Chaotischer Parteitag der Linken Ein Akt der Selbstzerfleischung

Berlin · Die Linke bemüht sich auf ihrem Parteitag ihren Zerfallsprozess aufzuhalten. Doch die Gräben sind tiefer aufgerissen. Das Lager der Gewerkschaftslinken um Oskar Lafontaine provozierte mit Triumphgebärden. Das neue Führungsduo Katja Kipping und Bernd Riexinger steht vor einer fast unlösbaren Aufgabe.

Juni 2012: Chaotischer Parteitag der Linken in Göttingen
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Juni 2012: Chaotischer Parteitag der Linken in Göttingen

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Sie müssen die tiefen Risse zwischen Reformern und Radikalen zuschütten. Wie schwer das werden wird, verdeutlichte nicht zuletzt der chaotische Verlauf des Parteitags in Göttingen. Trotz aller Appelle zur Geschlossenheit malträtierten die Linken sich weiterhin mit gegenseitigen Anschuldigungen.

Der bislang wenig bekannte Riexinger gilt als Vertreter der Radikalen um Ex-Parteichef Oskar Lafontaine, Kipping wird keinem großen Lager zugeordnet, sie könnte für einen dritten Weg stehen, hat in der Partei aber keine eigene Machtbasis. Die Reformer sind verärgert. Ihr Vertreter, Fraktionsvize Dietmar Bartsch, wurde nicht gewählt. Er scheiterte nur knapp: 45 Prozent votierten für ihn, 53 Prozent für Riexinger. Auch dieses Ergebnis zeigt die Spaltung der Partei.

Kipping und Riexing sind sich der Schwere der Aufgabe bewusst. Die 34-jährige sächsische Bundestagsabgeordnete sagte: "Bitte lasst uns diese verdammte Ost-West-Verteilung auflösen." Sie wolle die Vision einer erneuerten Linken einbringen. Den Wettbewerb um Lautstärke und Rhetorik könne sie nicht gewinnen. "Vielleicht kann ich einen Wechsel in der Tonlage einbringen." Sie wolle bei allem Streit einen menschlichen Umgang, betonte Kipping.

Auch Riexinger erklärte, er wolle alles daran setzen, "die Polarisierung der letzten Monate zu überwinden". Die Partei werde nur als "gesamtdeutsche und pluralistische Bewegung" Erfolg haben. Nach der Wahl sagte Riexinger, er wolle als erstes auf diejenigen zugehen, die ihn nicht gewählt hätten - die Anhänger des stellvertretenden Fraktionschefs Bartsch.

Bartschs Anhänger zeigten sich enttäuscht. Der neue Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn kritisierte die Riexinger-Unterstützer, die nach dem Wahlsieg des Gewerkschafters die Internationale anstimmten. "Vertrauen baut sich nicht auf durch Jubelgesänge", sagte er. Bei den Verlierern kam der Gesang an wie eine unverhohle Provokation. Nicht zuletzt, wegen Zeilen wie "Auf zum letzten Gefecht". Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete, im Saal seien auch Aussagen wie "Ihr habt den Krieg verloren" gefallen.

Experten zeigen sich in ihrer Analyse weitgehend einig: Ihrer Ansicht nach ist die Erosion der Linkspartei mit diesem Parteitag weiter fortgeschritten. Schon in den vergangenen Monaten näherte sie sich konsequent dem Abgrund, Fraktionschef Gregor Gysi sprach vor dem Parteitag offen von der Spaltung. Nachdem er von einer Kandidatur Lafontaines abgerückt war, gilt auch ihr Verhältnis als zerrüttet.

Von dem Bundestagswahlergebnis 2009 von fast zwölf Prozent ist sie meilenweit entfernt. Stattdessen müssen die Linken nun um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen. Peter Matuschek vom Meinungsforschungsinstitut Forsa weist darauf hin, dass insbesondere der Verlust unter den Wählern zwischen 18 und 25 Jahren besonders groß ist und damit den Linken der Wähler-Nachwuchs abhanden kommt.

Mit dem Göttinger Parteitag dürfte sich der Niedergang der Linken nun noch einmal beschleunigen. Aus dem erhofften Signal der Einigkeit und des Aufbruchs ist nichts geworden. Stattdessen beharkten sich bündniswillige Reformer und strikt oppositionelle Fundamentalsozialisten in nie dagewesener Schärfe. Die neuen Vorsitzenden geben wenig Grund zur Zuversicht. Zu schwach und verlassen wirken sie angesichts der tiefen Gräben.

"Die Bürger lieben es nicht allzu sehr, wenn eine Partei sich dermaßen zerstritten zeigt", konstatiert infratest-dimap-Geschäftsführer Richard Hilmer. Er weist darauf hin, dass die sinkenden Wahlchancen der Linken einen Effekt haben, der SPD und Grünen zusätzlich helfen könnte: Manch Linken-Wähler werde sich überlegen, seine Stimme lieber gleich der SPD zu geben, anstatt sie an eine an der Fünf-Prozent-Hürde gescheiterten Linkspartei zu verschwenden.

Der Berliner Politologe Oskar Niedermayer weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass eine Wähler-Bewegung von der Linken zur SPD längst stattgefunden hat. "Das sieht man auch in NRW ganz deutlich", sagte er Reuters. "Da, wo sich die SPD sehr stark als Kümmerer-Partei, als Vertreterin der Verlierer in der Gesellschaft positioniert und glaubwürdig vermittelt, dass sie die Partei der sozialen Gerechtigkeit ist, da zieht sie auch Wähler von der Linkspartei ab."

So dürften die Worte des SPD-Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier manchem Linken unmittelbar nach der Kür der neuen Spitze wie eine Drohung in den Ohren geklungen haben. "Ich glaube nicht, dass die Wahl eine befriedende Wirkung hat", teilte er via "Bild am Sonntag" mit, nachdem der Parteitag Katja Kipping und Bernd Riexinger in Göttingen aufs Schild gehoben hatte.

Die Linken würden nach den krachenden Niederlagen in NRW und Schleswig-Holstein aus weiteren Parlamenten fliegen, sagte Steinmeier voraus. Tatsächlich liegen die Linken am Boden, ihre massiven Streitigkeiten haben sich in Göttingen noch einmal zugespitzt. Der Parteitag war ein Zeichen der Selbstauflösung.

Doch obwohl die SPD mit ihrem Isolationskurs die Linkspartei niedergerungen zu haben scheint, können die Sozialdemokraten und die Grünen nicht wirklich frohlocken. Der Protestwähler-Anteil der Linken ist nach übereinstimmender Meinung der Wahlforscher fast geschlossen zu den Piraten gewandert. Nicht ausgeschlossen ist, dass die Newcomer bei der Bundestagswahl 2013 Mehrheitsbeschaffer für Rot-Grün oder Schwarz-Gelb werden könnten.

Als die Linkspartei noch diese Rolle innehatte, war aus sozialdemokratischer Sicht wenigstens ausgeschlossen, dass Union und FDP mit deren Hilfe an die Macht kommen konnten.

(REU/apd)
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