Unterwegs mit dem ersten Mann im Staat Ein Tag mit dem Bundespräsidenten

Berlin/Müritz (RP). Was macht der erste Mann im Staat, wenn er im Land unterwegs ist? Wie reist Christian Wulff, wer sorgt für die Sicherheit, und was gibt es beim Präsidentenbesuch zu essen? Wir haben ihn einen Tag lang durch Mecklenburg-Vorpommern begleitet und hinter die Kulissen geschaut.

Bundespräsident Wulff und die Regenwurm-Attacke
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Bundespräsident Wulff und die Regenwurm-Attacke

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Die junge Frau an der Kasse der Sprint-Tankstelle in Müritz staunt nicht schlecht, als an diesem Morgen drei schwarze Wagen und vier Polizeiautos direkt vor dem Schaufenster halten. Aus dem gepanzerten BMW direkt vor ihrer Nase steigt der Bundespräsident aus — im weißen Hemd und dunkelblauer Nadelstreifenhose. "Guten Morgen", sagt er höflich, als er, gefolgt von seinem Begleittrupp, den Verkaufsraum betritt und schnurstracks den Kaffeeautomaten ansteuert.

Es ist ein spontaner Zwischenstopp. Eigentlich hat das Protokoll des Bundespräsidialamtes jede Minute durchgeplant beim Antrittsbesuch des neuen Staatsoberhauptes in Mecklenburg-Vorpommern. Aber die Kolonnenfahrt von Schloss Bellevue in den Landkreis Müritz ging schneller als berechnet und der Bundespräsident ist ein ausgemachter Kaffee-Fan.

Eine lange Pause ist dies allerdings nicht. Während die Tankstellen-Kunden neugierig gucken, nimmt Wulff ein paar Schlucke aus dem Plastikbecher, dann geht es weiter. In Waren wartet schließlich Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD). Er hat den ersten Mann im Staat eingeladen und begleitet ihn den Tag über durch sein Bundesland.

Wulff sei gern pünktlich, erzählen seine Begleiter. Fünf Mitarbeiter aus dem Präsidialamt folgen ihm auf Schritt und Tritt. Sobald der Chef in den Wagen steigt, springen sie in den dahinterstehenden Sprinter-Bus. "Der Bundespräsident fährt immer voraus", erklärt ein Pressesprecher. In dem gepanzerten Wagen mit dem Kennzeichen "0-1" sitzt der Präsident stets rechts hinten. Bei ihm ist sein persönlicher Referent. So können die beiden die Fahrt zur Vorbereitung auf den Besuch nutzen.

"Die meisten Termine erledigen wir mit dem Auto", sagt der Bundespräsident. Hinter ihm her fährt ein Wagen des Bundeskriminalamtes. Speziell ausgebildete Beamte weichen während des gesamten Besuchs nicht von Wulffs Seite. Vom Großteil der Sicherheitsmaßnahmen bekommen der Präsident und sein Tross allerdings fast gar nichts mit: In kleinen Nebenstraßen hält die Polizei Autos zurück; jedes Gebäude, das der hohe Besuch betritt, wird vorher von speziell ausgebildeten Spürhunden durchsucht.

Angst vor Anschlägen habe er aber nicht, sagt Wulff. "Beim heutigen Glatteis ist die Gefahr höher, dass man auf der Treppe stürzt." Von einem übertriebenen Polizeiaufgebot hält er wenig. "Ich will mit den Menschen reden, und das geht nicht, wenn überall Polizei ist." So spaziert er an der Seite von Ministerpräsident Sellering zwanglos durch die Innenstadt von Waren. Überall stehen Passanten und zücken ihre Kameras, Foto- und Fernsehjournalisten halten die Szene für den Rest von Deutschland fest.

