Grenzwerte jahrelang überschritten EuGH verurteilt Deutschland wegen zu schmutziger Luft in Städten

Luxemburg · Die EU-Grenzwerte für das gesundheitsschädliche Stickstoffdioxid wurden über viele Jahre und an vielen Orten in Deutschland gebrochen. Dafür hat der Europäische Gerichtshof die Bundesrepublik nun verurteilt. Die Umweltministerin verweist auf Erfolge der letzten Jahre.

 Eine Luftmessstation in Köln (Archiv).

Eine Luftmessstation in Köln (Archiv).

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Der Europäische Gerichtshof hat Deutschland verurteilt, weil jahrelang in vielen Städten die Grenzwerte für den Luftschadstoff Stickstoffdioxid erheblich überschritten wurden. Die Bundesrepublik habe damit EU-Recht gebrochen, entschieden die höchsten EU-Richter am Donnerstag in Luxemburg. Hintergrund ist eine Klage der EU-Kommission. Sie bezieht sich auf die Jahre 2010 bis 2016. (Rechtssache C-635/18)

Mit dem Urteil gegen die Bundesrepublik sind neue Auflagen zum Beispiel für Dieselfahrzeuge an bestimmten Orten nicht ausgeschlossen. Allerdings hat sich die Luftqualität in deutschen Städten zuletzt verbessert, unter anderem wegen der Corona-Krise. Nach Angaben des Bundesumweltministeriums waren 2016 in 90 Städten die Grenzwerte teils deutlich überschritten worden. Seither sei die Zahl jedes Jahr gesunken. 2019 waren es den Angaben zufolge noch 25, im Corona-Jahr 2020 dann sechs, darunter München und Hamburg.

Die EU-Kommission hatte die Klage gegen Deutschland 2018 beim obersten EU-Gericht eingereicht. Sie begründete dies damals damit, dass die seit 2010 in der EU gültigen Jahresgrenzwerte für Stickstoffdioxid in 26 Gebieten systematisch und fortdauernd überschritten worden seien. Dazu gehörten Berlin, Hamburg, München und Stuttgart. In zwei Gebieten seien auch Stundengrenzwerte nicht eingehalten worden.

Den Argumenten folgte der EuGH jetzt. Deutschland habe dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Luftreinhalterichtlinie verstoßen, „dass keine geeigneten Maßnahmen ergriffen wurden, um ab dem 11. Juni 2010 in allen Gebieten die Einhaltung der Grenzwerte für NO2 zu gewährleisten“, erklärte das Gericht.

Der Jahresgrenzwert für Stickstoffdioxid liegt bei 40 Mikrogramm je Kubikmeter Luft im Jahresmittel. Daneben gibt es einen Ein-Stunden-Grenzwert von 200 Mikrogramm, der nicht öfter als 18-mal pro Jahr überschritten werden darf. Stickstoffdioxide entstehen vor allem bei Verbrennungsprozessen sowohl in Motoren als auch in Öfen für Kohle, Öl, Gas, Holz und Abfälle. Sie gelten unter anderem für Asthmatiker als schädlich.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze verwies in einer Reaktion auf das Urteil auf die Verbesserung der Luftqualität in den letzten Jahren. „2016 wurden die Grenzwerte noch in 90 Städte teils erheblich überschritten. Im Jahr 2020 reißt nur noch ein Bruchteil davon die Latte – das ist ein großer Erfolg.“ Dennoch seien sechs Städte mit Grenzwertüberschreitung immer noch sechs Städte zu viel. Daher unterstütze die Bundesregierung auch weiterhin alle Kommunen, damit das EU-Ziel schon bald komplett erfüllt werden könne.

„Entscheidend für die positive Entwicklung waren die richtigen Maßnahmen zur Luftreinhaltung von Bund und Ländern. Außerdem sorgen die neuen Abgasnormen für Diesel-Pkw für mehr saubere Fahrzeuge auf der Straße, und nicht nur auf dem Papier“, sagte Schulze weiter und lobte darüberhinaus Maßnahmen der Städte wie Tempo-30-Zonen und die Nachrüstung von Bussen.

Nach Einschätzung des für die Verkehrspolitik zuständigen Unionfraktions-Vize-Chefs Ulrich Lange (CSU) hat das Urteil keine Konsequenzen für die deutsche Politik. „Deutschland hat seine Hausaufgaben bei der Verbesserung der Luftqualität in Städten längst gemacht“, sagte Lange unserer Redaktion. „Das vom Bund aufgelegte Sofortprogramm Saubere Luft hat also seine Wirkung gezeigt. Die gezielte Förderung der Elektrifizierung, von sauberen Bussen und Digitalisierung war erfolgreich und ist allemal besser als Fahrverbote. Auf diesem Weg werden wir auch noch weitere Verbesserungen erreichen“, sagte der CSU-Politiker.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) bewertet das Urteil hingegen als derbe Schlappe für die Bundesregierung. Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch sagte am Donnerstag in Berlin: „Die rechtskräftige Verurteilung der Bundesregierung durch das höchste europäische Gericht ist eine schallende Ohrfeige für die Diesellobbyisten auf der Regierungsbank.“ Die Umwelthilfe forderte schnelle Konsequenzen. Dazu gehöre etwa eine schnelle Umwidmung von Straßenflächen in geschützte Radwege und die Stilllegung beziehungsweise Hardware-Nachrüstung der knapp zehn Millionen „Betrugs-Diesel“ auf Kosten der Hersteller.

Resch erklärte, das Gericht bestätige die Rechtsauffassung der DUH, dass Deutschland seit über zehn Jahren systematisch und vorsätzlich europäisches Recht gebrochen habe. „Die Bundesregierungen haben seit 2010 bewusst eine Politik gegen die Menschen im Land betrieben und ihre Verpflichtung zur Luftreinhaltung ignoriert.“ In Deutschland seien seitdem nach Berechnungen der Europäischen Umweltagentur mehrere hunderttausend Menschen vorzeitig an den Folgen zu hoher Luftbelastung gestorben.

(hebu/mar/dpa/AFP)
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