Terrorverdächtiger ist frei El Motassadeq: "Er hat gelacht vor Freude"

Hamburg (rpo). Um die Mittagszeit kam die Erlösung für den Terrorverdächtigen Mounir el Motassadeq. Das Hamburger Oberlandesgericht hatte gerade die Entscheidung gefällt: Haftverschonung.

Die Anschläge vom 11. September 2001
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Foto: AP

Dann dauerte es noch einmal zweieinhalb Stunden, bis der 30-jährige Marokkaner freudestrahlend das Gerichtsgebäude verlassen konnte. Der Mann mit dem kurzen Bart brachte vor den Kameras keinen Ton heraus, bis er schließlich von Freunden in ein Auto gezerrt und zu seiner Familie nach Hause gebracht wurde.

Das Gericht hatte sich die Entscheidung über die Freilassung offenbar alles andere als leicht gemacht. Immer neue Verschiebungen zerrten bis Mittwoch an den Nerven aller Beteiligten. Auch bei Motassadeqs Verteidiger Josef Gräßle-Münscher schien die Siegesgewissheit der letzten Woche von Tag zu Tag einer zunehmenden Resignation zu weichen. Nein, er wisse nicht, wann das Gericht seine Entscheidung treffe, sagte der Anwalt noch am Mittwochmorgen um elf. Schon einen Tag vorher hatte er erklärt, bei seinem Mandanten sei die Grenze der psychischen Belastung erreicht.

"Ein Mühlstein vom Herzen gefallen"

Am Vormittag schaute Gräßle-Münscher zu einem Blitzbesuch bei seinem Mandanten vorbei und machte sich kurze Zeit später auf den Weg zu einem anderen Termin - nur um nach wenigen Minuten wieder umzukehren. Die Entscheidung des Gerichts hatte nach Tagen des Wartens auch ihn überrascht. "Ich glaube, meinem Mandanten ist ein Mühlstein vom Herzen gefallen", sagte er nach der Freilassung. "Er hat einfach nur gelacht vor Freude."

Dabei hatte das Gericht dem Antrag der Verteidiger auf Aufhebung des Haftbefehls gar nicht stattgegeben: "Der Haftbefehl ist nicht aufgehoben, nur abgeändert", stellte Gerichtssprecherin Sabine Westphalen klar. Motassadeq wurde unter Auflagen von der Haft verschont. Für den Elektrotechnik-Studenten heißt das: Er darf Hamburg nicht verlassen und sich keinen neuen Pass besorgen. Außerdem muss er sich zwei Mal pro Woche bei der Polizei melden. Das Gericht bestimmte außerdem, dass Motassadeq bei seiner Familie wohnen, jeden Umzug melden und pünktlich zu Gerichtsterminen erscheinen muss.

Als Begründung hieß es in der Entscheidung, Motassadeq sei beim Vorwurf der Beihilfe zum Mord in über 3.000 Fällen nicht mehr dringend tatverdächtig. Es bestehe zwar noch ein "hinreichender" Verdacht, der reiche aber nicht aus, um den Haftbefehl in der bisherigen Form aufrecht zu erhalten. Dringend tatverdächtig sei Motassadeq aber nach wie vor beim Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Damit sinkt der erwartete Strafrahmen auf ein bis zehn Jahre.

"Vorentscheidung für den Prozess"

Trotz der Auflagen feierte Gräßle-Münscher die Entscheidung des Gerichts als Erfolg: "Motassadeq geht optimistisch in diesen Prozess". Voraussichtlich ab 16. Juni wird das ganze Verfahren vor dem Hamburger Oberlandesgericht neu aufgerollt, weil der Bundesgerichtshof das Urteil aus dem ersten Prozess aufgehoben hatte. Gräßle-Münscher betonte: "Hinsichtlich der Beteiligung an den Anschlägen war die Entscheidung des Gerichts eine Vorentscheidung für den Prozess."

Auch Motassadeqs anderer Verteidiger, Gerhard Strate, zeigte sich zuversichtlich: "Der Hauptvorwurf, weswegen er verhaftet wurde, ist fallen gelassen worden." Damit ist der weltweit erste Verdächtige, der wegen der verheerenden Terroranschläge vom 11. September verurteilt wurde, wieder auf freiem Fuß. Eine erneute Verurteilung zu 15 Jahren Haft dürfte damit unwahrscheinlich geworden sein. Dafür spricht auch, dass die Bundesanwaltschaft auf eine Beschwerde gegen die Gerichtsentscheidung vom Mittwoch verzichtete.

Gleich nach der Entlassung wurde Motassadeq zu seiner Frau und seinen beiden Kindern in den Hamburger Stadtteil Harburg gebracht. Auch dort strahlte der Mann im Holzfällerhemd und der grauen Daunenjacke über das ganze Gesicht, wollte sich aber öffentlich nicht äußern. "Das Wichtigste ist: Er ist in Freiheit und bei seiner Familie", erklärte Gräßle-Münscher.

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