Debatte um Sterbehilfe Ethikrat fordert Stärkung der Suizidprävention

Berlin · Mehr als 9.000 Menschen in Deutschland nehmen sich jährlich das Leben. Der Deutsche Ethikrat fordert deshalb mehr Anstrengungen zur Suizidprävention. Zugleich betont er das Recht auf einen freiverantwortlichen Suizid – und nennt Voraussetzungen für Sterbehilfe. Politisch steht eine Entscheidung noch aus.

Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, in der Bundespressekonferenz am Donnerstag.

Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, in der Bundespressekonferenz am Donnerstag.

Foto: dpa/Wolfgang Kumm

In der Debatte um eine gesetzliche Regulierung der Suizidassistenz mahnt der Deutsche Ethikrat beim Gesetzgeber eine sorgfältige Abwägung von Kriterien für diese Form der Sterbehilfe an. In einer am Donnerstag in Berlin vorgestellten Stellungnahme betont das Expertengremium die Bedeutung der freiverantwortlichen Entscheidung. „Es darf nur zu einem freiverantwortlichen Suizid Hilfe geleistet werden“, sagte die Ethikrat-Vorsitzende Alena Buyx. Zentral sei es daher, die Voraussetzung für solch eine freie Willensentscheidung zu klären, ergänzte der Rechtsprofessor Helmut Frister. Konkrete Empfehlungen für oder gegen einen der bereits im Bundestag vorliegenden Gesetzentwürfe geben die Experten aber nicht ab.

Die Prüfung der Freiverantwortlichkeit stelle die Weichen dafür, ob dem Selbstbestimmungsrecht oder dem Schutz des Lebens Vorrang gilt, erklärte das Ethikrat-Mitglied Frister. Gleichzeitig fordert das Gremium mehr Anstrengungen im Bereich der Suizidprävention, um dem Grundrecht auf Leben gerecht zu werden. Der Respekt vor einem freiverantworteten Suizid dürfe nicht dazu führen, „dass uns Suizide - als Individuen, institutionell oder gesellschaftlich - egal sein dürfen“, sagte Buyx. Mehr als 9.000 Menschen hätten sich 2021 das Leben genommen.

Buyx verwies darauf, dass das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2020 das Gesetz zur geschäftsmäßigen Förderung der Suizidbeihilfe gekippt hat. Das Gericht unterstreiche das Recht auf selbstbestimmtes Sterben.

Inzwischen berät der Bundestag über eine Nachfolgeregelung. Drei Gruppen mit Abgeordneten verschiedener Fraktionen haben dazu Vorschläge vorgelegt. Eine plädiert für ein erneutes Verbot der organisierten, sogenannten geschäftsmäßigen Suizidassistenz, das aber in eng definierten Grenzen Ausnahmen zulässt. Zwei andere Gruppen legen in ihren Entwürfen den Fokus auf die Durchsetzung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben. Bei der Suizidassistenz werden einem Sterbewilligen etwa todbringende Medikamente überlassen. Diese Form der Sterbehilfe unterscheidet sich damit von der Tötung auf Verlangen, die in Deutschland verboten ist. Wann es eine Entscheidung im Bundestag geben wird, ist noch offen.

Der CDU-Abgeordnete Ansgar Heveling, der mit dem SPD-Abgeordneten Lars Castellucci eine der Gruppen vertritt, begrüßte die Stellungnahme des Ethikrates als wichtigen Beitrag für die anstehende parlamentarische Debatte zur Suizidassistenz. „Besonderen Wert legt der Ethikrat darauf, dass aufgrund der Irreversibilität der Suizidentscheidung besonders hohe Anforderungen an die Freiverantwortlichkeit zu stellen sind“, so Heveling.

Buyx verschwieg nicht, dass es im Ethikrat durchaus unterschiedliche Bewertungen zu einzelnen Fragen gab: So wendet sich ein Teil der Experten gegen eine weitreichende Pflicht zur Beratung. Ebenso gibt es unterschiedliche Ansichten mit Blick auf die Suizidwünsche Minderjähriger. Einzelne Ratsmitglieder verlangen, im Einzelfall auch Jüngeren den Zugang zur Beihilfe zu ermöglichen. Ebenso sollten psychisch Kranke nicht von vorne herein von einer Beihilfe zur Selbsttötung ausgeschlossen werden, argumentieren manche Mitglieder. Wer unter langjährigen chronischen Depressionen leide, könne durchaus verantwortliche Entscheidungen treffen. Differenzen gibt es auch beim Stellenwert von Vorausverfügungen, etwa in Fällen schwerer Demenz.

Das Gutachten geht auch auf die Frage ein, ob etwa Pflegeheime zum Angebot einer Suizidbeihilfe verpflichtet werden können. Vor allem kirchliche Einrichtungen fordern ein Recht, Nein sagen zu können. Laut dem Ethikratsmitglied Andreas Lob-Hüdepohl müssen solche Einrichtungen aber zumindest gewährleisten, dass Suizidwilligen „die Umsetzung einer freiverantwortlichen Entscheidung nicht verwehrt oder verunmöglicht wird“ - innerhalb oder außerhalb der eigenen Mauern.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz hat Betreiber von Pflegeheimen aufgerufen, sich mit Suizidassistenz auseinander zu setzen. Hintergrund ist eine Stellungnahme des Deutschen Ethikrates zu dem Thema. „Heimbetreiber müssen sich mit dem assistierten Suizid in ihren Einrichtungen auseinandersetzen“, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch. „Hier wird auch nicht die Errichtung von Schutzräumen helfen, die insbesondere von kirchlichen Trägern gefordert werden. Solche Schutzräume sind praktisch und rechtlich unmöglich umsetzbar. Denn auch in Pflegeheimen muss die freiverantwortliche Entscheidung des Suizidwilligen geachtet werden“, sagte Brysch und fügte hinzu: „Die Fragen um die Selbstbestimmung des Suizidentschlusses sind aber so komplex, dass alle Beteiligten daran nur regelmäßig scheitern können.“

(jd/epd/kna)
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