Trittin, Gabriel und Kanzlerkandidat Steinbrück Erste Risse zwischen SPD und Grünen

Berlin · Beim Frühlingsempfang der SPD-Fraktion am Mittwochabend blieb der Platz von Jürgen Trittin zunächst leer. Trittin werde noch kommen, sagte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier bei der Begrüßung. Eigentlich ist es selbstverständlich, dass sich Rote und Grüne bei ihren Empfängen gegenseitig besuchen. Doch in diesen Tagen, da sich Risse im Verhältnis der beiden Wunschkoalitionspartner zeigen, muss die Zusammengehörigkeit beschworen werden.

Reaktionen auf die Nominierung Steinbrücks als SPD-Kanzlerkandidat
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Foto: dpa, Friso Gentsch

Auf Trittin, den Spitzenkandidaten der Grünen, sind sie in der SPD-Fraktion immer noch sauer. Hatte er doch vergangene Woche ausgerechnet an dem Tag, an dem Altkanzler Gerhard Schröder die Fraktion besuchte, ein Interview gegeben, dass den Genossen die Zornesröte ins Gesicht trieb. Darin behauptete er, die Sozialdemokraten hätten vor zehn Jahren beim Start der Sozialreformen der Agenda 2010 die gleichzeitige Einführung eines Mindestlohns blockiert.

Das war ein dreifacher Affront: Zum einen platzierte Trittin das Interview auf den Tag, an dem die Sozialdemokraten sich eigentlich für die Agenda 2010, mit der sie so lange gehadert haben, feiern wollten. Bewusst hatte der Grünen-Fraktionschef auch noch eine Zeitung aus Hannover ausgewählt, damit Schröder das Interview in seiner Heimatzeitung lesen musste. Zudem entspricht Trittins Behauptung nicht ganz der Wahrheit: Auch die Mehrheit bei den Grünen war vor zehn Jahren wie die SPD gegen die Einführung eines Mindestlohns.

Eigentlich gelten beide als politisch Vertraute

Seit Trittins offener Attacke gegen die SPD wird der Kampf um Wählerstimmen mit offenem Visier geführt. SPD-Chef Sigmar Gabriel ging seinerseits zum Angriff über und warf den Grünen fehlende soziale Sensibilität vor. "Die Grünen werden nie verstehen, wie eine Verkäuferin bei Aldi denkt. Mit einem B 3-Gehalt versteht man auch nicht, warum einer Krankenschwester nicht egal ist, wie viel der Strom kostet", sagte Gabriel der "Zeit". Er setzte hinzu, Grüne würden auch nie verstehen, dass es eine Errungenschaft sei, wenn es billige Flüge nach Mallorca gebe, weil sie sich dann auch der Handwerksgeselle leisten könne.

Dass ausgerechnet die beiden Niedersachsen Gabriel und Trittin miteinander streiten, ist ein schlechtes Vorzeichen. Sie gelten eigentlich als politisch Vertraute. Sie sollten künftig die verlässliche Achse einer rot-grünen Regierungskoalition bilden.

Vorwürfe der Lebensferne und das Mantra der Sozialdemokraten, dass es sich bei den Grünen um eine Latte-macchiato-Partei handele, fechten den Grünen-Boss nicht an. "Ich habe Sigmar Gabriel gefragt: Wann warst du das letzte Mal bei McDonald's? Die haben inzwischen ein McCafé. Da gibt es Latte macchiato, Espresso und, halt dich fest, Bionade", feixte Trittin zurück. Grüne Bürgerlichkeit sei nicht exklusiv, sondern solidarisch, meint der Grüne.

An eben diesem Punkt reagieren die Sozialdemokraten empfindlich. Legt man die beiden Wahlprogramme nebeneinander, dann erweisen sich die Grünen als die Eifrigeren, wenn es darum geht, die Agenda 2010 zu korrigieren. So wollen sie beispielsweise Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger abschaffen, die sich weigern, einen Job anzunehmen. Das wiederum findet die SPD ungeheuerlich und unfair all jenen gegenüber, die jeden Tag malochen gehen.

Zweifel an Kanzlerkandidaten

Die Grünen sind ihrerseits mit dem Kanzlerkandidaten der SPD nicht zufrieden. Offen sagen mag das niemand. Hinter den Kulissen fragen sie sich aber, wann die Sozialdemokraten eigentlich mit ihrem Wahlkampf starten und in die Offensive kommen. Die Zweifel, ob Peer Steinbrück sie gemeinsam an die Macht zurückbringt, sind groß. Und Zweifel sind Gift in Wahlkampfzeiten.

In der Energiepolitik gelingt es SPD und Grünen noch nicht einmal in der Opposition, an einem Strang zu ziehen. Die Parteien haben es nicht geschafft, eine gemeinsame Strategie für die Verhandlungen der Länder mit Kanzlerin Angela Merkel um die Energiewende und die Strompreisbremse zu finden.

Koch und Kellner sind Rote und Grüne schon lange nicht mehr. Längst hat die SPD begriffen, dass sie den Wunschpartner auch partnerschaftlich behandeln muss. Doch je näher die Grünen den Sozialdemokraten in den Umfragen kommen, desto schwerer kann die SPD das Selbstbewusstsein der Grünen ertragen. Aktuell steht die SPD nach einer Forsa-Umfrage bei 24 Prozent, die Grünen bei 15 Prozent. Für eine Regierungsbildung reicht das nicht.

(qua)
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