Knappe Mehrheit für Rot-Grün in Niedersachsen Droht Stephan Weil der "Heide-Mord"?

Düsseldorf · Erst Rekordtempo, jetzt Rückschlag: SPD und Grüne haben nach ihrem Wahlerfolg in Niedersachsen mächtig aufs Koalitions-Gaspedal gedrückt und am Dienstagsabend ein erstes Gespräch geführt – inklusive Abstimmungspanne. Bei Stephan Weil könnten Erinnerungen wach werden an den "Heide-Mörder".

Gewinner und Verlierer in Niedersachsen
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Erst Rekordtempo, jetzt Rückschlag: SPD und Grüne haben nach ihrem Wahlerfolg in Niedersachsen mächtig aufs Koalitions-Gaspedal gedrückt und am Dienstagsabend ein erstes Gespräch geführt — inklusive Abstimmungspanne. Bei Stephan Weil könnten Erinnerungen wach werden an den "Heide-Mörder".

Wenn Regierungsbündnisse im Parlament über eine knappe Mehrheit verfügen, sind knifflige Entscheidungen vorprogrammiert. Die Regierung muss höchste Anstrengungen unternehmen, alle Stimmen hinter sich zu vereinen. Die Oppositionsparteien wiederum wittern ihre Chance, der Regierung ein Bein zu stellen.

In solch einer vertrackten Situation könnte bald Stephan Weil stecken. Der SPD-Chef aus Niedersachsen wird voraussichtlich Mehrheitsführer einer rot-grünen Landesregierung im neuen Hannoveraner Landtag. Das Problem: SPD und Grüne weisen einen Vorsprung von lediglich einem Abgeordnetensitz gegenüber CDU und FDP auf.

Dünnes, parlamentarisches Eis

Weils Wunsch-Bündnis wird sich auf dünnem, parlamentarischem Eis bewegen. Wie dünn das Eis tatsächlich sein kann, zeigte bereits eine erste Abstimmung am Dienstagsabend, als die neu gewählten Abgeordneten in Hannover zu ersten Fraktionssitzungen zusammenkamen.

Johanne Modders Wahl zur neuen Fraktionsvorsitzenden sollte eine Formalie werden — sie endete mit einer Panne. Die bisherige Parlamentarische Geschäftsführerin erhielt eine Gegenstimme. Zwar reagierten sowohl Weil als auch Modder gelassen und wollten die Abstimmungspanne nicht als schlechtes Vorzeichen für die geplante Landesregierung werten.

Ein kleiner Schuss vor den Bug ist es dennoch. Es zeigt, auf welch fragilem Fundament Weils Koalition in strittigen Fragen gebaut sein könnte.

SPD flüchtet in Zweckoptimismus

Die neue Chefin Modder flüchtete sich in Zweckoptimismus. Sie erwarte nicht, dass interne Abstimmungen immer einstimmig seien. Aber: "Ich erwarte, dass externe immer einstimmig sind. Da werden sie erleben, dass die Ein-Stimmen-Mehrheit steht. Darauf können sie sich verlassen", betonte sie.

Dennoch trübte Modders Wahl mit Schönheitsfehler die Stimmung bei den überglücklichen und betriebsamen Genossen. Möglicherweise weckte der Abstimmungsverlauf beim SPD-Landeschef sogar böse Erinnerungen: Knappe und unsichere Mehrheitsverhältnisse. Norddeutsches Bundesland. SPD. Da war doch was?

Erinnerungen an Simonis

17. März 2005, Kieler Landtag. Für die damalige Spitzenkandidatin der Sozialdemokraten Heide Simonis bedeutete der Tag das politische Aus. Und für die SPD in Schleswig-Holstein wurde es "der schwärzeste Tag in der Geschichte" (Fraktionschef Lothar Hey) des Bundeslands.

Was war passiert? Die Landtagswahlen im Februar 2005 hatten unklare Mehrheitsverhältnisse hervorgebracht. CDU-Spitzenmann Peter Harry Carstensen errang die meisten Stimmen und ging als Sieger der Wahl hervor. Zusammen mit der FDP konnte das Bündnis auf 34 von 69 Stimmen bauen. SPD und Grüne hatten jedoch nur 33 Sitze. Zwei Abgeordnete gehörten dem SSW, der dänischen Minderheit an.

Simonis gelang es nach zähen Verhandlungen die beiden SSW-Abgeordneten Anke Spoorendonk und Lars Harms dafür zu gewinnen, die rot-grüne Koalition zu dulden. 35:34 - so schlug das Pendel zugunsten der beliebten Politikerin aus.

Ohne Probeabstimmung

Vor dem Einzug in den Landtag hatte das vermeintliche Mehrheitsbündnis keine Probeabstimmung durchlaufen. Schließlich hatte sich in den Sitzungen zuvor kein Genosse kritisch geäußert. Und auch die Grünen und der SSW hatten zu keiner Zeit Bedenken signalisiert.

Ein Fehler, wie sich später herausstellen sollte. Denn es kam alles anders. Das Ergebnis im ersten Wahlgang: 34:33 zugunsten der SPD, zwei Enthaltungen aus beiden Reihen. Die erforderliche Mehrheit von 35 hatte Simonis verpasst. Ein Betriebsunfall, argumentierten sichtlich überraschte Sozialdemokraten.

Doch auch der zweite Wahlgang sorgte bei Simonis' SPD für Irritationen. 34:34, ein Abgeordneter enthielt sich. SPD, Grüne und SSW zogen sich immer noch nicht zu einer Probeabstimmung zurück. Schließlich hatte der dritte Wahlgang dasselbe Resultat parat. CDU und FDP jubelten.

Gang zur "Schlachtbank"

Erst jetzt hielt die SPD eine geheime Probeabstimmung ab, bei der alle 29 Abgeordneten für Simonis votierten. Nur auf Drängen des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder schritt die Sozialdemokratin zur vierten Abstimmung. Und errang erneut keine Mehrheit.

Es war ein Gang zur "Schlachtbank", wie sie später zugab, und eine äußerst "verletzende Situation". Die Wunden waren derart tief, dass sie ihren Rückzug aus der Politik bekannt gab mit den Worten: "Gegen offene Messer zu kämpfen ist nicht leicht, aber in der Politik manchmal notwendig. Gegen einen hinterhältigen Dolchstoß jedoch gibt es keine Abwehrmöglichkeiten."

Bis heute ist der "Heide-Mörder" nicht gefunden.

(nbe)
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