbst mit dem Rücken zur Wand und hat sein Land mit diesem Krieg um Jahrzehnte zurückgebombt.

Die IAEA-Inspektoren brauchen jedenfalls dringend Zugang auf das Gelände. Sie müssen den teilweise bereits beschädigten Reaktor inspizieren und den Besatzern (und ihrem Auftraggeber im Kreml) sagen können, wie gefährlich ein Weiterbetrieb der Anlage ist. Seine Soldaten am Reaktor in Saporischschja würde Putin opfern ohne mit der Wimper zu zucken. Allerdings muss auch er befürchten, dass im Falle eines Unfalles die atomare Wolke vom Wind nach Russland und dann weiter nach Moskau getragen werden könnte. Dann hätte auch Putin ein Problem. So bleibt es beim Erpressungspotenzial --zündeln mit der atomaren Gefahr. Ein GAU aus Versehen? Den Krieg in der Ukraine hat der Kreml-Herrscher jedenfalls nicht aus Versehen losgetreten.

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