Seehofer-Knatsch ohne Ende Ein Kanzler sagt nicht einfach "sorry"

Berlin (RPO). Die Koalition erinnert derzeit an ein bitter streitendes Ehepaar. Nicht nur alle Streitfragen bleiben ungeklärt, jetzt sind sich Merkel und Seehofer noch nicht einmal darüber einig, wie sie am Freitag miteinander umgesprungen sind. So wurde in Regierungskreisen entschieden zurückgewiesen, dass sich die Kanzlerin beim CSU-Chef entschuldigt habe.

 Kanzlerin Angela Merkel muss sich wieder mit internem Ärger herumschlagen.

Kanzlerin Angela Merkel muss sich wieder mit internem Ärger herumschlagen.

Foto: dapd, dapd

Die Koalition befasst sich wieder mit sich selbst. Die Opposition bezeichnet den Streit als peinlich. Anlass für die miese Stimmung: Der gemeinsame Auftritt von FDP-Chef Philipp Rösler und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zur Verkündigung einer (überschaubaren) Steuerreform. CSU-Chef Horst Seehofer sah sich übergangen - und reagierte vergrätzt. Ein Spitzentreffen am Donnerstagabend ließ er platzen, das Treffen am Freitag ging ergebnislos zuende.

Was nun mit der verkündete Steuerreform wird, ist somit offen. Bis zum 6. November sollen die offenen Fragen geklärt werden. Die Koalitionsspitzen befassen sich lieber mit Interna. Nun geht es um die Frage, wie denn jetzt das Treffen am Freitagabend eigentlich abgelaufen ist.

"Kommunikationspanne" oder nicht?

Nach Auffassung der CSU hat Merkel gegen über Seehofer eine "Kommunikationspanne" eingestanden. FDP-Chef Philipp Rösler sagte der "Bild am Sonntag", Merkel habe "das Missverständnis in der Abstimmung mit Horst Seehofer auf ihre Kappe genommen". Das sei sicher mehr gewesen, als notwendig gewesen wäre, und habe die angespante Situation entkampft.

Im Laufe des Samstags folgte die Gegendarstellung aus Kreisen der Regierung: "Es gab keine Panne, und es gab keine Entschuldigung", hieß es nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters. Der Auftritt am Donnerstag sei eine ganz bewusste Entscheidung gewesen, zu dem die Kanzlerin stehe. "Dies war der Türöffner für eine breite Diskussion über die gewünschte steuerliche Entlastung der Bürger", hieß es. Von einer Panne könne also keine Rede sein.

Regierung widerspricht

In Regierungskreisen wurde damit der Darstellung aus Koalitionskreisen widersprochen, die CDU-Vorsitzende habe im Koalitionsausschuss am Freitagabend die Verantwortung für eine Kommunikationspanne übernommen und sich bei Seehofer entschuldigt. "Es hat keine Entschuldigung gegeben", hieß es.

Dass nun doch wieder gestritten wird, lässt sich darauf zurückführen, dass beiden den Verlauf des Treffens anders auslegen und für sich im besten Sinne wiedergeben. Dass Merkel die Sache gleich zu Beginn offen angesprochen haben soll, mag Seehofer als Entgegenkommen gewertet haben. Dass nun aber von einer "Entschuldigung" die Rede ist, die es so aussehen lässt, als ob die Regierungschefin den Kotau vollzieht, kann nicht im Sinner des Kanzleramtes sein.

Von einem neuen Zerwürfnis in der Koalition will dennoch niemand sprechen. Die Atmosphäre des Treffens im Kanzleramt sei gut und konstruktiv gewesen, versichern Teilnehmerkreise immer wieder. Aus Unionskreisen hieß es, die Teilnehmer seien bei den Steuern nahtlos in die "Sachdiskussion" eingestiegen.

Wie bitte?

Doch das Nachkarten, Dementieren und Richtigstellen an diesem Wochenende ist weit entfernt von jeder Sachdiskussion. So oder so. Seehofer wurde am Donnerstag vor vollendet Tatsachen gestellt. Und beides wirft ein unschönes Licht auf die Arbeitsweise dieser Koalition. Eine "Kommunikationsschwäche" wäre ein Offenbarungseid für die Führung der Bundesregierung, der doch eigentlich ein geschlossenes Auftreten am Herzen liegen müsste. Seehofer, einfach vergessen? Wie bitte?

Auch die Umschreibung aus der Bundesregierung der Vorstellung als "Türöffner" provoziert Zweifel. Ein öffentliche Dikussion anzuzetteln, indem man den Chef der Schwesterpartei bloßstellt, sorgt sicherlich für Gesprächsstoff. Aber wohl kaum im Hinblick auf Inhalte. Jetzt geht es mehr darum, persönliche Verletzungen nicht öffentlich zum Politikum werden zu lassen.

CSU-Chef Seehofer hatte sich nach dem Auftritt Röslers und Schäubles massiv verärgert gezeigt und offen für einen anderen Weg der Entlastung plädiert, nämlich eine Senkung des Solidaritätszuschlags. Die Koalition will nun bis zum 6. November verschiedene Modelle zur Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen prüfen und dann entscheiden - nach Absprache mit den Unions-Ministerpräsidenten, wie es heißt.

Merkel: Steuermodell nicht vom Tisch

Derweil erklärte Merkel am Samstag auf der Bundesdelegiertentagung der Frauen-Union in Wiesbaden, dass das Steuerkonzept von Schäuble und Rösler aus CDU-Sicht keineswegs hinfällig sei. "Kein Modell ist vom Tisch", sagte die CDU-Chefin. Sie widersprach damit Äußerungen aus der CSU, wonach der Vorschlag von Schäuble und Rösler gescheitert sei.

Das Ziel sei weiter, kleinere und mittlere Einkommen, "wo immer möglich, zu entlasten", betonte Merkel. Die Idee, dies über eine Änderung der sogenannten kalten Progression zu tun, sei "ein richtiger und guter Vorschlag". Schäuble und Rösler hatten dafür plädiert.

Die Kanzlerin kündigte an, der Bund wolle mit den Ländern über das Thema Steuern sprechen. Die Spitzen von Union und FDP hätten bei ihrem Treffen am Freitagabend in Berlin verabredet, mit den Ministerpräsidenten der Länder Gespräche zu führen, wie kleinere und mittlere Einkommen in Deutschland entlastet werden könnten.

Kritik an Koalitionstreffen

SPD und Grüne kritisierten den Ausgang des Koalitionstreffens scharf. Dass der erste Koalitionsgipfel nach fast fünf Monaten ohne jedes Ergebnis geblieben sei, zeige, dass die Regierung nicht mehr regierungsfähig sei, erklärte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sprach von einem Trauerspiel. "Schwarz-Gelb wurschtelt weiter vor sich hin, ohne Richtung, ohne Ziel, ohne Ergebnis", sagte Künast.

mit Agenturmaterial

(RTR/ap)
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