Analyse Meinungsfreiheit ist anstrengend

Meinung | Düsseldorf · Vor allem nach der unsäglichen KZ-Bemerkung des Autors Akif Pirinçci stellt sich die Frage, was die demokratische Gesellschaft aushalten muss. Viel, lautet die Antwort. Man muss sogar gegen Ausländer sein dürfen.

Plakate bei "Pegida" in Dresden.

Plakate bei "Pegida" in Dresden.

Foto: dpa, jai

Natürlich sind wir für die Meinungsfreiheit. Ohne Wenn und Aber; immer und überall. Und man muss nicht unbedingt ein Verfassungspatriot sein, um sich für den Schutz der freien Meinungsäußerung auf das Grundgesetz (Artikel 5) oder die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte zu berufen. Die Meinung ist frei; nur: Wer kann sie ohne Vorbehalte auch ertragen? Vor allem im Empörungsumfeld rund um das Pegida-Treiben und manch erbärmlichen Beiträgen ihrer Redner drängt sich der Gedanke auf, dass die Freiheit der Meinung zwar als hohes Gut erachtet wird, dass wir sie aber zu oft für unsere eigenen Ansichten requirieren. Jemandem das Wort zu verbieten, weil er sich über Schwule, Moslems oder Ausländer mokiert, mag moralisch integer und als Beleg guten Stils gelten. Indes: Mit Meinungsfreiheit hat das nichts zu tun.

Nehmen wir den Fall des Schriftstellers und Rechtspopulisten Akif Pirinçci, der in Dresden mit einer unsäglichen KZ-Bemerkung von sich reden machte und gegen den wegen dieser Hetzrede die Staatsanwaltschaft inzwischen ermittelt. Keine Frage, es tut weh, zu hören, was Pirinçci sagt. Und für Sachsens christdemokratischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich steht das Ermittlungsergebnis fest: "Er hat die Grenze der Meinungsfreiheit längst überschritten."

Meinungsfreiheit scheint also eine Haltung und ein Bekenntnis zur vermeintlich guten Meinung zu sein. Und so hat die Dresdner Rede Pirinçcis eine Reihe anderer Bekenntnisse nach sich gezogen. Der Verlagsriese Random House hat die Bücher des Autors aus der Reihe der Katzenkrimis "Felidae" erst einmal aus dem Verkehr gezogen. Eine verlegerische Heimat sollte der politisch auffällig gewordene Autor nicht mehr haben, hieß es. "Ach, ihr Guten von Random House!", ätzte daraufhin der gern provozierende Autor Thor Kunkel, der mit seinem Roman "Endstufe" selbst Gegenstand engagierter Debatten gewesen ist und der jetzt "die wirtschaftliche Vernichtung eines Autors" wittert.

Apropos: Vor der Rede hatte der Verlag noch eine Anzeige geschaltet für das jüngste Werk des Autors. Nach der Rede dann bereute auch das Branchenblatt des Börsenvereins, in dem das Sachbuch beworben wurde, die Anzeige überhaupt gedruckt zu haben. Von einer "verkehrten Entscheidung" war im Fachblatt zu lesen. Wobei allerdings schon der Titel des Werks, "Die große Verschwulung", den Mut der Verantwortlichen vorzeitig hätte provozieren können, auf die Anzeigenerlöse in diesem Fall zu verzichten. Man ahnt, dass auf Anzeigenverkäufer künftig die verantwortungsvolle Aufgabe zukommen könnte, vorzuempfinden, auf welche Werbung zu welchem Buch und Autor in absehbarer Zukunft aus Gründen des Anstands verzichtet werden sollte.

Meinungsfreiheit ist ein Bekenntnis zur Demokratie, das freilich die utopische Hoffnung mit sich schleift, damit vielen demokratischen Bekenntnissen zur Freiheit der Äußerung zu verhelfen. Es ist leicht, der vermeintlich richtigen Meinung inbrünstig einen Freiheitsraum einzurichten. Doch ist das Recht für jeden, "seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten", so das Grundgesetz, in Wirklichkeit eine Herausforderung für das demokratische Selbstverständnis. Eine Zensur findet nicht statt, heißt es im Nachsatz des Artikels. Und das umschließt ausdrücklich auch abweichende Meinungen. Grenzen werden nur dann gezogen, wenn unter anderem der Schutz von Staat und Sittlichkeit, der persönlichen Ehre oder der öffentlichen Sicherheit gefährdet ist.

Über das Gesetz hat die Gesellschaft hierzulande Reflexe auf Reizthemen längst verinnerlicht. Dazu gehören alle Nazi-Vergleiche. Neben Pirinçci bekam dies Pegida-Chef Lutz Bachmann zu spüren, der Bundesjustizminister Heiko Maas mit dem Nazi-Propagandachef Goebbels verglich. Während Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck sich umgehend entschuldigte, nachdem er bei einer Diskussion erklärt hatte, dass sich Flüchtlinge in Transitzonen wie in Konzentrationslagern fühlen müssten. Das Unvergleichliche bleibt auch im 21. Jahrhundert unvergleichlich und ist Teil deutscher Staatsräson.

Wie schwer scheint es uns jenseits dieser Giftrhetorik zu fallen, Meinungen anderer zu respektieren, die wir für inakzeptabel, fies und unliebsam halten. Sie sind nicht nur erlaubt, sondern müssen es auch sein. Also all das, was unserem Ideal von Richtigkeit widerspricht. Wer indes Meinungsfreiheit als ein Instrument zur Bereinigung von unguten Äußerungen missbraucht, wünscht eine Gesellschaft, die in ihren Ansichten und Mentalitäten homogen ist. Dies ist ebenso wie bei den Herkünften der in unserer Gesellschaft lebenden Menschen eine absurde, auch nicht wünschenswerte Vorstellung.

Das Leben im multikulturellen Deutschland hat die Positionen verschärft und die Herausforderung erhöht, niemand zum Schweigen zu bringen. Wer missliebigen Meinungen jede Freiheit nimmt, macht aus vormals rechten Positionen insbesondere bei politischen Analphabeten schon bald rechtsextreme Positionen. Wer Meinungen abschneidet und damit einen Disput unterbindet, nimmt eine Radikalisierung in Kauf.

Man muss gegen Ausländer sein dürfen. Wie man auch frei seine Meinung äußern darf, sich von Flüchtlingen bedroht zu fühlen. Welche Schwäche, Angst, Feindbilder und Klischees darin auch immer zum Ausdruck kommen, sie dürfen nicht die Meinungsfreiheit fraglich machen. Wir leben im Zeitalter der Aufklärung, nicht in aufgeklärten Zeiten; und werden es wahrscheinlich auch nie sein. Schon über 200 Jahre ist jenes Bekenntnis alt, das Voltaire zugeschrieben wird: "Ich lehne ab, was Sie sagen, aber ich werde bis auf den Tod Ihr Recht verteidigen, es zu sagen."

(los)
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