Von Terroristen entführte Flugzeuge Verteidigungsminister soll Befehl zum Abschuss geben können

Berlin · Die Bundeswehr sorgt eigentlich für die äußere Sicherheit, die Polizei sorgt für die im Inneren. So sieht es das Grundgesetz vor. Spätestens seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 lässt sich beides aber nicht mehr klar trennen. Die Politik tut sich schwer damit und will eine Änderung für Notfälle.

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Foto: AP/Efrem Lukatsky

Über den Einsatz der Bundeswehr im Inneren wird seit über 20 Jahren diskutiert. Angestoßen hat die Debatte Finanzminister Wolfgang Schäuble als er noch Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag war. Man müsse auch "bei einer größeren Sicherheitsbedrohung im Inneren" über einen Bundeswehreinsatz nachdenken, sagte er schon 1993. Aber erst mit den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001 stellte sich die Frage ganz konkret. Darf die Bundeswehr ein Flugzeug abschießen, das Terroristen etwa auf die Hochhäuser des Frankfurter Bankenviertels zusteuern? Wer gibt den Befehl? Und auf welcher Grundlage?

Trotz etlicher Anti-Terror-Gesetze und zweier Urteile des Bundesverfassungsgerichts gibt es bis heute keine wirklich praktikablen Antworten darauf. Deswegen startet die Bundesregierung nun einen neuen Versuch, endlich Klarheit zu schaffen. Auf Initiative des Innenministeriums prüft sie die Änderung des Grundgesetzes, um dem Verteidigungsminister bei einem drohenden Terrorangriff aus der Luft eine schnelle Entscheidung zu ermöglichen.

Im Moment gilt ein Verfassungsgerichtsurteil aus dem August 2012. Danach ist der Abschuss einer Passagiermaschine zwar verboten. Grundsätzlich ist der Einsatz militärischer Mittel im Inneren in "äußersten Ausnahmefällen" von "katastrophischen Dimensionen" aber erlaubt. Das heißt in Klartext: Ein von Terroristen gesteuertes Flugzeug ohne Passagiere, das als Waffe eingesetzt werden könnte, darf im Notfall abgeschossen werden.

Von der Leyens erste Amtshandlung als Verteidungsministerin
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Das ist also klar. Das Problem liegt aber darin, dass die Richter die Entscheidungsgewalt der Bundesregierung als Ganzes zusprachen. Bei einer akuten Bedrohung sind aber Entscheidungen innerhalb von Minuten oder sogar Sekunden notwendig. Das Kabinett als Ganzes so schnell zu koordinieren, ist praktisch kaum möglich. Der Verfassungsrichter Reinhard Gaier hatte deshalb in einem Minderheitenvotum kritisiert, dass das Karlsruher Urteil für den Schutz vor Terror "wenig bis nichts" bringt.

Jede Sekunde zählt

Die Entscheidung hatte zuallererst für den damaligen Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) Konsequenzen. Wäre es zum Ernstfall gekommen, hätte er zwei Möglichkeiten gehabt: rechtswidrig den Abschussbefehl zu geben oder auf eine Kabinettsentscheidung zu warten - möglicherweise bis es zu spät ist. Dass er jetzt als Innenminister eine Klarstellung des Grundgesetzes anstrebt, ist daher nicht verwunderlich.

Die Verfassung sieht eine strikte Trennung der Zuständigkeiten von Polizei und Bundeswehr vor: Die Polizei sorgt im Inneren für Ordnung, die Bundeswehr soll Deutschland vor Gefahren von außen schützen. Die Ausnahmen regelt Artikel 35. Danach darf die Polizei Unterstützung der Streitkräfte "bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall" anfordern.

Die Autoren des Grundgesetzes dachten vor allem an Katastrophen wie Sturmfluten und Hochwasser, bei denen die Bundeswehr schon häufig zum Einsatz kam. Dass Terroristen Flugzeuge als Waffe einsetzen könnten, hat sich damals noch niemand vorstellen können.

Eine genaue Formulierung für eine Verfassungsänderung ist noch nicht bekannt. De Maizière hielt sich am Freitag bedeckt. "Wir befinden uns in Sondierungen, und mehr ist dazu im Moment noch nicht zu sagen", erklärte er. Der CDU-Politiker kennt die Brisanz des Themas. In der SPD gibt es viele Skeptiker, die befürchten, dass die Union die Tür für weitere Kompetenzen der Bundeswehr im Inneren öffnen will. Handlungsbedarf sieht man aber auch bei den Sozialdemokraten.

Der einzige Verteidigungsminister, der seit dem 11. September 2001 in die Nähe einer Entscheidung über den Abschuss eines Flugzeugs kam, war ein SPD-Politiker. Am 5. Januar 2003 kreiste ein Motorsegler über der Frankfurter Innenstadt, den ein 31-jähriger Mann zuvor auf einem südhessischen Flughafen in seine Gewalt gebracht hatte. Die Luftwaffe schickte in Absprache mit Struck zwei "Phantom"-Kampfflugzeuge los. Der Pilot war aber kein Terrorist, sondern ein verwirrter Psychologie-Student und drehte bald wieder ab.

Für den inzwischen verstorbenen Struck war es dennoch ein einschneidendes Erlebnis. "Ich bin in der Lage zu entscheiden, ob man auch militärisch gegen ein solches Flugzeug vorgeht", sagte er damals. "Aber ich habe den Eindruck, dass es dafür nicht die geeignete Rechtsgrundlage gibt."

(dpa)
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