Regierung kämpft mit Krisen Ein Kabinett ohne Schäuble?

Berlin (RP). Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) verfolgt die europäische Finanzkrise vom Krankenbett aus. Das Kabinett bewilligte die Milliardenhilfen für die Euro-Zone am Dienstag ohne ihn. Spekulationen um einen Nachfolger grassieren. Möglich, dass Innenminister Thomas de Maizière sein Ressort übernimmt und Roland Koch als Innenminister nach Berlin wechselt.

So widersprechen sich Merkel und Schäuble
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Die Ausläufer der Finanzkrise sind noch spürbar, die volle Wucht der Euro-Krise hat Deutschland erfasst. Ausgerechnet jetzt muss sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble auf Anraten der Ärzte in einer Klinik schonen. Kurz vor dem EU-Gipfel am Sonntag hatte der querschnittsgelähmte Minister ein neues Medikament nicht vertragen und war in eine Brüsseler Klinik eingeliefert worden. Nun steht der 67-Jährige in einem deutschen Krankenhaus unter ärztlicher Beobachtung.

Zum wiederholten Mal: Schon im April musste der CDU-Mann einige Wochen das Bett hüten, weil eine Operationsnarbe schlecht verheilte. Zur wichtigen Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) musste Schäuble ausgerechnet seinen Staatssekretär mit SPD-Parteibuch, Jörg Asmussen, schicken.

Nun fehlte Schäuble auch bei der Kabinettssitzung, in der die Bundesregierung den deutschen Anteil an dem 750 Milliarden Euro umfassenden Rettungsschirm für die Euro-Zone bewilligte. Seither sind die Spekulationen darüber noch lauter geworden, ob Schäuble sein schwieriges Amt noch ausreichend wahrnehmen kann oder ob eine Ablösung des 67-Jährigen bevorsteht, der vor 26 Jahren zum ersten Mal Bundesminister wurde (1984 als Minister für besondere Aufgaben im Kabinett Kohl) und seit 1972 im Bundestag sitzt.

Es war der ehrgeizige und pflichtbewusste Badener selbst, der in mehreren Interviews erklärte, dass Fragen nach seinem Gesundheitszustand "legitim" seien. Nun gibt es im politischen Berlin kaum noch ein anderes Thema.

Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnt eine Kabinettsumbildung bisher ab. Sie habe Schäuble geraten, "sich ein paar Tage" zu schonen, teilte ein Regierungssprecher mit. Eine Personaldebatte will die Regierungschefin, die wegen ihres Krisenmanagements in der Kritik steht, unbedingt vermeiden. Außerdem ist Merkel nicht dafür bekannt, bei der ersten Schwierigkeit gleich einen Minister aus dem Amt zu entlassen. Sie habe Schäuble daher schon seit längerem die Entscheidung überlassen, ob er sich das Amt zutraue, heißt es.

In Koalitionskreisen wird indes spekuliert, ob neben der Erkrankung Schäubles nicht auch tiefer gehende Differenzen zwischen ihm und Merkel über die Reform der Währungsunion stehen. Schäuble hatte sich lange gegen die Einbeziehung des Internationalen Währungsfonds bei der Rettungsaktion für Griechenland gewehrt, während Merkel genau dies forderte. Nach der Kabinettssitzung telefonierten beide ausführlich miteinander. Schäuble habe die "volle Rückendeckung" der Kanzlerin, sagte ein Regierungssprecher. Um Rücktritt sei es nicht gegangen.

Am Montag will Schäuble wieder in Berlin sein und intensive Beratungen mit den Fachpolitikern der Regierungsfraktionen über ein Sparprogramm für den Etat 2011 beginnen. Am Donnerstag darauf lädt Schäuble internationale Experten und Minister zu einer Finanzmarktkonferenz ein. "Es sind die wichtigsten und härtesten Wochen für Schäuble", sagt ein ranghoher Ministerialer.

In dem für das Selbstbewusstsein der Mitarbeiter bekannten Finanzministerium ist die Unsicherheit groß. Immer wieder fehle der Chef bei wichtigen Sitzungen, erzählt ein Spitzenbeamter. Kompetenzgerangel sei die Folge. Die SPD-Staatssekretäre Jörg Asmussen und Werner Gatzer würden von ihren CDU-Pendants Bernhard Beus und Steffen Kampeter misstrauisch beäugt. "Jeder macht sein Ding", sagt ein Top-Beamter. Die Grundsatzabteilung, unter SPD-Minister Peer Steinbrück noch aufgewertet, fristet ein Nischendasein.

So ist es nicht verwunderlich, dass der Name von Roland Koch wieder fällt. Der hessische CDU-Ministerpräsident, seit Jahren in der Finanzpolitik engagiert, gilt als möglicher Nachfolger Schäubles. Selbst im immer noch SPD-dominierten Finanzministerium hat der forsche CDU-Mann Anhänger. Die berühmte "Koch-Steinbrück-Liste", ein Sparprogramm, das Koch einst mit Ex-SPD-Finanzminister Peer Steinbrück entworfen hatte, gilt im Haus als Grundlage für die anstehenden Etatverhandlungen.

Seit der Landtagswahl mischt Koch nun wieder spürbar mit in Berlin. Merkels Krisenmanagement kritisierte er neulich als "zahm". Offensiv müsse man für die Rettung der Euro-Zone werben. Die Kanzlerin forderte er in der "Kaminrunde" mit den CDU-Länderchefs auf, die Steuerdebatte endlich zu beenden. Tags darauf sagte Merkel Steuersenkungen ab. Gestern legte Koch nach. Das NRW-Wahlergebnis müsse "Konsequenzen in der Arbeit der Bundesregierung haben". Neben dem Verzicht auf Steuersenkungen fordert Koch Einsparungen in der Familien- und Bildungspolitik. Im Finanzministerium werden solche Vorschläge bejubelt.

Im Kanzleramt wird die Koch-Show als "Bewerbungsschreiben" interpretiert. Er selbst dementiert Ambitionen: "Ich bin Ministerpräsident von Hessen. Dabei bleibt es." Doch ist das glaubwürdig? Merkel vertraut ihrem Parteivize nur bedingt. Bei den Koalitionsverhandlungen 2009 habe sich Koch einen Wechsel vorstellen können, heißt es. Einen Job als EU-Kommissar lehnte er aber ab, weil er die nationale Politik für wichtiger erachtet. Nun wird ein anderes Szenario diskutiert, sollte Schäuble gehen: Innenminister Thomas de Maizière, ein Vertrauter Merkels, übernimmt das Finanzressort. Koch kann sich dafür als neuer Innenminister um das konservative CDU-Profil kümmern. Andere wollen wissen, dass auch der noch amtierende NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers als Innenminister nach Berlin geht.

(RP)
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