EU-Flüchtlingsgipfel Keine Lösung, aber ein Anfang

Meinung | Düsseldorf · Mit einem 16-Punkte-Programm wollte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den unkontrollierten Zustrom der Flüchtlinge über die Balkan-Route eindämmen. Es sind jetzt beim Mini-EU-Gipfel in Brüssel 17 Punkte geworden. Eine Lösung liegt aber trotz dieser schönen Punktekataloge noch in weiter Ferne.

Die Zahl der Flüchtlinge entlang der Balkan-Route erreicht fast täglich neue Höchststände, und die Europäer haben noch immer nicht zu einer einheitlichen Linie gefunden — trotz der Einigung vom Wochenende. Sie streiten lieber und geben sich gegenseitig die Schuld.

So lässt sich die Flüchtlingskrise nicht lösen. Es ist aber auch nicht alles vergebens. Immerhin haben die Länder von Griechenland bis Deutschland einen Minimalkonsens vereinbart. 100.000 Aufnahmeplätze in den einzelnen Balkanländern mögen zu wenig sein, wenn eine solche Zahl in nur zwei Wochen die Grenzen passieren. Aber es ist ein Anfang.

Das wichtige Signal dabei ist, dass nicht jeder Flüchtling damit rechnen kann, nach Deutschland zu kommen. Das mindert den Anreiz zur Flucht für solche, die — völlig verständlich — nur ein besseres Leben suchen, aber nicht direkt bedroht sind. Damit verfolgen die Europäer trotz aller Uneinigkeit im Kern den richtigen Ansatz.

Merkels Erklärung, keine Obergrenze für die wirklich verfolgten Menschen zu definieren, bezieht sich ausschließlich auf die Gruppe der, die wie die meisten Syrer von Tod, Vertreibung oder Misshandlung bedroht sind. Bei den anderen kann es nur für einzelne die Chance geben, über einen geordneten Einwanderungsprozess, der nach strengen Regeln abläuft, in die europäischen Länder zu kommen. Mehr ist derzeit insbesondere für Deutschland in der kurzen Zeit nicht verkraftbar.

Diese beiden Gruppen zu unterscheiden, wird der Schwerpunkt der künftigen Arbeit sein. Die Instrumente dazu sind die Registrierung im ersten Aufnahmeland, Aufnahmezentren entlang der Balkan-Route und Transit-Einrichtungen an der deutschen Grenze. Punkte, an denen es möglich ist, schnell zu entscheiden, ob jemand wirklich verfolgt wird oder nicht. Selbst wenn man im Zweifel sich eher für eine Aufnahme der Flüchtlinge entscheidet, wenn es aus humanitären Gründen angezeigt ist, kanalisieren solche festgelegten Punkte den bislang ungehemmten Zuzug. Es ist gut, dass sich Länder wie Slowenien, Kroatien, Serbien, Mazedonien und Griechenland in die Pflicht nehmen ließen, und Deutschland muss nicht mehr die alleinige Last tragen.

Noch sind das freilich alles Wunschszenarien. Und Merkel weiß, dass ihr die Zeit davonläuft. Wenn sie es nicht schafft, den Zuzug zu bremsen, wird ihre bislang begrüßenswerte Politik der Offenheit nicht durchzuhalten sein. Es gehört zur Ehrlichkeit dazu, dass sie ihren europäischen Partner und Ländern, die wie Serbien, Montenegro, Albanien, Mazedonien und vor allem die Türkei nicht zur EU gehören, Anreize bieten muss, bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise zu kooperieren. Das wird viel Geld kosten und enormes Verhandlungsgeschick erfordern. Nur dann kann sie ihr Versprechen einlösen: "Wir schaffen das." Es ist ihr zu wünschen.

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(kes)
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