Sigmar Gabriel nutzt die Babypause Europa-Politik vom Wickeltisch aus
Düsseldorf · Sigmar Gabriel ist bis September in Babypause. Eigentlich. Der SPD-Chef mischt sich dennoch ein. Er kritisiert die Bundesregierung und macht Vorschläge zu einer besseren Einbindung der Bürger in die Politik. Ganz nebenbei füttert er seine Tochter. Und lässt alle daran teilhaben.
Frage: Wo wird derzeit visionäre Oppositionsarbeit betrieben? Im Bundestag? Oder doch im Willy-Brandt-Haus? Nichts von alledem: Wenn Kanzlerin Angela Merkel derzeit einen Ort fürchten sollte, dann ist es Magdeburg. Genauer gesagt eine Altbauwohnung in der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts. Hier hat es sich Sigmar Gabriel mit Frau und Kind gemütlich gemacht.
Ursprünglich wollte sich der SPD-Chef in der Zeit von Mai bis September aus dem politischen Tagesgeschäft zurückziehen und die Führung der Partei und die Verantwortung der Oppositionsarbeit Andrea Nahles überlassen. Mitte April hatte der oberste Sozialdemokrat angekündigt, sich um seine Tochter zu kümmern und nebenbei seiner Frau den Wiedereinstieg in den Job zu verschaffen — Babypause für Gabriel.
Scheinbar sind Pläne dazu da, um sie über Bord zu werfen. Zumindest im Fall Gabriels trifft dies zu. Der gebürtige Goslarer nutzt die Auszeit, um vom Wickeltisch aus Europapolitik zu betreiben. Zwischen Fläschchen und Brei für Töchterchen Marie bleibt offenbar genügend Zeit, sich Gedanken über die Stabilität der Gemeinschaftswährung und den Zusammenhalt der Euro-Zone zu machen.
Babypause? Nicht mit Gabriel. Es vergeht kaum ein Tag, an dem er sich nicht zu Wort meldet. Gabriel gibt Interviews und Gabriel reist sogar von Magdeburg nach Berlin in die Parteizentrale. So geschehen am Montag. Auch über seinen Twitter-Account verschafft er sich Gehör.
Ein Blick in die Abfolge seiner Kurznachrichten zeigt die Bandbreite der Themen, mit der sich der SPD-Politiker derzeit beschäftigt: Einem "Bankenmacht regulieren" folgt ein "Mariechen hat Hunger". Und wenn das Töchterchen "abgefüttert ist", kann sich Gabriel auch wieder der Rettung Europas widmen. Erst Mariechen, dann Habermas.
Sein jüngster Vorstoß: Am Montag hatte der SPD-Vorsitzende sich für einen grundlegenden Strategiewechsel in der deutschen Euro-Politik ausgesprochen. Er plädierte für eine gemeinschaftliche Haftung für die Schulden aller Euro-Staaten bei gleichzeitiger strenger gemeinsamer Haushaltskontrolle.
Dafür müsse ein Verfassungskonvent eine Grundgesetzänderung erarbeiten, die dann den Bürgern in einer Volksabstimmung vorgelegt werde. Der Euro-Rettungskurs der Bundesregierung sei gescheitert. Natürlich ließ er das auch über Twitter wissen.