Scholz bei EU-Gipfel in Prag Auf der Suche nach dem roten Faden

Meinung | Berlin · In Prag treffen sich am Freitag die Staats- und Regierungschefs der EU zum Gipfel-Gespräch. Kanzler Olaf Scholz muss dabei den deutschen „Doppel-Wumms“ verteidigen – obwohl die Details überhaupt noch nicht feststehen. Warum das ein Drahtseilakt ist.

 Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beim informellen EU-Gipfel.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beim informellen EU-Gipfel.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Olaf Scholz steht im Sonnenschein auf der Prager Burg und blickt kurz ins Weite. Gerade hat der deutsche Kanzler erneut erklärt, warum das deutsche Doppel-Wumms-Paket die EU nicht aus den Angeln hebt. Und warum das Land mit diesem wuchtigen Paket zur Abfederung der Energiepreise nicht auf einem reinen Ego-Trip unterwegs ist. Die Argumente, die der SPD-Politiker dabei anführt, sind die, mit denen schon Finanzminister Christian Lindner EU-Finanzminister zu beruhigen suchte: Deutschland sei kein Einzelfall, andere Länder wie Frankreich und Spanien etwa hätten ebenfalls bereits eigene Hilfsprogramme aufgelegt, die Summe gelte bis ins Jahr 2024, sei daher gar nicht so hoch. Berlin selbst habe außerdem erhebliche Vorbehalte gegen die Forderung Polens und 14 weiterer EU-Länder nach einem Preisdeckel für Gasimporte etwa aus Norwegen oder den USA.

Es gibt einen neuen Ton, den die EU-Partner bei den Deutschen raushören: Während Scholz Vorgängerin Angela Merkel (CDU) nächtelang an großen Kompromissen schmiedete, macht ihr Nachfolger ab einem bestimmten Punkt seinen Gesprächspartnern deutlich: Hier wird Deutschland nicht weichen. Und auch keine alternativen Angebote unterbreiten. Wie das in Brüssel auf Dauer ankommt, ist noch ungewiss. Die deutsche EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen warnte vorsichtshalber schon mal öffentlich vor einer Verzerrung des gemeinsamen Binnenmarkts.

Daheim in Deutschland reibt man sich unterdessen verwundert die Augen. Denn noch gibt es gar nicht Konkretes, keine Beschlüsse, die man ins Schaufenster stellen könnte. Wofür und wie genau die 200 Milliarden Euro, die Scholz in Brüssel verteidigt, eingesetzt werden sollen: Alles unklar. Zunächst muss die Gaskommission Vorschläge zum Gaspreisdeckel machen. Darüber muss beraten werden. Wie und wann die Öffentlichkeit informiert werden soll, ist noch offen. Die Steuerschätzung Ende Oktober soll ebenfalls abgewartet werden. Dann wird es erneut Beratungen von Bund und Ländern geben. Vom Zeitpunkt her ist es dann ungefähr Anfang November - was bis dahin mit dem dritten Entlastungspaket geschieht? Auch hier gibt es bislang keine Antworten.

Es sind also viele Baustellen gerade für den deutschen Kanzler: Ukraine-Krieg mit gefährlicher, möglicherweise atomarer Zuspitzung. Energie- und Inflationskrise in Deutschland, immense Verschuldung inbegriffen. Die Rückkehr der Flüchtlingskrise in einem derzeit ohnehin bedrängten Land. Ungeklärte Finanzierungsfragen mit den Bundesländern, das alles vor einer Landtagswahl in Niedersachsen mit unklaren Folgen für die rot-grün-gelbe Ampel-Koalition in Berlin. Die ohnehin getrübte Stimmung zwischen Grünen und FDP könnte sich nach einem möglichen Ausscheiden der Liberalen aus dem Landtag von Hannover nochmal verschlechtern. Für FDP-Chef Lindner steht viel auf dem Spiel.

Scholz pokert hoch - er ist sich der mannigfachen Herausforderungen durchaus bewusst. Und bleibt doch selbstbewusst bei dem, was er für den richtigen Kurs hält. Scheitern inbegriffen.

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