Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Merkel: „Tiefgreifende Differenzen“ mit Türkei

Berlin · Der umstrittene Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Erdogan wird von diplomatischen Turbulenzen überschattet.

Beim Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hat Bundeskanzlerin Angela Merkel die „tiefgreifenden Differenzen“ in den Beziehungen beider Länder offen angesprochen und sich zugleich für eine Wiederannäherung nach jahrelanger Konfrontation eingesetzt.

 Bei ihrer gemeinsamen Pressekonferenz ist nur knapp ein Eklat um den im deutschen Exil lebenden türkischen Journalisten Can Dündar ausgeblieben. Dündar hatte sich akkreditiert und wollte Fragen stellen. Erdogan soll daraufhin mit dem Boykott der Pressekonferenz gedroht haben. Dündar verzichtete schließlich und erklärte: „Wichtig ist, dass die Fragen gestellt werden, nicht, wer sie stellt.“ Merkel belehrte Erdogan aber, dass im Kanzleramt Pressefreiheit herrsche. Dündar steht auf einer Liste von 69 Türken, die Erdogan in Deutschland vermutet und deren Auslieferung er verlangt.

Die türkische Führung bemüht sich seit Anfang des Jahres um bessere Beziehung zu Deutschland. Erdogan geht es insbesondere um Investitionen in sein von einer Wirtschafts- und Finanzkrise gebeuteltes Land. „Wir finden es sehr wichtig, dass wir insbesondere im wirtschaftlichen Bereich mit Deutschland eng zusammenarbeiten zum beiderseitigen Vorteil“, sagte der türkische Präsident. Merkel betonte auch gemeinsame Interessen zum Beispiel die Nato, Flüchtlingshilfe und Terrorbekämpfung. Sie kündigte zudem noch für den Oktober ein Vierer-Treffen auch mit Russland und Frankreich an, bei dem es um eine  Befriedung der Lage im syrischen Idlib gehen soll.

Für den Freitagabend lud Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu einem Staatsbankett ins Schloss Bellevue ein, für das er von einer Reihe von Politikern Absagen kassierte. Steinmeier schlug versöhnliche Töne an und empfahl mit einem Koran-Zitat, man solle sich auf „möglichst gute Art“ streiten. Er hob die Leistungen der Türkei bei der Versorgung der Flüchtlinge hervor. Laut Redemanuskript betonte der Bundespräsident auch, Deutschland könne nicht zur Tagesordnung übergehen und dass die „Irritationen der letzten Monate“ noch nicht überwunden seien. Den Besuch in Berlin begleitete eine große Anti-Erdogan-Demonstration mit 1500 Teilnehmern.

Nach dem offiziellen Ende des Staatsbesuchs will Erdogan am Samstag nach Köln weiterreisen und dort die Ditib-Moschee eröffnen. Zudem ist ein Treffen mit NRW-Ministerpräsident Armin Laschet geplant, um das es auch ein Zerwürfnis gibt. Für das Treffen muss kurzfristig ein neuer Ort gefunden werden, nachdem sich die Eigentümer erfolgreich   gegen die Nutzung von Schloss Wahn vor Gericht zur Wehr gesetzt hatten. Sie lehnen einen Aufenthalt Erdogans in ihrem Schloss aus politischen Gründen ab.

Der frühere SPD-Chef Martin Schulz forderte Laschet zu klaren Worten gegenüber Erdogan auf. „Herr Laschet muss den türkischen Präsidenten bei der Eröffnung der Moschee in Köln darauf hinweisen, dass Ditib keinerlei Politisierung des Islam betreiben darf“, sagte Schulz unserer Redaktion. „Täte es diese staatliche Religionsbehörde trotzdem, wäre Deutschland gezwungen, Ditib nachrichtendienstlich zu beobachten.“

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde Gökay Sofuoglu sieht Deutschland und die Türkei von einer „Normalisierung“ ihrer Beziehungen noch „weit entfernt“. „Es ist gut, dass die deutsche und die türkische Staatsführung endlich wieder miteinander und nicht nur übereinander reden“, sagte er unserer Redaktion. Das sei aber auch schon der einzige gemeinsame Nenner. Inhaltlich hätten Kanzlerin Merkel und Präsident Erdogan nur ihre eigenen Standpunkte verteidigt.

(qua)
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