Vor dem Rathaus klatschen die Menschen. Bereitwillig stellt sich Wulff mit einigen von ihnen zum Erinnerungsfoto auf. "Dieter, komm mal schnell", ruft eine Dame. Als sich Wulff zwischen das Ehepaar stellt und Ministerpräsident Sellering sich spontan als Fotograf anbietet, hat ihr das Erstaunen dann aber die Sprache verschlagen. Wulff lächelt und schüttelt Dieters Hand. Bei Kaffee und Keksen schwärmt er im Rathaus von der Mecklenburgischen Seenplatte und vom blühenden Tourismus in der Region.

Aber er mahnt auch. "Der aufkeimende Extremismus macht mir Sorgen. Wir müssen ihn wirkungsvoller bekämpfen." Immer wieder wird er von der Presse auf seine Patenschaft für das siebte Kind einer Familie angesprochen, der Kontakte zur rechtsextremen Szene nachgesagt werden. "Kinder haften nicht für ihre Eltern", sagt er dann.

Besonders blüht Christian Wulff auf, wenn er mit Kindern und Jugendlichen spricht. Bei Kassler, Sauerkraut und Kartoffelpüree zum Mittag in einer Produktionsschule in Müritz plaudert er gut gelaunt mit den Schülern, die dort ihren Schulabschluss nachholen.

"Der ist cool", sagt danach Schülerin Francine Kern, die beim Essen neben dem Staatsoberhaupt sitzen darf. "Ich konnte mich mit ihm locker unterhalten, zum Beispiel über Musik und über Festivals", sagt die 17-Jährige, die von einer Ausbildung als Erzieherin träumt — auch das hat sie ihrem Tischnachbarn anvertraut.

Er wolle der Präsident aller in Deutschland lebenden Menschen sein, das betont Christian Wulff immer wieder. Deshalb ist ihm direkter Kontakt wichtig. Seine Art, Menschen zu begegnen, die ganz aufgeregt sind, den Bundespräsidenten zu treffen: "Ich gehe auf sie zu und gebe ihnen das Gefühl, dass in diesem Moment nur sie wichtig sind."

Das tut der 51-Jährige auch beim Besuch einer Klinik in Malchow. "Geht es Ihnen gut? Wir sind extra gekommen, um mal nachzusehen", sagt Wulff, lacht und schüttelt viele Patientenhände. Mit Patient Uwe Behrend, der auf einem Indoor-Fahrrad strampelt, scherzt er vor laufenden Kameras über "schwere Beine" und den "Vorführeffekt", wenn viele Menschen zusehen.

Der Bundespräsident ist überzeugt davon, die Sorgen der Menschen verstehen zu können. "Als Vater von Kindern, die auf einem G8-Gymnasium und im Kindergarten sind, stehen wir als Familie mitten im Leben."

Im Radisson Blu Resort auf Schloss Fleesensee diskutiert Christian Wulff mit Landespolitikern, es gibt Spezialitäten aus der Region; geschmorte Ochsenbacke, Bratapfelcreme und Rotwein. Der Protokollchef hat dabei die Uhr immer im Auge. Dann wird es Zeit für den Gast, wieder in Richtung Schloss Bellevue aufzubrechen — auf dem Schreibtisch seines Amtssitzes wartet noch Arbeit.

Sobald er wieder im gepanzerten Präsidentenauto sitzt — der Fahrer, der Wulff schon seit 20 Jahren begleitet, hat dafür einen extra Führerschein für gepanzerte Fahrzeuge gemacht —, schaltet der Familienmensch Wulff sein Telefon ein. Er spricht mit Söhnchen Linus (zweieinhalb) und Ehefrau Bettina — so viel Zeit muss sein. Dann erzählt der Präsident, wie sehr er sich darauf freut, dass die Familie bald ganz nach Berlin zieht.

Bei den Holzverarbeitern der Produktionsschule Müritz hat Wulff spontan eine Kiste gekauft. Die Verwendung steht schon fest: "Da kommen die Spielsachen meiner Kinder für die künftige Spielecke in meinem Arbeitszimmer hinein", sagt er. In diesem Moment, fast am Ende eines langen Präsidententages, ist der Staatsmann ein ganz normaler Vater, der sich aufs Wochenende freut, weil er dann seine Familie wiedersieht.

(RP)
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